Nachhall einer kurzen Geschichte

Buchseite und Rezensionen zu 'Nachhall einer kurzen Geschichte' von Albers, Dorothée
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3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nachhall einer kurzen Geschichte"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag:
EAN:9783792002629

Rezensionen zu "Nachhall einer kurzen Geschichte"

  1. Chronik einer zerrissenen Musikerfamilie

    Die Empfehlung zu diesem Buch entstammt dem Podcast des Radiosenders BR3, den ich sehr schätze. Immer wenn es um (klassische) Musik geht, werde ich gleich angefixt. Der Karl Rauch Verlag hat dieses Buch wunderschön gestaltet: der Einband in lindgrüner Crashoptik mit Klaviertasten auf dem Cover, wollweißes Vorsatzpapier mit passendem Lesebändchen – ein Hingucker!

    Das Buch ist in drei mehr oder weniger selbstständige Teile aufgeteilt, wie die Sätze eines Klavierkonzerts auch. Im ersten Teil lernen wir Namensgeberin Jet Ende der 50er Jahre kennen. Sie entstammt der streng katholischen Familie Hamelink und studiert Klavier am Konservatorium. Die Musik bringt sie mit dem jüdischen Cellisten Zev zusammen. Die beiden müssen ihre Liebe allerdings vor den strengen Eltern geheim halten. Nach einem leidenschaftlichen Nachmittag wird Jet schwanger. Die Eltern lösen das Problem, indem Jet in ein Kloster gebracht und dort von dem Kind entbunden wird. Die Liebenden versuchen zwar, schriftlich im Kontakt zu bleiben, werden letztlich aber doch getrennt, was eine lebenslange Wunde hinterlässt. Es gelingt Jet ein neues Leben zu beginnen, am Ende hat die Heimlichkeit allerdings dramatische Folgen.

    Der zweite Teil ist nach Jurre benannt. Er ist Jets Sohn, der bei einer Bauernfamilie aufwächst und sich dort Zeit seines Lebens unverstanden fühlt. Er fühlt sich als Musiker, will nach Beendigung der Schule eine entsprechende Karriere verfolgen. Sein Instrument ist das Saxofon, seine Musik der Jazz. Insbesondere sein Vater hat für derlei Spinnereien kein Verständnis, sondern wünscht sich, dass der einzige Sohn den Hof übernimmt. Nach einer deutlichen Aussprache verlässt Jurre den Hof, hält nur noch mit seiner Mutter den Kontakt. Es gelingt ihm, sich mit der Musik und zahlreichen Nebenjobs über Wasser zu halten. Seine Mutter jedoch baut ab, leidet an einer frühen Form der Demenz. Bei einem Besuch findet er seine Geburtsurkunde und fängt an, seine wahren Wurzeln zu suchen.

    Der dritte und kürzeste Teil ist mit Fine überschrieben. Sie ist die Tochter Jurres und hat einen Zwillingsbruder. Fine spielt Cello, sie ist aber unsicher, ob die Musik ihr Weg ist. Sie wünscht sich Bestätigung vom Vater, der ihr aber freie Hand lassen möchte und nicht gerne über klassische Musik spricht. Außerdem fühlt sie sich ihrem talentierten Bruder unterlegen. Sie steht vor der Entscheidung, ob sie die Musik zum Beruf machen soll oder nicht.

    Die drei Teile lassen sich im Grunde völlig unabhängig voneinander lesen, auch das haben sie mit der Struktur klassischer Werke gemein. Ab und zu blitzt ein Verbindungsstück auf, wird aber nicht weiter verfolgt. Als Grundthemen würde ich die Suche nach der eigenen Identität, nach der Berufung bei allen drei Protagonisten ausmachen. Des Weiteren geht es um Herkunft und die Wurzeln: Die Gene lassen sich auch in einem völlig anderen Umfeld nicht verleugnen, sondern werden weiter getragen von Generation zu Generation – da hilft alles Verschweigen nichts.

    Der Roman hat einen recht konventionellen Stil, das meine ich aber keineswegs negativ. Freunde von Familiengeschichten werden möglicherweise begeistert sein, Musikfreunde umso mehr. Mir persönlich fehlte das gewisse Etwas, das Ungesagte, das Geheimnisvolle. Auch mit der Demenz der Mutter Jurres scheint mir einfach ein aktuelles Thema eingeflochten worden zu sein, das hat etwas von Schreibstube.

    Der erste Teil hat mich am meisten berührt und ich habe es bedauert, dass er nur ein leises Echo im weiteren Verlauf fand. Vermutlich bin ich mittlerweile zu anspruchsvoll geworden. Das Buch ist aufgrund seiner wunderbaren Haptik bestens als Geschenk geeignet. Wer einfach lesen möchte, um dem Alltag zu entfliehen, wird seine Freude an dem Roman haben. Ebenso Leser, denen „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde oder „Der Zopf“ von Laeticia Combani gefallen haben. Insofern spreche ich durchaus eine Leseempfehlung aus. Das Buch ist gut, hat meine persönlichen Erwartungen allerdings nicht erfüllt.

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