Räume des Lichts: Roman

Rezensionen zu "Räume des Lichts: Roman"

  1. 4
    27. Mär 2023 

    Räume der Unabhängigkeit aber auch einer massiven Überforderung

    Mit „Räume des Lichts“ hat die 1947 geborene und 2016 verstorbene, japanische Schriftstellerin Yuko Tsushima 1979 einen für diese Zeit sicherlich hochmodernen und gleichermaßen schonungslosen Roman über eine alleinerziehende Mutter, deren Unabhängigkeit aber auch großer Überforderung veröffentlicht.

    Die Ich-Erzählerin betritt zu Beginn des Romans ihre neue Wohnung. Eine Dachgeschosswohnung in einem Geschäftshaus in Tokio, welche durch die vielen Fenster lichtdurchflutet und strahlend hell erscheint. Man beginnt sofort zu hoffen, dass diese Frau mit ihrer knapp gerade noch zweijährigen Tochter in diesen Räumen einer frohen, leuchtenden Zukunft entgegensieht. Denn ihr Ehemann, der sie bereits mehrfach betrogen hat und auf finanzieller Ebene nichts auf die Reihe bekommt, hat sich von ihr getrennt, um mit der neuen Freundin zusammen sein zu können. Das Sorgerecht will sich die Erzählerin nicht mit ihm teilen, allein sucht sie sich diese Wohnung aus für einen Neustart. Nur leider gelingt ihr dieser Neustart nicht so gut, wie sie es sich vielleicht erhofft hat. Sie geht ihrer Arbeit in einem Archiv weiterhin nach, muss sich um den Haushalt und vor allem um die kleine Tochter kümmern, welche zunehmend unter den zerrütteten Familienverhältnissen zu leiden scheint; an Alpträumen und Wutausbrüchen leidet.

    Auf dem Weg des etwas mehr als ersten Jahres als alleinerziehende Mutter begleiten wir nun die Protagonistin und ihre Tochter. Dabei lässt uns Yuko Tsushima ungefiltert an allen vorteilhaften wie auch unvorteilhaften Gedanken der Mutter teilhaben. Wir bekommen zunehmend die Überforderung der Mutter zu spüren, ihre Einsamkeit innerhalb der Zweisamkeit mit der infantilen Tochter. Eine Auszeit ist so gut wie nie möglich und wenn diese, zum Beispiel in Form von einem Barbesuch am Abend passiert, so nur dadurch, dass sie ihre Tochter alleinlassen muss. Obwohl sich die Mutter Mühe gibt, den Ansprüchen dieses Lebens gerecht zu werden, driftet sie immer mehr hin zu einer Vernachlässigung der Tochter ab. Auch erfahren wir, was in ihren Träumen vonstattengeht, nicht selten träumt sie vom Tod ihrer Tochter. Auch in den Wachphasen scheint sie immer mehr der Tod zu begleiten. Im Umfeld nimmt sie immer mehr Todesfälle wahr.

    Auch wenn die eben genannte Beschreibung so klingt, als ob es sich hierbei um einen Psychothriller handeln könnte, so trifft dies gar nicht auf den Roman zu. Vielmehr ist er ein knallhartes Psychogramm einer alleinerziehenden Mutter in einer Gesellschaft, welche dieses Konzept (noch) nicht für die einfachen Menschen umsetzbar gemacht hat. Wir bekommen hier nicht die Erfolgsgeschichte einer perfekten Mutter und Powerfrau präsentiert, sondern viel eher die einer fehlbaren Mutter, die trotzdem ihr Bestes gibt. Eines ist diese Frau aber allemal: modern, was man nicht nur an ihrer Entscheidung zum Alleinleben und -erziehen merkt, sondern auch daran, dass sie sich immer mal wieder ein Bier oder einen Whiskey gönnt, dann sich auch erlaubt ausschweifend und laut zu werden. Das ist ein Bild, welches so gar nicht passen will zu dem Bild der stereotypen, immer leisen und höflichen japanischen Frau, welches häufig andernorts vermittelt wird. Mit dieser vollkommenen Offenheit kann der Roman definitiv überzeugen.

    Leider endet der als Episodenroman damals in einer japanischen Literaturzeitschrift veröffentlichte Text sehr abrupt und wenig nachvollziehbar in seinen letzten beiden Kapiteln. Als hätte die Autorin gemerkt, dass sie ja nun nur noch zwei Abschnitte veröffentlichen kann und den Sack schnell zumachen muss. Dies ist der einzige Punkt, der das Lektüreerlebnis dieses ansonsten äußerst lesenswerten Romans ein wenig mindert. Sehr aufschlussreich hingegen ist das ergänzende Nachwort der Übersetzerin Nora Bierich, welche nicht nur den Roman hervorragend in ein zeitgemäßes Deutsch überführt, sondern auch die schicksalhafte Verquickung des Romans mit dem Lebensweg der Autorin herausgestellt hat. Eine insgesamt wirklich gelungene Veröffentlichung des Arche Verlags, welcher für uns damit einen japanischen Klassiker für die Wiederentdeckung vorbereitet hat.

    4/5 Sterne

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  1. 3
    22. Mär 2023 

    Geschichte einer alleinerziehenden Mutter

    Als sie von einem auf den anderen Tag von ihrem Mann verlassen wird, zieht eine Frau mit ihrer 2-jährigen Tochter in die oberste Etage eines Bürogebäudes. Dort versucht sie, sich ein neues Leben als Alleinerziehende aufzubauen, doch Ärger mit dem Ex-Mann, den Nachbarn und dem Vorgesetzten sowie Ausraster und Alpträume der Tochter machen das quasi unmöglich. Nach und nach verliert sie immer mehr an Bodenhaftung und auch das Verhältnis zum eigenen Kind scheint von Grund auf vergiftet.

    „Räume des Lichts“ von Yuko Tsushima wurde bereits 1978 in einer japanischen Zeitschrift in insgesamt 12 Folgen veröffentlicht. Nun liegt der Roman in einer Neuübersetzung von Nora Bierich im Arche Verlag vor. Erzählt wird episodenhaft aus der Sicht der Mutter in der Ich-Perspektive und Vergangenheitsform. Auf diese Weise sind wir stets ganz nah bei der Hauptfigur und erfahren ihre Erlebnisse und Emotionen aus erster Hand.

    Grundsätzlich spricht die Autorin hier ein wichtiges Thema an. Sie zeigt auf, wie die Gesellschaft alleinerziehende Mütter im Stich lässt und wie diese sich zwischen Schuldgefühlen, Aufopferung und Scham bewegen. Der Protagonistin fällt es nicht immer leicht, ihre Tochter bedingungslos zu lieben, zumal diese auf die veränderte Familiensituation mit Gewaltausbrüchen, Streichen und Bockigkeit reagiert. Manchmal stellt die Mutter sich sogar vor, das Kind würde sterben und erschrickt gleich darauf vor sich selbst.

    Mutter und Tochter bleiben den gesamten Roman über namenlos, was den Zugang zu ihnen wirklich erschwert. Vor allem das Verhalten der Mutter ihrer Tochter gegenüber war an einigen Stellen im besten Fall ruppig und ungeduldig, im schlimmsten Fall an der Grenze zu Vernachlässigung und psychischer Grausamkeit. Möglicherweise ist die Geschichte aus den späten 70er Jahren hier einfach nicht „gut gealtert“, aber mit heutigen Augen betrachtet, ist die gezeigte Erziehung bedenklich.

    Gut gefallen hat mir hingegen, wie die Autorin mit dem Titel gebenden Bild des Lichtes spielt: wie es durch die Fenster ihrer Wohnung fällt, wie es sich im Wasser spiegelt usw. – das ist sprachlich außerordentlich gelungen.

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