Mrs Palfrey im Claremont: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Mrs Palfrey im Claremont: Roman' von  Taylor
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5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Mrs Palfrey im Claremont: Roman"

An einem verregneten Sonntag im Januar trifft die kürzlich verwitwete Mrs Palfrey im Claremont ein, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen soll. Ihre Mitbewohner herrlich exzentrisch und unendlich neugierig leben von Krümeln der Zuneigung und Schnipseln von Klatsch und Tratsch. Gemeinsam wehren sie, dank der berühmten britisch steifen Oberlippe, ihre größten Feinde ab: die Langeweile und den Tod. Eines Tages schließt Mrs Palfrey unerwartet Freundschaft mit dem mittellosen jungen Schriftsteller Ludo, der sie als Vorbild für seinen Roman verwendet.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag:
EAN:9783038200840

Rezensionen zu "Mrs Palfrey im Claremont: Roman"

  1. Wunderbarer, sehr britischer Lesegenuss vom Feinsten

    London in den späten 1960er Jahren: Das Claremont Hotel hat seine besten Jahre bereits hinter sich. Es beherbergt vor allem betagte Dauergäste, die einen angenehmen Lebensabend in bescheidenem Luxus verbringen wollen. Nur selten verirren sich Touristen dorthin. Mrs Palfrey zieht nach dem Tod ihres Mannes ebenfalls ins Claremont und trifft dort auf die resolute, herablassende Mrs Arbuthnoth, den ewig mürrischen, nörgelnden Mr Osmond, die unsichere Mrs Post und die trinkfeste Mrs Burton.
    Der Alltag im Claremont ist eintönig, das Highlight des Tages das Studium der Speisekarte, das Essen eher Mittelmaß. Man trifft sich zum Abendessen, sieht gemeinsam fern, vertreibt sich die Zeit mit Stricken und erzählt stolz von Familienangehörigen, die es zu etwas gebracht haben. Es herrscht ein gewisses Misstrauen, Anstand und Etikette sind wichtig, alle wollen möglichst gut dastehen und auch in schwierigen Situationen die Contenance wahren. Es finden sich immer wieder plausible Gründe, warum Verwandte doch nicht zu Besuch kommen. Gleich zu Beginn ihrer Zeit im Claremont begeht Mrs Palfrey den Fehler, von ihrem in London arbeitenden Enkel zu erzählen. Alle warten nun auf seinen Besuch, aber er Desmond lässt auf sich warten.
    Auf einem Spaziergang macht Mrs Palfrey zufällig die Bekanntschaft eines jungen, mittellosen Mannes, der gerade an seinem ersten Roman arbeitet. Sie lädt Ludo kurzerhand zum Abendessen ein und gibt ihn als ihren Enkel Desmond aus. Zwischen den beiden entwickelt sich eine ambivalente Beziehung. Ludo bringt Abwechslung in Mrs Palfreys eintöniges Leben. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Ludo ist als Gesprächsthema im Claremont ein willkommener Zeitvertreib, bringt Mrs Palfrey Bewunderung und versteckten Neid ein. Ludo empfindet für Mrs Palfrey durchaus eine gewisse Sympathie und spielt gerne die Rolle des Enkels. Vor allem erhofft er sich aber Einblicke in das Leben der Alten und nutzt das Claremont und Mrs Palfrey auch als Studienobjekte und als Inspiration für seinen Roman.
    Elizabeth Taylor ist eine ganz wunderbare Erzählerin mit einem Gespür für feine Zwischentöne und leisen Humor. Sie schreibt über die Tücken des Alters und die Einsamkeit ohne rührselig zu werden. „Altwerden war schwere Arbeit. Vergleichbar mit der Babyzeit, nur umgekehrt. Ein Säugling lernt jeden Tag eine Kleinigkeit dazu; einem alten Menschen kam jeden Tag eine abhanden.“
    Ich habe diesen feinsinnigen, sprachlich sehr schön geschriebenen Roman außerordentlich genossen.

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  1. Lust un Last des Älterwerdens

    Die Schriftstellerin Elizabeth Taylor (1912 – 1975), die insgesamt zwölf Romane hervorgebracht hat, sollte keinesfalls mit der gleichnamigen Schauspielerin verwechselt werden. Es ist dem Dörlemann Verlag zu verdanken, dass bislang vier ihrer Romane dem deutschsprachigen Publikum wieder zugänglich gemacht wurden. Zudem wird „Mrs Palfrey im Claremont“ vom „Guardian“ als eines der hundert besten Bücher in englischer Sprache gelistet. Letzteres will ich nicht beurteilen, jedoch hat mir der 1971 erschienene Roman ein paar wunderbare Lesestunden mit typisch englischem Flair geboten – ein Lesehighlight dieses Frühjahrs!

    Die titelgebende Mrs Palfrey lebte einst als Dame in den Kolonien in Übersee. Nun ist ihr Mann, zu dem sie sich in vollkommener Ehe verbunden fühlte, verstorben und sie beschließt, ihren Lebensabend im Londoner Mittelklassehotel Claremont zu verbringen, dass sich zwar auf die Aufnahme von Langzeitbewohnern spezialisiert hat, diese aber auch als Gäste zweiter Klasse behandelt. Mrs Palfrey ist Realistin, sie hat die Entscheidung, hierher umzusiedeln aus Vernunft getroffen. Zu ihrer in Schottland lebenden Tochter hat sie kein gutes Verhältnis, der Enkelsohn lebt auf der anderen Seite der Stadt. So fühlt sie sich allein auf sich gestellt.

    Die Tage sind für die Bewohner des Claremont gleichermaßen eintönig, der Aushang der Essensliste im Foyer ist einer der Höhepunkte des Tages, dessen Struktur durch die Mahlzeiten vorgegeben wird. Man ist einsam, gelangweilt oder beschäftigungslos, aber stets bemüht, den Anstand und die Etikette zu wahren. Insofern fühlt sich das Setting sehr englisch an.

    „Ich darf mein Leben nicht fortwünschen, schalt sie sich; doch sie wusste, dass sie immer häufiger auf die Uhr schaute, je älter sie wurde, und dass es jedes Mal früher war, als sie gedacht hatte. In ihren jüngeren Jahren war es immer später gewesen.“ (S. 15)

    Die anderen Bewohner haben sehr unterschiedliche Naturen. Ihre Charaktereigenschaften werden sehr fein beobachtet und geschildert. Es gibt einen Mann in der Runde, der sich dem Gerede der Frauen überlegen fühlt und regelmäßig seiner allgemeinen Unzufriedenheit in Leserbriefen Ausdruck verleiht. Es gibt eine Meinungsführerin, eine Angepasste, eine dem Alkohol Zugeneigte, es gibt Missgunst und Neugier. Trotz der offensichtlichen Unterschiede entwickelt sich eine Art Schicksalsgemeinschaft unter den Senioren, an deren Gesprächen, Gedanken und Erlebnissen der Leser partizipieren darf. Die Stimmung wirkt gleichförmig trist, aber keinesfalls hoffnungslos. Jeder ist bestrebt, die englische Contenance zu wahren und anderen nicht viel vom eigenen Inneren preiszugeben.

    Kleine Abweichungen vom Alltag erlangen große Bedeutung und werden genauestens beobachtet und kommentiert. Das gilt insbesondere für Besucher jeglicher Art. Neidisch schaut man auf diejenigen, die von Verwandten besucht oder gar ausgeführt werden. Mrs Palfrey fühlt sich von den anderen stark unter Druck gesetzt, als ihr Enkel Desmond trotz mehrfacher Einladung nicht im Claremont erscheint. Prompt stellt sie ihre Zufallsbekanntschaft, den mittellosen Schriftsteller Ludo, zu dem sie sich sofort hingezogen fühlt, als ihren Enkel vor. Eine Lüge, die für sie sehr untypisch ist und einiges Verwechslungspotential im Verlauf des Romans bietet. Die ambivalente Beziehung zwischen der alten Dame und dem jungen Mann bildet zudem einen weiteren Handlungsstrang. Dabei werden die Perspektiven regelmäßig gewechselt, so dass man als Leser sehr gut über Gedanken und Absichten der Protagonisten (teilweise auch durch Briefe) informiert wird.

    Mit Auftauchen des ein oder anderen neuen Hotelgastes lebt die Seniorengemeinschaft für kurze Zeit auf. Es bilden sich auch vorsichtige Freundschaften. Manchmal wächst die Sehnsucht nach einer eigenen Wohnung, in der man selbstbestimmt und unabhängig leben könnte, dann siegt aber der Realismus: „Als sie es sich noch einmal ausmalte, wurde sie müde: Sie dachte an Geschirrspülen, an undichte Wasserhähne, zugefrorene Rohre, Fensterputzer, die nicht auftauchten; und auch sonst niemand.“ (S. 179)

    Stets ist den Senioren klar, dass sich ihre Situation auch verschlimmern kann: mit zunehmender Hinfälligkeit bleibt nur noch der Umzug ins Altersheim.

    Die Stärke des Romans sind genaue Charakterbeschreibungen und treffende, teilweise spitzzüngige Dialoge. Außerdem werden die Malaisen des Alters ohne Larmoyanz in die Geschichte eingebettet: „Ihr wurde klar, dass sie inzwischen keinen Fuß mehr vor den anderen setzte, ohne sich dessen bewusst zu sein und sich darauf zu konzentrieren; früher war Gehen wie Atmen gewesen, sie hatte gar nicht darauf geachtet. Das Desaster des Altwerdens war, dass man sich bei keiner Unternehmung mehr sicher fühlte, ja dass die eigene Freiheit zusehends außer Reichweite geriet.“ (S. 90)

    Ich habe Mrs Palfrey sehr gerne durch diesen Roman begleitet, der ein ziemlich unaufgeregtes, aber keinesfalls langweiliges Leseerlebnis bietet. Die verschiedenen Charaktere geben viel Stoff zum Nachdenken. Es darf auch geschmunzelt werden, als Komödie würde ich den Roman aber nicht bezeichnen. Dafür ist mir die Grundstimmung zu ernst erschienen. Das Buch wurde nach Erscheinen 1971 völlig zurecht für die Shortlist des Bookerpreises nominiert.

    Für mich steht fest, dass ich auch die anderen Romane der Autorin Taylor kennenlernen möchte. Mrs Palfrey könnte meine Einstiegsdroge gewesen sein und ich hoffe, dass Dörlemann am Ball bleibt und die verbleibenden Romane der Autorin auch noch veröffentlicht.

    Große Leseempfehlung!

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  1. 5
    01. Mär 2021 

    Über das Alter(n)

    Liz Taylor hat sich neben der Schauspielerei an der Schriftstellerei versucht? Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als mir der Roman "Mrs Palfrey im Claremont" das erste Mal begegnete. Doch weit gefehlt (und Glück gehabt ;-)). Denn Elizabeth Taylor ist nicht gleich Elizabeth Taylor. Die Eine mag für ihr Aussehen und schauspielerisches Talent berühmt geworden sein, die Andere für ihre Gabe, Geschichten zu erzählen. Die Geschichtenerzählerin Elizabeth Taylor wurde 1912 geboren und verstarb 1975, ein paar Jahre, nachdem ihr Roman "Mrs Palfrey im Claremont" erstmalig veröffentlicht wurde. Dieser schaffte es sogar im Jahr seiner Veröffentlichung (1971) auf die Shortlist des Booker Prizes. Nachdem ich nun diesen Roman gelesen habe, freue ich mich, dass Mrs. Taylor sehr fleissig in ihrer Schriftstellerei war. Denn insgesamt umfasst ihr Werk 12 Romane sowie unzählige Kurzgeschichten, also noch ausreichend literarisches Futter, auf das ich mich nach dem Appetitanreger "Mrs Palfrey im Claremont" sehr freue.

    "Altwerden war schwere Arbeit. Vergleichbar mit der Babyzeit, nur umgekehrt. Ein Säugling lernte jeden Tag eine Kleinigkeit dazu; einem alten Menschen kam jeden Tag eine abhanden. Namen rutschten weg, Daten sagten einem nichts, Reihenfolgen gerieten durcheinander, Gesichter verschwammen. Die frühe Kindheit und das Alter sind anstrengende Zeiten."

    Das zentrale Thema dieses Romans ist das Alter(n). Die Geschichte beginnt mit dem Einzug von besagter Mrs Palfrey in das Claremont Hotel, South Kensington, London. Wir befinden uns in den 60er Jahren. Die Dame möchte hier ihren Lebensabend verbringen. Das Claremont ist ein Hotel, das in die Jahre gekommen ist, gerne von Touristen gebucht wird, oder auch von betagten Dauergästen, i. d. R alte Damen und seltener alte Herren. Diese Senioren kommen meist aus Englands traditionsbewusster Mittelschicht und erhoffen sich im Claremont einen angenehmen Lebensabend in bescheidenem Luxus.
    Doch leider ist das Leben in dieser Gemeinschaft von Neid und Missgunst geprägt. Natürlich geschieht dies nicht offensichtlich, sondern unter Einhaltung von Etikette und Anstand. Hier wird Gutes Benehmen nun mal großgeschrieben, schließlich sind wir in Great Britain. Man stelle sich folgende Szenerie vor: alte Damen mit Betonfrisuren, Cardigans und Perlenketten, die herrlich kultiviert und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Am liebsten würden sie sich jedoch mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit die Meinung sagen. Doch leider steht ihnen dabei die Höflichkeit im Weg, so dass bei Tee und Sherry die Dauerfaust in der Tasche gemacht wird.

    "Die Zeit verging. Das ließ sich beweisen, obwohl so wenig geschah."

    Es passiert nicht viel in diesem Roman - genauso wenig wie im Alltag dieser Charaktere. Denn die Protagonisten sind in einem Alter, in dem das Leben nicht mehr viel Abwechslung zu bieten hat. Jeder Tag verläuft nach einem eintönigen Muster. Die Highlights des Tages sind die Mahlzeiten. Zwischen den Mahlzeiten wird die Zeit totgeschlagen.
    Die Gemeinschaft der Dauergäste besteht zu Beginn des Romans aus
    Mrs Palfrey: eine resolute Dame, verwitwet, die viele Jahre ihres Lebens in den britischen Kolonien verbracht hat. Sie will sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass das Leben für sie nichts mehr zu bieten hat.
    Mrs. Burton: die Lustige, die sich das Leben schön trinkt
    Mrs. Post: die Schüchterne und Zurückhaltende
    Mrs. Arbuthnot: boshaftes Alphatier in der Gruppe der Frauen
    Mr. Osmond: griesgrämiger Platzhirsch, der seinen Ärger über die Ungerechtigkeiten dieser Welt in Leserbriefen, die er an die Londoner Zeitungen schickt, zum Ausdruck bringt

    Der Aufenthalt im Claremont hat aus ihnen eine Zweckgemeinschaft gemacht. Mangels Alternativen verbringen sie viel Zeit miteinander, aufgelockert durch Gelegenheitsbesuchen von Verwandten oder solchen, die vorgeben, Verwandte zu sein. Doch keiner der Protagonisten würde sich die Blöße geben zuzugeben, dass er sich einsam und traurig fühlt. Stattdessen ist jeder für sich bemüht, eine Fassade aufrechtzuerhalten, die beweisen soll, dass das Seniorenleben großartig ist.

    "Während sie auf die Backpflaumen wartete, fasste Mrs Palfrey den vor ihr liegenden Tag ins Auge. Der Vormittag wäre auf recht schöne Art gefüllt; Nachmittag und Abend dagegen würden sich lange hinziehen. Ich darf mein Leben nicht fortwünschen, schalt sie sich; doch sie wusste, dass sie immer häufiger auf die Uhr schaute, je älter sie wurde, und dass es jedes Mal früher war, als sie gedacht hatte. In ihren jüngeren Jahren war es immer später gewesen."

    Die Autorin Elizabeth Taylor thematisiert in diesem Roman das Alter(n). Dabei schafft sie eine Realität, die nichts beschönigt, denn das Alter(n) bringt nun mal Begleiterscheinungen mit sich, die nicht von der Hand zu weisen sind. Dieser Kampf der Protagonisten mit dem offensichtlichen Verfall und der Einsamkeit im Alter ist traurig. Doch dank der Einstellung der Charaktere, in jeder erdenklichen Situation Haltung zu wahren, sorgen die Unwägbarkeiten des Alters auch für komische Momente. Mrs. Taylor hat einen Blick für Details, die sie mit einem knochentrockenen Humor ausschlachtet. Sie nutzt jede Gelegenheit, dem Leser bei der Lektüre ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, wenn nicht sogar den einen oder anderen lauten Lacher.

    Nach diesem Roman muss ich gestehen, dass ich mich in Elizabeth Taylor verliebt habe. Mit "Mrs Palfrey im Claremont" erzählt sie mit großer Leichtigkeit eine herzerfrischend amüsante Geschichte. Dennoch verlor ich nie die Ernsthaftigkeit des zentralen Themas aus dem Blick und erst recht nicht den Respekt vor dem Altern(n).

    Leseempfehlung!

    © Renie

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