Schnittbild

Buchseite und Rezensionen zu 'Schnittbild' von Anna Felnhofer
3.5
3.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Schnittbild"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
Verlag:
EAN:9783903081864

Rezensionen zu "Schnittbild"

  1. Vier Episoden ergeben ein Ganzes

    Milch: In einer Silvesternacht sitzt Fabjan an seinem Fenster, beobachtet die Welt draußen mit seiner Kamera, blickt zurück auf seine kürzlich beendete, zerstörerische Beziehung zu Lena, einer ehemaligen Schülerin.

    Mohn: Viele Jahre zuvor: Die vierzehnjährige Rahel wird als selbstmordgefährdet in die Psychiatrie eingewiesen. Ihre Therapeutin ist sehr jung, entsprechend engagiert. Doch Rahel beginnt ein ungesundes Interesse an der Frau zu entwickeln.

    Minze: Dazwischen: Eriks Frau verschwand vor sieben Jahren spurlos bei einem Italienurlaub. Er bleibt mit zwei Töchtern allein zurück, leidet, an Trauer und Schuldgefühlen.

    Marzipan: Danach: Eine Frau kann seit Tagen nicht schlafen. Es ist Hannah, die Therapeutin, die Rahel, Erik und Fabjan betreut hat.

    Schnittbild ist der Debütroman von Anna Felnhofer. Die Autorin arbeitet als klinische Psychologin und Forscherin an der Med-Uni in Wien. Bei dem Roman handelt es sich um einen Episodenroman, der sich auch genauso bezeichnet. Milch, Mohn, Minze und Marzipan sind die Titel der einzelnen Geschichten. Bindeglied ist die Therapeutin Hannah.

    Es geht um Abhängigkeiten, Grenzüberschreitungen, unterschiedliche Wahrnehmungen, vielfältige Verhältnisse zwischen Therapeut*in und Patient*in. Vieles was sich anfangs als sehr kryptisch darstellt, löst sich beim Kennenlernen der Verbindungen und Beziehungen glasklar auf. Seltsames Verhalten, bestimmte Geschehnisse, die zunächst völlig unklar sind, wie sie zur Geschichte passen ergeben plötzlich einen Sinn. Die einzelnen Episoden sind zwar voneinander abgegrenzt, Anspielungen auf frühere und spätere Handlungen, Verschiebungen der Perspektive, Sprünge in der zeitlichen Abfolge erfordern Geduld und höchste Aufmerksamkeit.

    „Es ist wahrscheinlich, dass Abhängigkeiten erst im Laufe jener Handlungen verständlich werden, die nötig sind, um diese Abhängigkeiten zu erschaffen.“

    Neben Hannah verbindet noch ein Merkmal die Episoden: Die immer wiederkehrende Erwähnung einer Fotomontage von Yves Klein. Der Sprung ins Leere, ein Zusammenschnitt zweier Bilder, von einem Mann, der scheinbar fliegt und einer bis auf einen Radfahrer leeren Straße.

    „…jedes dieser Bilder trägt seine eigene Wahrheit, aber zugleich auch das Prinzip der anderen in sich und wirkt so auf zweifache Weise: Mit einer Wahrheit, die für sich stehen kann, und mit einer, die über diese in sich geschlossene, segmentierte Wahrheit hinausweist.“

    Schnittbild ist eine Analyse von Menschen in der Krise, eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Grenzen und Auswirkungen therapeutischen Handelns. Für mich eine Erweiterung des Lesehorizonts.

    Schnittbild ist nominiert auf der Shortlist Debüt des Österreichischen Buchpreises 2021.

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  1. Intensiv, komplex und beklemmend

    „Nun ja, jedes dieser Bilder trägt seine eigene Wahrheit, aber zugleich auch das Prinzip der anderen in sich und wirkt so auf zweifache Weise: Mit einer Wahrheit, die für sich stehen kann und mit einer, die über diese in sich geschlossene, segmentierte Wahrheit hinausweist.“ (Zitat Pos. 3995)

    Inhalt
    Fünfunddreißig Jahre trennt Fabjans Geschichte, der die Welt durch die Linse seiner Leica betrachtet und auch an diesem Silvester 2016 noch nicht darüber hinweggekommen ist, dass Lena ihn verlassen hat, und die Geschichte der jungen Rahel, die als selbstmordgefährdete Vierzehnjährige im Frühling 1981 in die Psychiatrie eingewiesen wird. Eriks Geschichte liegt dazwischen, seine Frau ist 1997 bei einem Familienurlaub an der Adria spurlos verschwunden und genau an diesem Tag, sieben Jahre später, ist er im Auftrag seiner Fakultät auf dem Weg zum Forum Alpbach 2004. Sie haben eine Gemeinsamkeit: die Therapeutin, die sie in der kritischen Zeit betreut.

    Thema und Genre
    In insgesamt vier Episoden erzählt dieser Roman vier unterschiedliche Schicksale, Probleme und Konflikte von vier Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Immer wieder verschieben sich Bilder der Wirklichkeit, werden zur Iteration, zu unterschiedlichen, möglichen Versionen der jeweiligen Geschichte.

    Charaktere
    Die Autorin schreibt über Figuren in besonderen Konfliktsituationen, über die Gefahr von zu engen Beziehungen zwischen Patient und Therapeut, doch was mich irritiert, ist diese harte, analytische Sachlichkeit, mit denen sie ihre Figuren schildert, das Fehlen von Empathie mit der realen Ausweglosigkeit der Situation, in die sie ihre Figuren entlässt.

    Handlung und Schreibstil
    Die Autorin erzählt die Handlung in vier Episoden, die durch die Therapeutin miteinander verbunden sind. In der vierten Episode verschieben sich die Bilder zwischen möglicher Realität und möglicher Scheinwelt nochmals und es ergeben sich neue Sichtweisen, aber auch neue Fragen. Der Schreibstil ist analytisch, wissenschaftlich, klar und emotionslos, man erkennt darin die wissenschaftliche Qualifikation der Autorin, die selbst Psychologin ist und ihr Fachgebiet virtuelle Realitäten. Dies führt dazu, in Verbindung mit der intensiven Dichte der Problematik, der Themen und vor allem der an sich selbst scheiternden Therapeutin, dass die Handlung des Romans teilweise beklemmend, verstörend wirkt und in ihrer Vielschichtigkeit viele Fragen unbeantwortet lässt, unter anderem die Frage, was uns die Autorin mit diesem Roman sagen will, „traue keiner Therapeutin, keinem Therapeuten“?

    Fazit
    Die Grundidee der Autorin, bekannte literarische Vorbilder in psychologischen Ausnahmesituationen für die facettenreichen Konflikte ihrer Episoden heranzuziehen, aus dem ursprünglichen Zusammenhang in neue Bilder von unterschiedlichen Realitäten und scheinbaren Realitäten einzusetzen, ist genial. Die Umsetzung jedoch konnte mich nicht überzeugen.

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