Regen am Kaspischen Meer

Buchseite und Rezensionen zu 'Regen am Kaspischen Meer' von Gina B. Nahai
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Regen am Kaspischen Meer"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
EAN:9783866480773

Rezensionen zu "Regen am Kaspischen Meer"

  1. 5
    24. Jan 2017 

    Gesellschaftsroman aus dem Iran der Schahzeit

    Vieles im Gesellschaftsleben Persiens liberalisiert sich zur Schahzeit. Und doch bleiben die traditionellen Werte und Regeln so fest, dass es schier unmöglich ist, als Indiviuum der Bindung durch das Schicksal und die Stellung der Familie zu entkommen.
    Davon erzählt eindrucksvoll Gina Nahai in ihrem Roman „Regen am Kaspischen Meer“. Dass hier Vieles aus der direkten und persönlichen Erfahrung gespeist wird und eine tiefe Kenntnis der Gesellschaft des Iran Basis und Fundament dieses Romans ist, vermutet der Leser bei der Lektüre sofort. Die Vorstellung der Autorin im Klappentext als in den USA lebende politische Stimme der iranischen Juden untermauert es.
    Der Roman schildert das Leben der Bahar, die mit ihren Eltern im Teheraner Judenviertel lebt und mit ihrem zufälligen Aufeinandertreffen mit Omir, Sohn aus sehr gutem iranisch-jüdischen Hause, ein Fenster aufstößt, das neue, in dieser Gesellschaft nicht vorhergesehene Wege öffnet. Unter normalen Umständen, ohne den zufälligen Fastunfall im Straßenverkehr, wären die beiden sich niemals über den Weg gelaufen, denn ihr Handlungsrahmen wird streng von den Eltern vorgegeben. Man kennt und trifft, wen die Eltern kennen und treffen. Und da gibt es bei beiden keinerlei Überschneidungen. Und doch führt ihr zufälliges Aufeinandertreffen gegen alle Regeln bis zur Heirat. Dass das dem Leser vollkommen unverständlich bleibt – daran liegt wohl ein besonderer Reiz des Romans, denn wir bleiben mit unseren westlichen Lebenseinstellungen sehr weitgehend außen vor, was die Handlungen, Wandlungen und Motivationen der Romanfiguren angeht. Uns doch schafft es Gina Nahai, Handlung, Gesellschaft und die Entwicklung der Figuren glaubwürdig, stringent und mitreißend auch gerade für den außenstehenden, westlichen Leser zu erzählen. Was zu erwarten war, passiert: aus der Ehe wird nichts Gutes. Wenn sich Bahar erhofft hatte, durch die „Aus-der-Art-Heirat“ einen gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen und neue, nie gekannte Möglichkeiten für sich zu erschließen, so muss sie sehr bald ihren Irrtum erkennen. Nicht nur wird ihr nicht die Welt der angeheirateten Familie für die Erweiterung ihres Horizonts und ihres Lebens geboten, auch ein Zurück in die alte Familie mit ihren Beziehungen und Gefühlen ist mit der Heirat letztlich verschlossen. Ihr Wunsch nach Bildung wird genauso abgeblockt wie jede gefühlsmäßige Bindung zum Ehemann. Immer wieder aber schöpft sie Hoffnung, nicht zuletzt als sie endlich schwanger wird. Doch als es dann „nur“ ein Mädchen wird, das zudem nicht dem Schönheitsideal des Irans entspricht und eine Behinderung hat, bleibt auch das eine unerfüllte Hoffnung.
    “Sie lebte in einem Zustand des fortwährenden Verlusts – ähnlich einer Läuferin, die immer wieder ihr Bestes gibt und trotzdem immer schlecht abschneidet. Sie konnte den Kampf weder aufgeben, noch konnte sie ihn gewinnen, und so war sie gefangen zwischen dem Stolz auf ihren starken Willen und der Schande einer Niederlage. Und in diesem Zustand, in dem sie niemals Ruhe fand und ihr Streben nur noch mehr Kummer erzeugte, brachte sie mich zur Welt und erwartete, dass wenigstens ich nicht versagen würde.“
    Durch das Kennenlernen von Bahars Kampf um ihr Schicksal muss der Leser letztlich die fatalistische Bedeutung des folgenden Satzes erkennen:
    “Wir sind hier im Land der Mächtigen. Die Schwachen sollten wissen, wo ihr Platz ist.“
    Und doch ist das Spannende an dem Buch, dass Bahar eben alles versucht, diesen ihren Platz verlassen zu können. Der Leser kämpft innerlich an ihrer Seite, und scheitert so gemeinsam mit ihr.
    Der Ehemann nimmt sich öffentlich eine Geliebte, mit der er später nach Amerika auswandert. Bahars Tochter wird taub und schafft den bildungsmäßigen Aufstieg genauso wenig wie ihre Mutter es schaffte. Zudem hat sie auch nicht den Kampfesmut ihrer Mutter verinnerlicht, sondern versucht sich weitgehend in dem Rahmen, der ihr gegeben wird, einzurichten:
    “Ich bete, dass Bahar nicht noch mehr altert. Ich bete um bessere Noten und dass Omid Niyas verlässt. Am meisten bete ich um den Mut, so zu werden, wie man mich haben will.“
    Mein Fazit
    Gina Nahai vermittelt in „Regen am Kaspischen Meer“, uns, dem westlichen Leser, die Zwänge und Grenzen des Lebens im Iran, selbst zu einer seiner liberalsten Zeiten. Der Leser kämpft die inneren und äußeren Kämpfe gemeinsam mit der Romanheldin, Bahar, mit. Er wird so wie im Sog in eine Gesellschaft hineingezogen, die ihm aber dennoch auch am Ende des Buches weiterhin sehr fremd bleibt.
    Ich gebe eine klare Leseempfehlung aus.

    Das Buch ist auf Deutsch 2007 erschienen im marebuchverlag und wurde übersetzt von Brigitte Jakobeit.

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