Seht mich an

Buchseite und Rezensionen zu 'Seht mich an' von Anita Brookner
3.9
3.9 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Seht mich an"

Frances Hinton arbeitet in einer medizinischen Bibliothek und führt ein zurückgezogenes Leben, gemeinsam mit der früheren Haushälterin ihrer längst verstorbenen Mutter. Doch ihre eintönige Existenz wird von neuem Glanz erfüllt, als sie ein extravagantes Paar kennenlernt, das sie in ihren illustren Freundeskreis aufnimmt. Frances kann sich der Bewunderung des charmanten Nick und seiner umwerfenden Frau Alix nicht erwehren und schafft es mithilfe des glamourösen Paares, endlich aus ihrem Schattendasein herauszutreten. Doch muss Frances bald erkennen, dass diese neue aufregende Welt nicht so glanzvoll ist, wie sie scheint…

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag: Eisele Verlag
EAN:9783961611539

Rezensionen zu "Seht mich an"

  1. Von dem, was man nicht kaufen kann

    Anita Brookner schrieb zuvor bereits zwei Dutzend Romane, von denen sich viele um das Thema Einsamkeit drehen. Für mich war "Seht mich an" das erste Werk, das ich von der Autorin las. Es scheint eine Geschichte mit starken autobiografischen Zügen zu sein. Wie die Autorin selbst, ist auch die Protagonstin dieses Romans eine Person mit Migrationshintergrund. Es ist davon auszugehen, dass das Thema der Anerkennung, das für den Roman zentral ist auch für die Autorin etwas war, nach dem sie sich regelrecht verzehrt hat. Brookner hat sich ihre Einsamkeit und den Durst nach Anerkennung quasi von der Seele geschrieben - immer und immer wieder in unzähligen Geschichten. Es zeigt, wie belastend es sein kann, wenn einem etwas verwehrt bleibt, das man sehr begehrt. Brookner hat Zuflucht im Schreiben gesucht. Die Literatur war ihre Medizin.

    Im Mittelpunkt des vorliegenden Romans steht Frances Hinton, eine Mitzwanzigerin, die in der medizischen Abteilung einer Bibliothek arbeitet und tagtäglich von vereinsamten Menschen umgeben ist, die irgendwie vom Leben vergessen wurden. Sie lebt nach dem Tod ihrer Mutter in einer museal eingerichteten, großräumigen Wohnung - gemeinsam mit der langjährigen Haushälterin, der sie die Treue hält. Frances ist einsam und leidet unter ihrer Unsichtbarkeit. Sie wird nicht gesehen. So erträumt sie sich ein anderes Leben und sucht Zuflucht im Schreiben, das für sie einer Art Therapie gleichkommt. Eines Tages lernt sie im Arbeitskontext das Paar Nick und Alix kennen, zu dem sie sich magisch hingezogen fühlt. Sie scheinen genau das Leben zu führen, nach dem sie sich selbst so sehr verzehrt. Als sie bei ihnen Anschluss findet, gesellige Abende mit ihnen verbringen und ihre gesellschaftlichen Kreise eingeführt wird, glaubt sie zunächst alles gefunden zu haben, wonach sie sich je gesehnt hat. Andererseits bröckelt die Fassade schnell. Frances ist reflektiert genug, zu erkennen, dass sie dennoch nicht dazu gehört: Anerkennung kann man eben nicht kaufen. Sie zahlt einen hohen Preis für die ersehnte Gesellschaft des Paares - nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch in seelischer. Dies wird noch deutlicher, als James als Dritter im Bunde zur illustren Runde hinzustößt. Eine Romanze, die im Anfangsstadium vielleicht noch möglich erscheint, ist zum Scheitern verurteilt - auch da Alix im Hintergrund die Fäden entsprechend zieht. Frances zieht sich zurück und sucht wieder Zuflucht im Schreiben, dass sie zwischenzeitlich hoffnungsfroh aufgegeben hatte, im Glauben, von Alix und Nick zumindest nun endlich gesehen zu werden.

    Brookner beherrscht die Kunst des Schreibens. In eindringlicher und prägnanter Sprache zeichnet sie ein Psychogramm einer einsamen Frau, die davon träumt, gesehen zu werden. Die Einsamkeit seziert sie förmlich, so dass diese fast schon auf mich übergriff und deutlich zu spüren war. Das muss man als AutorIn erst einmal schaffen. In sprachlicher und stilistischer Hinsicht habe ich nichts zu bemängeln. In inhaltlicher Hinsicht dreht sich alles um Frances, die permanent unter ihrer Einsamkeit Leidende, die den Ausgang aus ihrem tristen Leben nicht findet und ausgerechnet dort Heilung sucht, wo dies völlig aussichtslos ist. Ihre Faszination für Nick und insbesondere Alix, die quasi das Gegenmodell des Lebens repräsentieren, das sie selbst führt, ist mir zumindest teilweise ein Rätsel geblieben. Es zeichnet sich ja bereits früh ab, dass Frances von ihnen ausgenutzt wird, die Bekanntschaft ihr nicht gut tut. Dass sie von Alix ausgerechnet bei dem Namen gerufen wird, den sie so sehr verabschaut - Fanny - ist hierfür nur ein Indiz neben vielen anderen. Tatsächlich erkennt Frances dies alles, ist aber doch außerstande, sich zu befreien. Es scheint, dass sie mit aller Kraft und um jeden Preis versucht an dem festzuhalten , was ihr letztlich nicht gut tut. Das war für mich als Leserin mitunter schwer auszuhalten. Letztlich ist es aber vielleicht auch ein realistisches Bild von Personen, die permanent verkannt werden, unsichtbar bleiben und so aus der Welt herausfallen. Ihnen bleibt am Ende als allerletzter Hoffnungsschimmer nicht ganz der Vergessenheit anheim zu fallen wohl nur, ihre Geschichte aufzuschreiben: Seht mich an! Bitte!!!

    Ein lesenswertes Buch, das ich gerne weiter empfehle.

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  1. Eine Vivisektion

    Frances Hinton ist eine intelligente, gebildete und wohlhabende junge Frau. Sie lebt mit der Haushälterin ihrer verstorbenen Mutter in einer großzügigen Wohnung in London. Ihre Arbeitsstelle gefällt ihr: sie arbeitet als Archivarin in einer medizinischen Bibliothek und ist kunsthistorisch versiert. Die äußeren Rahmenbedingungen sind also beneidenswert.

    Aber Frances leidet. Sie leidet unter einer beklemmenden Einsamkeit und schaut voll Schmerz auf das gesellige Leben der anderen, das diese mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit führen, um die sie Frances beneidet. Sie, Frances, gehört nicht dazu, sie ist unauffällig und wird übersehen wie ein Möbelstück ihrer Arbeitsstelle – und würde doch so gerne dazugehören. In dieser Situation lernt sie das Paar Alix und Nick kennen: ein glamouröses Paar, das einen exaltiert-snobistischen Freundeskreis unterhält, in den Frances aufgenommen wird. Endlich: sie wird gesehen! Ihr einsames Leben ist beendet!

    Sie registriert allerdings sehr genau die herablassende und dominierende Art, mit der v. a. Alix in dem Freundeskreis und auch ihr gegenüber den Ton angibt. Alix stammt aus einer zwischenzeitlich verarmten Familie von Großgrundbesitzern und wird nicht müde, auf ihre ehemals herausragende gesellschaftliche Position zu verweisen. Sie fühlt sich daher allen überlegen und nimmt für sich das Recht in Anspruch, andere zu mindern, der Lächerlichkeit preiszugeben und vernichtende Urteile zu fällen. Alix fehlt jede Empathie. Sie geht über die Bedürfnisse anderer hinweg und lässt niemals einen Zweifel daran, dass sich jeder ihrem Willen unterordnen zu habe. So werden z. B. Einladungen von entfernten Freunden zwar zugesagt, aber kurzfristig nicht wahrgenommen, weil das Wetter zum Flanieren einlädt.

    Das alles beobachtet Frances sehr genau. Mit einer unglaublichen Präzision beobachtet sie sowohl Alix und ihren Zirkel als auch sich selbst. Sie erkennt schließlich sehr schmerzhaft, dass sie nicht als Freundin gesehen und geschätzt wird, sondern nur ein Beobachtungsobjekt des Paares ist, das sie zudem finanziell ausnutzt. Sie wird zwar nun endlich gesehen, aber umgekehrt wird sie von dem Paar beobachtet, mitleidlos und voyeuristisch, ausschließlich zu seinem eigenen Vergnügen, so wie es auch das Leben der anderen „Freunde“ nur unter dem Aspekt der eigenen Unterhaltung sehen kann.

    Mit ihrer glasklaren, völlig schnörkellosen Sprache seziert die Autorin ihre Protagonistin, und zwar mit einer Gnadenlosigkeit, die mir stellenweise den Atem nahm. Mir kam es so vor, als ob sie Frances nicht nur sezierte, sondern fast skelettierte: schonungslos und unbestechlich.

    Lese-Empfehlung!

    5/5*

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  1. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit

    Anita Brookner (1928 - 2016) begann erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben. Die Kunsthistorikerin war dann aber im Laufe ihres Lebens mit insgesamt 24 Romanen sehr produktiv. Meist stehen alleinstehende, einsame Frauen in deren Fokus, so dass es nahe liegt, dass die Autorin auch autobiografische Erlebnisse in ihren Büchern verarbeitete.

    Frances Hinton, die Ich-Erzählerin, erzählt ihre Geschichte in der Retrospektive. Sie träumt schon lange davon, einen großen Roman zu schreiben. Mit dieser Geschichte will sie sich der schmerzhaften Vergangenheit stellen. „Sich erinnern heißt, dem Feind ins Angesicht zu sehen. In der Erinnerung liegt die Wahrheit.“ (S. 5) Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Frances allein mit dem Hausmädchen in ihrer geerbten, musealen Wohnung. Tagsüber arbeitet sie in einer medizinischen Fachbibliothek. Die Begegnungen mit den etwas schrulligen Kollegen und Bibliotheksbesuchern sind ihr Lebensinhalt, vor dem Wochenende fürchtet sie sich regelrecht. Frances sehnt sich nach Abwechslung, nach Leben. Sie möchte ihrem grauen Dasein entwischen und gesehen werden.

    Als sie den Mediziner Nick Fraser mit seiner extrovertierten Frau Alix näher kennenlernt, scheinen sich Frances´ Wünsche zu erfüllen. Alix wirkt wie ihr eigener Gegenentwurf. Sie sieht in diesem oberflächlichen Glamourpaar ihre Eintrittskarte ins Glück und ist zunächst überrascht, dass sich die beiden überhaupt ihrer annehmen. Nach anfänglichen wechselseitigen Einladungen verbringen die Drei immer mehr Zeit zusammen. Frances idealisiert und überhöht das Paar einerseits. Andererseits unterzieht sie deren Verhalten zumindest im Nachhinein einer kritischen Bewertung: „Ich war der Bettler bei ihrem Festmahl, der ihnen allein durch seine Gegenwart bestätigte, dass sie reicher waren als ich. Oder als ich auch nur hoffen konnte, es je zu werden.“ (S. 79) Wobei es hier definitiv nicht um materiellen Reichtum geht, denn darin ist Frances dem Paar – sehr zu Alix´ Missfallen – bei Weitem überlegen. Frances ist es, die die meisten Restaurantrechnungen bezahlt.

    Frances schildert die Entwicklung der Freundschaft weitgehend chronologisch. Sie sieht deren Sog und Gefahren, kann sich aber nicht bremsen. Zu verlockend sind die lebhaften Unternehmungen, die Kontakte zum illustren Bekanntenkreis der Frasers. Spannend wird es, als mit James Anstey ein weiterer Mann zu dem Trio hinzustößt, der sich insbesondere für Frances zu interessieren scheint. Als Leser beobachtet man die Beiden mit positiven Gefühlen, weil man Frances wünscht, dass sie mit James einen Weg aus der Isolation findet.

    Die Beziehungen innerhalb dieser Vierergruppe entwickeln sich wenig vorhersehbar. Frances´ schreibende Perspektive geht den wechselseitigen Konstellationen auf den Grund. Sie hat viel Zeit damit verbracht, die Entwicklung dieser Freundesgruppe genau zu analysieren und das Verhalten Einzelner auszudeuten. Das Wechselbad der Emotionen wird absolut glaubwürdig und nachvollziehbar beschrieben. „Jetzt wurde mir auf einmal klar, was es für mich wirklich mit dem Schreiben auf sich hatte und hat. Es ist die Buße dafür, nicht glücklich zu sein, ein Versuch, die anderen zu erreichen und sich so ihre Liebe zu erwerben.“ (S.118)

    Dieser Roman hat mich von der ersten Zeile an gepackt und nicht mehr losgelassen. Er ist literarisch hochwertig gemacht und wird von einer konstanten Melancholie durchzogen, während er das Innenleben einer einsamen Frau beschreibt, die nach einer schlechten Erfahrung zutiefst verunsichert ist. Frances´ nüchterner Analyse der Ereignisse bin ich sehr gerne gefolgt. Wir erfahren nach und nach vieles aus Frances´ Vergangenheit, was Aufschlüsse für ihr ambivalentes Verhalten gibt. Auch die Nebenfiguren werden perfekt ausgeleuchtet, manche davon scheint eine negative Vorsehung für die Protagonistin darzustellen. Vieles steht zwischen den Zeilen geschrieben. Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Lebenswelten enthält reichlich dramaturgisches Potential, das dank Frances´ Selbstbeherrschung jedoch meist nicht zum Ausbruch kommt.
    Insofern gestaltet sich der Roman eher ruhig und unaufdringlich. Man braucht etwas Geduld, weil er sich fast ausschließlich mit Frances´ Innensicht beschäftigt.

    Anita Brookner ist eine famose Beobachterin. Sie muss über große Menschenkenntnis verfügen, sonst wäre ihr dieses Psychogramm nicht so gut gelungen. Die sprachliche Ausgestaltung empfinde ich als einen Genuss, die Autorin beherrscht ihr Fach, sie schreibt wortgewandt, präzise und klar. Es ist dem Übersetzer Herbert Schlüter perfekt gelungen, diese Akkuratesse ins Deutsche zu übertragen. Die Sprache passt zur Erzählerin und zur Erzählzeit der 1960er Jahre.

    Ich konnte Frances´ Sehnsüchten und Gedanken jederzeit folgen, auch wenn sie aufgrund ihrer Distinguiertheit nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist. Der Roman leuchtet das Phänomen der Einsamkeit in vielen Facetten aus. In Zeiten, in denen Familien auseinanderbrechen und immer mehr Single-Haushalte entstehen, darf man das Thema als zeitlos betrachten. Das informative Nachwort hat passenderweise Daniel Schreiber, Autor des Buches „Allein“ (Hanser Berlin, 2021), verfasst. Er ordnet „Seht mich an“ in das Gesamtwerk der Autorin ein und liefert Interpretationsideen.

    Für mich war der Roman ein intensives Leseerlebnis. Ich wünsche diesem modernen Klassiker viele Leser und spreche eine große Leseempfehlung aus.

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  1. Man braucht echte Freunde um gesehen zu werden

    Man braucht echte Freunde um gesehen zu werden

    "Seht mich an" von Anita Brookner hat mir stellenweise sehr viel Kopfzerbrechen beschert. Die Rahmenhandlung an sich gefällt mir, doch leider bin ich mit der Art der Protagonistin überhaupt nicht warm geworden. Die Tatsache, dass die Autorin in ihren Romanen immer ähnlich verlorenen Frauen eine Stimme gibt, weil sie selbst sich in deren Rolle sieht, konnte das Werk für mich ebenfalls nicht aufwerten. Dennoch glaube ich, dass dieser Roman durchaus Freunde finden wird.

    Es geht um eine junge Frau, Frances, genannt Fanny, Hinton. Sie verlor vor einiger Zeit ihre Mutter, die sie bis zum Ende gemeinsam mit dem Hausmädchen Nancy gepflegt hat. Die Mutter hinterlässt ihr eine Menge Geld und ein altmodisch eingerichtetes, aber nobles Apartment. Nancy, selbst schon alt, darf wohnen bleiben, Fanny ist froh, wenigstens ab und an mal mit jemandem sprechen zu können, außerdem hat Nancy den beiden Frauen immer ergeben geholfen, es wäre herzlos, sie nun aus der gewohnten Umgebung zu reißen.
    Beruflich geht Fanny einem Job in einer wissenschaftlichen Bibliothek nach, eine der Arbeitskolleginnen und deren Eltern besucht sie ab und an, ansonsten ist sie sehr einsam. Als sich dann die Chance bietet mit Nick, den sie durch die Arbeit kennt, und dessen Frau Alix auszugehen, nimmt Fanny begeistert an. Sie will unbedingt dazugehören, merkt selbst, dass Alix immer im Mittelpunkt stehen muss, und sie dabei nur Mittel zum Zweck ist, doch sie schafft es lange nicht sich aus dieser toxischen Freundschaft zu lösen.

    Fanny sollte dem Leser eigentlich leid tun, doch ich habe mich eher geärgert über so viel Augenwischerei. Sie erkennt die Problematik, sieht das Dilemma in dem sie steckt, doch sie lässt sich weiter manipulieren. Als mit James ein weiterer Charakter ins Spiel kommt hatte ich kurz die Hoffnung, dass Fanny aus ihrer negativen Spirale herausfindet, doch auch hier lässt sie sich alles aus der Hand nehmen. Für die Handlung hätte dies ein großes Plus bedeutet, so ging es stattdessen weiter im selben Trott. Beim lesen konnte ich kaum glauben, dass es so gut wie keine positive Entwicklung gibt, genau das hätte ich mir gewünscht.

    Im Vorfeld hatte ich sehr viel positives über die Autorin gehört, doch meine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Ich habe einfach keinen Zugang gefunden. Wer weiß, vielleicht starte ich mit einem der anderen Romane einen neuen Versuch……

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  1. 4
    11. Apr 2023 

    Bedrückend

    Gesehen werden wünscht sich Frances Hinton, die Ich - Erzählerin des Romans, eine Frau Ende Zwanzig. Sie arbeitet in der Bibliothek eines medizinischen Forschungsinstituts, wo sie das Bildmaterial archiviert. Nach Feierabend kehrt sie in ihre große düstere Wohnung zurück. Hier ist alles noch so wie zu Lebzeiten ihrer Eltern. Doch seit dem Tod der Mutter bewohnt sie es gemeinsam mit der älteren irischen Haushälterin, die schon ihre Eltern versorgt hat.
    Als Ausweg aus ihrer Einsamkeit, sieht sie das Schreiben. Gerne setzt sie sich abends hin und versucht, ihre täglichen Beobachtungen in Worte zu fassen.
    Es ist ein langweiliges Leben, das Frances führt, nicht passend für ihr Alter. Dessen ist sie sich sehr wohl bewusst. Obwohl sie das Alleinsein gewohnt ist, sehnt sie sich nach mehr Geselligkeit, etwas Beachtung.
    Da wird sie, völlig überraschend, in den Kreis um Nick Fraser, Wissenschaftler am Institut und dessen Frau Alix hineingezogen. Frances ist fasziniert von dem glamourösen Paar, bewundert Alix für ihre Selbstsicherheit und ihre Spontanität. Gemeinsame Abendessen in Restaurants, Ausflüge statt einsame Abende daheim, Frances blüht auf. Und als sich dann James, ein geschiedener Kollege von Nick, zum Trio gesellt, scheint sich für die Protagonistin alles ins Positive zu wenden. Eine zögerliche Liebesbeziehung bahnt sich an. Doch Alix intrigiert im Hintergrund.

    Anita Brookner entwirft hier das Psychogramm einer zutiefst einsamen Frau. Ihr Wunsch nach mehr Beachtung, nach Freundschaft und Liebe ist nur zu verständlich. Anschauungsmaterial, wie sie selbst enden könne, hat Frances einige vor Augen. Ihre Kollegen in der Bibliothek sind alle mehr oder minder allein. Da gibt es Dr. Simek, ein Flüchtling aus einem osteuropäischen Land, oder Mrs. Halloran, die ihre Einsamkeit mit zu viel Alkohol zu vergessen sucht. Das traurigste Beispiel aber ist eine mittlerweile pensionierte Kollegin, die Frances pflichtbewusst einmal im Monat besucht.
    Aber so sehr Frances das gesellige Leben im Kreis der Frasers genießt, spürt sie doch sehr schnell, dass hier vieles nur Show ist. Das Paar braucht und benutzt sie als Zuschauer ihrer selbst. „ Ich war der Bettler bei ihrem Festmahl, der ihnen allein durch seine Gegenwart bestätigte, dass sie reicher waren als ich.“ Sie sieht sie in ihrer ganzen Gier, als Menschen, die sich einfach nehmen, was sie wollen.
    Sie durchschaut auch bald Alix intrigantes und manipulatives Verhalten. Doch dies alles scheinen ihr notwendige Eigenschaften zu sein für ein Leben im Licht.
    Frances ist eine kluge und scharfsinnige Beobachterin. Sie seziert das Verhalten ihrer Mitmenschen sehr genau, erfasst deren Schwächen und Fehler. Und genau so scharf und unbarmherzig analysiert und reflektiert sie sich selbst. Trotzdem, und das ist so quälend beim Lesen, zieht sie erst sehr spät die Konsequenzen. Man fragt sich, warum sie sich unbedingt an dieses oberflächliche Paar hängen muss. Sie spürt doch deutlich, dass sie nicht zu diesen passt und von ihnen nur verspottet und ausgenutzt wird. Aber ihr Wunsch ist zu stark, dazuzugehören, das Leben zu genießen, sich das zu nehmen, was ihr vermeintlich zusteht. Es sind viele unwürdige Szenen, viele Demütigungen nötig, bis sich Frances zurückzieht. Zukünftig wird sie das Alleinsein zum Schreiben nutzen, die Mitmenschen als Anschauungsmaterial sehen und Anerkennung als Schriftstellerin zu finden.
    Anita Brookner versteht es mit ihrer Sprache zu überzeugen. Klar und ohne Schnörkel dringt sie bis ins Innerste ihrer Figuren. Doch es ist bedrückend, sich in Frances Gedankenwelt hineinzubegeben. Sie orientiert sich an Menschen, die in ihrem Egoismus und ihrer Oberflächkeit abstoßen, will ihnen ähneln, um einer Gemeinschaft zugehörig zu sein. Dabei entspricht das überhaupt nicht ihrem Wesen. Auch ihre Widersprüchlichkeit irritiert. Erst als James sich wieder von ihr abwendet, spricht sie von Liebe. Zuvor meidet sie das Wort, wehrt sich gegen die Größe dieses Gefühl. Will sie überhaupt eine engere Bindung? Ich glaube nicht.

    Anita Brookner schafft Szenen und Bilder voller Eindringlichkeit, die lange im Gedächtnis bleiben, so z. B. der letzte Besuch bei der früheren Kollegin Miss Morpeth oder die Szene im Waschsalon an Weihnachten.
    Die Lektüre von diesem Roman war für mich zwiespältig. Einerseits schätze ich die literarische Qualität; sprachlich und stilistisch bewegt sich die Autorin auf hohem Niveau. Dazu kommen zahlreiche kluge nachdenkenswerte Sätze, wie gleich zu Beginn: „ Sobald eine Geschichte bekannt geworden ist, kann sie nie wieder unbekannt werden. Allenfalls kann man sie vergessen. Doch solange sie in unserem Gedächtnis lebt, wird sie, die Zeit überwindend, auch unsere Zukunft bestimmen.“
    Aber ein Vergnügen war es nicht, dieses Buch zu lesen. Das liegt weniger an der Handlungsarmut, sondern an den Figuren, allesamt anstrengend. Auch wenn ich Mitleid mit Frances habe, so konnte ich keine wirkliche Beziehung zu ihr aufbauen. Zu widersprüchlich, zu zögerlich ist ihr Agieren. Jedoch zeugt es von Brookners Können, ihre Protagonistin in ihrer Komplexität glaubwürdig darzustellen.
    Der Roman spielt in den 1960er Jahren, wirkt aber wie aus der Zeit gefallen. Die altjüngferliche Hauptfigur hätte ich Jahrzehnte früher verortet. Auch das gesellige Leben der Frasers passt für mich nicht zum Bild der Swinging Sixties in London.
    Allerdings ist Einsamkeit ein zeitloses Phänomen.
    Daniel Schreiber, Autor des Essays „Allein“, hat zum Roman ein erhellendes Nachwort geschrieben. Er scheint durch seine letzte Veröffentlichung bestens geeignet zu sein, sich über einen Roman über die Einsamkeit Gedanken zu machen. Er liefert neben seiner Interpretation zusätzliche Informationen zur Autorin Anita Brookner, deren Leben Parallelen zur Hauptfigur aufweist. Sie teilen eine ähnliche Familiengeschichte und beide finden im Schreiben ihre Erfüllung.
    Anita Brookner , 1928 in London geboren, debütierte spät als Schriftstellerin . Erst im Alter von 52 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Roman „ Ein Start ins Leben“. Davor arbeitete sie als studierte Kunsthistorikerin an verschiedenen Universitäten und veröffentlichte Sachbücher zur französischen Malerei.
    Bis zu ihrem Tod im Jahr 2016 verfasste sie insgesamt 24 Romane.
    „ Seht mich an“ ist im Eisele Verlag erschienen, ein Verlag, der es sich auch zur Aufgabe gemacht hat, in Vergessenheit geratene Autoren wiederzuentdecken. Bisher sind drei Romane von Anita Brookner dort erschienen. Empfehlen möchte ich auch das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete „ Hotel du Lac“.

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  1. "Dann ist Schreiben meine Möglichkeit, von mir zu reden"

    Schon auf den ersten Seiten charakterisiert sich die Erzählerin selbst - gleichsam im Vorübergehen: "Ich heiße Frances Hinton, und ich schätze es nicht, wenn man mich Fanny nennt" stellt sie sich vor und sagt fortan kein Wort mehr dazu, dass von der ersten bis zur letzten Szene sie (beinahe) jeder mit Fanny anspricht. Dass sie Übergriffe ohne Gegenwehr hinnimmt, ist eine ihrer wichtigsten Eigenschaften.

    Frances ist ungefähr Mitte zwanzig und arbeitet in einer medizinischen Bibliothek in London. Sie lebt allein in einer riesigen, übermöblierten Wohnung, die sie von ihren Eltern geerbt hat, mitsamt der ältlichen Bedienerin. Als alleinstehendes Mädchen findet die konservative und unauffällige Frances ihr Dasein recht trist, aber da sie eine scharfe Beobachterin ist, pflegt sie sich in ihrer Freizeit mit dem Schreiben von Geschichten zu unterhalten, die sogar gedruckt werden. Ermutigt beginnt sie einen Roman, doch ihr Eifer lässt nach, als sie sich an Alix und Nick anschließt. Nick ist Arzt und regelmäßiger Gast in der Bibliothek. Die beiden nehmen Frances unter ihre Fittiche.

    Die Erzählerin gibt sich alle Mühe, uns Lesern nahezubringen, welche Faszination das charismatische Paar auf sie ausübt. "Ich bewundere sie (solche Menschen), so wie ich eine Naturerscheinung, zum Beispiel einen Regenbogen, ein Gebirge oder einen Sonnenuntergang bewundere. Es ist mir klar, dass sie vielleicht gar kein wahres Verdienst haben", stellt sie klarsichtig fest (S. 19). Nick und besonders Alix sind großspurig unverschämt zu ihr, was sie für Frances nur um so attraktiver macht: "Ich gäbe meine gesamte Produktion von Worten hin", erklärt die junge Schriftstellerin, "von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen, wenn ich dafür einen leichteren Zugang zur Welt bekäme und wenn ich sagen dürfte: (...) Seht mich an!" Und dazu stehe ich." (S. 118) Frances ist eine verletzte Seele; in ihrer Vergangenheit gibt es einige halb verdrängte Tragödien. Der rücksichtlose Egoismus des jungen Ehepaars führt zu einer weiteren.

    Frances' Erzählung wirkt wie aus der Zeit gefallen; auch bei aufmerksamem Lesen kommt man zu keiner klaren Vorstellung, wann die Geschichte spielt. Einige Hinweise deuten darauf hin, dass wir uns in den Sechzigerjahren in London befinden. Eine attraktive junge Frau mit Geld (Frances hat ein Vermögen geerbt) hätte jede Menge Möglichkeiten, ein ausgefülltes, spannendes Leben zu führen, jedenfalls im Vergleich zu den Frauen der vorhergehenden Generationen. Frances' Beobachtungsgabe ist scharf und unbestechlich, ihre Schilderungen sind treffend. Es könnte alles gut werden - wenn sie aus ihrer Haut könnte. Statt dessen richtet sie sich in der Position der zurückhaltenden Beobachterin ein und ruft in Gedanken immer wieder vergeblich "Seht mich an!" - was zum Leitmotiv des Buches wird. "Wer ernst ist, der ist selten ein willkommener Gast. Alles muss irgendwie in Unterhaltung umgewandelt werden." (S. 229) So fußt der ganze Roman auf einem Widerspruch: wir lesen ein Buch, das nicht zustande gekommen wäre, wenn die Erzählerin so gesehen würde, wie sie es gern hätte - aber andererseits tun wir ja als Leser genau das, was sie sich wünscht: wir sehen sie an. Es spricht einiges dafür, dass die Autorin Anita Brookner sich wenigstens andeutend selbst in diesem Buch porträtiert hat; jedenfalls teilt sie mit der Heldin und Erzählerin einige Lebensdaten.

    Warnung: Das Buch ist nicht im üblichen Sinne spannend, nicht handlungsreich und hat kein Happy End. Viele Leser werden es vermutlich deprimierend finden. Es ist ein psychologischer Roman, in dem man vieles zwischen den Zeilen erlesen muss und einige Fragen unbeantwortet bleiben. Trotzdem habe ich das Buch - gerade wegen seiner Widersprüchlichkeit und sprachlichen Schärfe - sehr genossen.

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  1. Ein Psychogramm der Einsamkeit

    Frances Hinton arbeitet in der Bibliothek eines medizinischen Forschungsinstituts und verwaltet dort das Bildmaterial, das sich vor allem dem menschlichen Wahnsinn in seinen verschiedensten Formen widmet. Privat fühlt sie sich häufig einsam und allein. Sie lebt nach dem Tod ihrer Mutter noch immer mit der gemeinsamen Haushälterin zusammen und auch die Männerwelt liegt ihr nicht unbedingt zu Füßen. Als sie Nick Fraser, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, und dessen Frau Alix näher kennenlernt, scheint sie der Einsamkeit Schritt für Schritt entfliehen zu können. Doch zu welchem Preis? Denn die beiden entpuppen sich als besitzergreifend und rechthaberisch und versuchen, immer größeren Einfluss auf Frances' Leben nehmen zu wollen...

    "Seht mich an" ist der dritte Roman von Anita Brookner (1928 - 2016), der als deutsche Übersetzung bereits 1987 erschien und nun in einer neuen Ausgabe des Eisele Verlag, versehen mit einem informativen Nachwort von Daniel Schreiber, erneut veröffentlicht wurde. Der Verlag folgt damit seiner Prämisse, in Vergessenheit geratene Autorinnen wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, wie zuletzt so bewegend und erfolgreich mit Margaret Laurence und ihrem Roman "Eine Laune Gottes". Für ihren bekanntesten Roman "Hotel du Lac" gewann Brookner 1984 den Booker Prize, der kurz darauf zudem fürs Fernsehen verfilmt wurde.

    Eher Fernsehfilm- als Kinoniveau hat dann auch "Seht mich an", obwohl das Buch durchaus vielversprechend beginnt. Ich-Erzählerin Frances reflektiert klar und präzise über ihre Arbeit und die Verbindung zwischen Kunst und Wahnsinn. Dabei merkt man der Autorin ihren kunsthistorischen Hintergrund an, ohne dass dieser belehrend oder artifiziell wirken würde. Vielmehr weckt Brookner in wenigen Worten großes Interesse an ihrer Protatonistin und deren Tätigkeit. Problematisch ist allerdings, dass sich dieses Interesse im Folgenden nicht aufrechterhalten lässt.

    Denn die Hauptfigur entpuppt sich als relativ farblos und langweilig. Attribute, die sich ohne Weiteres leider auf den Roman im Ganzen übertragen lassen. Ein Grund dafür sind die Figuren und ihre fehlende Entwicklung. Frances, eigentlich eine kluge Frau, verfällt den vermeintlich charismatischen Nick und Alix mit Haut und Haar. Dabei ist an Alix das Aufregendste schon der Name. Ansonsten entpuppen sich die beiden als nerviges Spießerpaar, das Bohemiens gleichen soll, aber beim Fernsehabend mit Pralinen nur um sich selbst kreist. Es bleibt völlig unverständlich, was Frances an ihnen findet, wodurch dem Roman gleichsam seine Grundlage entzogen wird. Über weite Strecken plätschern die angenehme, aber selbst für 1983 etwas altmodische Sprache und die stagnierende Handlung ohne große Überraschungen oder Aufreger vor sich hin. Man folgt Frances in ihren Gedanken, in ihrem Alltag, ihrer Langeweile, die sich nahtlos auf die Leserschaft überträgt und ihrer Einsamkeit.

    Trotzdem gelingt es Anita Brookner im Mittelteil plötzlich, für einen kurzen Moment einen veritablen Spannungsbogen zu erzeugen. Frances plant einen Weihnachtsurlaub mit Nicks Kollegen James, zu dem eine Liebesbeziehung möglich scheint. In der Folge geht es darum, diesen vor Nick und Alix so gut wie möglich zu verheimlichen. Dabei beginnt Alix, die Protagonistin in der Bibliothek mit ihren Anrufen zu stalken. Man fiebert in dieser Phase mit der ansonsten unzugänglichen Hauptfigur, die es so gut wie nie schafft, so etwas wie Empathie mit ihr zu empfinden. Doch so schnell diese Ideen auftauchen, so zügig werden sie wieder verworfen. James zieht aus der Wohnung seiner Mutter aus, um bei Alix und Nick zu wohnen, obwohl er sich in deren Anwesenheit merklich unwohl fühlt. Warum? Das bleibt leider Anita Brookners Geheimnis, denn aus den insgesamt wenig komplexen Figuren lässt es sich nicht herauslesen.

    So funktioniert "Seht mich an" nur teilweise als psychologisches Drama über die Einsamkeit. Hervorzuheben bleibt dennoch, das wirklich wunderbare Anliegen des Verlags, vergessene Autorinnen wieder in Erinnerung zu rücken. Ich persönlich freue mich aber lieber auf die nächste Margaret Laurence-Veröffentlichung, als es noch einmal mit einem Brookner zu versuchen.

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  1. 3
    27. Mär 2023 

    Kann man sich ansehen, muss man aber nicht

    Der Eisele Verlag hat die 1928 geborene und 2016 verstorbene Anita Brookner, welche mit „Hotel du Lac“ 1984 den Booker Prize gewonnen hat, für den deutschen Markt wiederentdeckt und bringt nun – einheitlich mit vorangegangenen Veröffentlichungen – den Roman „Seht mich an“ aus dem Jahre 1983 heraus.

    Wie einige andere Romane der Autorin beschäftigt sich auch dieser mit der Einsamkeit einer alleinstehenden Frau, jungen bis mittleren Alters, die wohl recht nah an der Autorin selbst angelegt ist. Frances arbeitet als Mitarbeiterin einer medizinischen Bibliothek, welche sich auf die Darstellung von Erkrankungen und Tod in vergangenen Jahrhunderten beschäftigt. Sie lebt allein in der Wohnung ihrer bereits verstorbenen Eltern. Die Mutter pflegte sie noch bis vor zwei Jahren zusammen mit der Haushälterin Nancy, welche die Bedienstetenkammer bewohnt, bis zum Tod. Nun ist nur noch Nancy als Mitbewohnerin in dieser dunklen, altmodischen Wohnung in London übrig. Frances‘ Familie erwirtschaftete „neues“ Geld, weshalb Frances auch jetzt noch recht wohlhabend ist. Trotz allem fühlt sie sich in ihrem Alltag allein und findet erst Kontakt zur Welt, als das schillernde Ehepaar Nick und Alix, welche „altes“ Geld durch die Kolonialgeschichte Großbritanniens besitzen, sie auserwählt, um ihrer Freundschaft würdig zu sein.

    Der Roman beginnt mit hochinteressanten Betrachtungen zu Bildnissen von Wahnsinn, Depressionen und Tod in der Kunstgeschichte, sowie einer kurzen Vorstellung der Figuren, welche sich in der besagten Bibliothek herumtreiben. Mit einer sehr präzisen und literarisch niveauvollen Sprache beschreibt Brookner nicht nur diese Bildnisse sondern auch Frances und ihr Umfeld. Atmosphärisch bekommt mein ein Gefühl für ihre beklemmende Wohnung aus einem vorherigen Jahrhundert wie auch für ihre beklemmende Lebenssituation und dem Hadern mit der Einsamkeit sowie dem Wunsch nach sozialer Anerkennung ihrer Person. Nach diesen ersten ca. 70 Seiten verfällt jedoch der Roman leider in eine ständige Wiederholung Frances‘ hadern mit sich und der Welt. Sprachlich zwar weiterhin brillant aber inhaltlich zunehmend nervig gestaltet Brookner die Innenansicht der Ich-Erzählerin Frances. Diese hat in ihrem sozialen Umfeld einige „prototypische“ Einsame und möchte keinesfalls so enden wie diese, weshalb sie sich den auf den ersten Blick unsympathischen und ausnutzenden Nich und Alix anbiedert. Zwischenzeitlich analysiert sie sogar immer wieder, wie falsch diese beiden handeln und wie falsch sie auch für Frances sind, trotzdem sucht sie immer wieder den Kontakt, möchte sie unbedingt von diesen beiden Menschen gesehen werden. Kurze Erleichterung beim lesen kommt auf, als ein potentieller Liebespartner für Frances auftaucht, nur leider entwickelt sich auch daraus nichts Gutes.

    So bewegt sich dieser Roman über mindestens die restlichen 200 Seiten immer wieder vor und zurück. Wie bei einer Flimmerbewegung kreist Frances immer wieder um dieselben Probleme, kommt aber nicht vom Fleck. Eine Entwicklung macht die Figur Frances also leider nicht durch, sie zeigt keinerlei Veränderungspotential. Und so wie die Figur Frances in ihrer Position als alleinstehende „alte Jungfer“ scheinbar eingefroren erscheint, so eingefroren erscheint auch sie und ihr Umfeld in der Zeit. Der Roman wurde 1983 geschrieben, spielt aber schätzungsweise – und wie man aus dem Nachwort von Daniel Schreiber entnehmen kann – Mitte/Ende der 1960er Jahre, den Swinging Sixties, der Zeit kurz bevor und während junge Menschen den Mief der alten Zeit abschütteln wollten und dann sogar politisch aktiv wurden und auf die Straße gingen. Davon merkt man diesem Roman überhaupt gar nichts an; nicht einmal dem schillernden Ehepaar Nick und Alix. Alle Figuren ebenso wie das Wohnumfeld und die gesellschaftlichen Normen scheinen hier wie aus der Zeit gefallen. In Kombination mit der altbackenen - wie gesagt, wenn auch tollen, präzisen - Schreibe der Autorin wirkt es so, als würde man einen Roman aus dem 19. Jahrhundert lesen. Auch wenn das Thema Einsamkeit grundsätzlich zeitlos ist, da es in jeder Generation, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und mit anderen Belastungen, auftritt, so erscheint der vorliegende Roman hingegen nicht zeitlos, sondern hingegen wirklich nicht gut gealtert. Trotz der scharfsinnigen Sätze der Autorin bin ich ob der stillstehenden Handlung mitunter eingenickt beim Lesen. Das ist leider nie ein gutes Zeichen bezüglich einer Lektüreerfahrung.

    Das Nachwort von Daniel Schreiber, Autor des kürzlich veröffentlichten Essaybandes „Allein“, ist durchaus lesenswert, da es den Romaninhalt mit der Biografie Anita Brookners in Zusammenhang bringt. Mit manchen seiner Deutungen des Romans, sowie seiner Idee im Roman finde sich „kühler Humor“, gehe ich zwar nicht konform. Trotzdem handelt es sich bei dem Text um eine gute, mitunter erhellende Ergänzung zum Roman.

    Ich hätte sehr gern mit dem sehr klug ausformulierten Schreibstil der Autorin ein inhaltlich interessanteres, also ein anderes, Buch gelesen. So kann ich abschließend „Seht mich an“ nicht unbedingt empfehlen, wenngleich ich es nicht unglaublich schlecht finde. Das Buch ist okay, wird aber das letzte sein, welches ich von der Autorin gelesen habe, gerade weil sich ihre Werke inhaltlich recht stark ähneln sollen.

    3/5 Sterne

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  1. 4
    26. Mär 2023 

    Schreiben statt leben

    Der dritte Roman von Anita Brookner, erschienen im Jahr 1983, erzählt von Frances Hinton, die als Archivarin in einer wissenschaftlichen Bibliothek arbeitet und komfortabel in einer ererbten Wohnung lebt. Wohlerzogen und introvertiert, steht sie stets am Rand und wünscht sich nichts sehnlicher, als mittendrin zu sein. Wie viele einsame Menschen ist sie eine scharfsichtige Beobachterin ihrer Umgebung. Erkenntnisse und Analysen hält sie in einem Tagebuch fest, aus dem irgendwann ein Roman entstehen soll. Ihr Schreiben hat das Ziel, sie sichtbar zu machen: „Es ist die Buße dafür, nicht glücklich zu sein, ein Versuch, die anderen zu erreichen und sich so ihre Liebe zu erwerben. […] Ich gäbe meine gesamte Produktion von Worten hin, […] wenn ich […] sagen dürfte: Das tut mir weh – das mag ich nicht – das will ich haben. Oder auch nur: Seht mich an!“

    Brookner umgibt Frances mit Figuren, die die von ihr so gefürchtete Zukunft bebildern: Miss Halloran, die sich in den Alkohol geflüchtet hat, Dr. Simek, der vereinsamte Pensionsbewohner, Miss Morpeth, ihre Vorgängerin im Amt, die verbittert und vergessen auf den Tod wartet. Dagegen ist sie fasziniert von einem der Wissenschaftler, der die Bibliothek frequentiert, Nick Fraser, und seiner attraktiven Frau Alix. Beide erscheinen ihr als das goldene Ideal eines Paares – selbstsicher, weltgewandt und ungehemmt hedonistisch. Es gelingt ihr, in den Kreis des Paares aufgenommen zu werden, aber das hat einen Preis, wie sie bald feststellt.

    Denn die Frasers sind Vampire, die die Lebensdramen ihrer Bekannten zu ihrer Unterhaltung missbrauchen. Exemplarisch für Brookners großartige Sprache ist, wie sie die verschlingende Gier der privilegierten Alix auch im Äußeren beschreibt. „Der Mund … war das dominierende Merkmal ihres Gesichts: die langen, schmalen Lippen, die makellosen Zähne und die hohe, weit tragende Stimme.“ Es sind ihre „Raubtierzähne“, die den Eindruck aufkommen lassen, dass Frances sich vor ihren neuen Freunden besser in Acht nehmen sollte.

    Nach einer herzzerreißenden Beinah-Liebesgeschichte beschließt sie, sich in ihrer Einsamkeit einzurichten und das Schreiben zu ihrer Profession zu machen – ein befremdlicher Beschluss für eine 25jährige. Tröstlich allein der Gedanke, dass nun Frances der Vampir sein wird, der das Leben ihrer „Freunde“ als Material verwendet - schreiben statt leben.

    Brookners klare, präzise Sprache legt wie mit dem Skalpell immer neue Schichten der Isolation und Vereinzelung frei. Ihre Lektüre hat mir ein ständiges Wechselbad beschert: Bewunderung für den ruhigen, unprätentiösen Stil der Autorin, ihre brillanten Gedanken und Überlegungen, und Irritation und Ungeduld mit dem Verharren ihrer Heldin in Umständen, die sie, objektiv betrachtet, leicht ändern könnte. Das ist über weite Strecken quälend zu lesen. Aber gerade in ihrer Widersprüchlichkeit und fatalen Bedürftigkeit ist Brookner mit Frances ein ungemein glaubwürdiger Charakter gelungen, mit dem ich mitgefühlt und gehofft habe bis zum Schluss.

    Bei aller emotionalen Intensität liest der Roman sich wie aus der Zeit gefallen. Niemals hat man das Gefühl, ein Werk aus der Neuzeit vor sich zu haben. Die Teile, die sich um die Frasers drehen, erinnern an die Buchanans aus „Der große Gatsby“ und schaffen eine Atmosphäre wie in den 30er Jahren; die Protagonistin hingegen mit ihrer keuschen Bravheit scheint den 50ern anzugehören. Frances, die „nicht unbedingt der feministischen Guerillabewegung“ angehört, passt so gar nicht in die 80er Jahre mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen. Daher habe ich, trotz des universalen Themas, den Roman auch keineswegs als zeitlos empfunden.

    Natürlich hat es zu allen Zeiten Menschen gegeben, die von den Zeitströmungen unberührt blieben. Das gilt, so ist zu vermuten, nicht nur für ihre Figuren, sondern eben auch für Brookner selbst. Dennoch, selten habe ich einen Text gelesen, der Einsamkeit in all ihren Facetten so einfühlsam und plastisch beschrieben hat.

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