Moonglow: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Moonglow: Roman' von Michael Chabon
3.5
3.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Moonglow: Roman"

Gebundenes Buch
Das neue Meisterwerk des Bestseller-Autors Michael Chabon: Ein alter Mann auf dem Sterbebett beichtet seinem Enkel die unglaubliche Geschichte seines Lebens.
In diesem in den USA gefeierten Roman erzählt Michael Chabon die unglaublichen Abenteuer seines unkonventionellen Großvaters, der einst Wernher von Braun in Deutschland jagte und ein in vielerlei Hinsicht leidenschaftliches Leben führte.
Während in Deutschland die Mauer fällt, sitzt Michael am Bett seines Großvaters, der in der letzten Woche seines Lebens plötzlich gesprächig geworden ist. Der Enkel erfährt, wie der Großvater einmal seinen Chef fast mit einer Telefonschnur erdrosselt hätte, warum er eine Brücke in Washington in die Luft sprengen wollte, wie er in Deutschland den verhassten Wernher von Braun jagte, warum von Braun und er dieselbe Leidenschaft teilten und wie er nach dem Tod seiner Frau eine neue Vertraute fand.
Mit sprachlicher Eleganz erzählt Michael Chabon Episoden aus der Lebensgeschichte seines Großvaters, in denen sich die großen Themen der amerikanischen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts - von der Mond-Raumfahrt bis zum Mauerfall - spiegeln. Ein in den USA gefeierter großer Roman, der u. a. von der Washington Post und dem Wall Street Journal zum Book of the Year gewählt wurde, zahlreiche Auszeichnungen erhielt und die Bestsellerlisten anführte.
"Ein absolutes Meisterwerk" The Guardian"Eine durch und durch bezaubernde Geschichte über die Umwege, die das Leben einschlägt, über die Unfälle, die ihm eine neue Richtung geben, und über die Geheimnisse, die man erahnt, aber nicht sieht" The Washington Post"Lustig, bewegend und sehr unterhaltsam. Chabon ist ein Meister seines Fachs." Daily Mail"Ein vor brillanten Ideen übersprudelnder Roman, der im Schafspelz einer Autobiografie daherkommt." The Wall Street Journal

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:496
EAN:9783462050745

Rezensionen zu "Moonglow: Roman"

  1. 3
    24. Jun 2018 

    Von gehäuteten Pferden und einer Zuflucht auf dem Mond...

    Während in Deutschland die Mauer fällt, sitzt Michael am Bett seines Großvaters, der in der letzten Woche seines Lebens plötzlich gesprächig geworden ist. Der Enkel erfährt, wie der Großvater einmal seinen Chef fast mit einer Telefonschnur erdrosselt hätte, warum er eine Brücke in Washington in die Luft sprengen wollte, wie er in Deutschland den verhassten Wernher von Braun jagte, warum von Braun und er dieselbe Leidenschaft teilten und wie er nach dem Tod seiner Frau eine neue Vertraute fand.

    Eine Familiengeschichte, aber kein Roman im eigentlichen Sinne - so lässt sich das neuste Werk von Michael Chabon wohl am besten zusammenfassen. Und nicht irgendeine Familiengeschichte wird hier erzählt, sondern seine eigene - oder vielleicht doch nicht?

    "Beim Schreiben dieser Memoiren habe ich mich an die Fakten gehalten, es sei denn, sie wollten sich einfach nicht der Erinnerung, dem dichterischen Willen oder der Wahrheit, wie ich sie gerne verstehe, beugen. Wo immer ich mir Freiheiten mit Namen, Daten, Orten, Ereignissen, Unterhaltungen oder den Identitäten, Motiven und Beziehungen von Familienmitgliedern und historischen Persönlichkeiten erlaubt habe, sei dem Leser versichert, dass es mit der entsprechenden Hemmungslosigkeit geschah." (S. 11)

    Diese Einleitung macht natürlich neugierig. Doch ohne die familiären Hintergründe Michael Chabons zu kennen, wird der Leser letztlich nicht beurteilen können, was an der Erzählung der Wahrheit entspricht und was der Fantasie des Autors entsprungen ist. Der Großvater des Ich-Erzählers steht im Mittelpunkt der Geschichte, es sind im Wesentlichen seine Memoiren, die hier wiedergegeben werden. Dabei fließen jedoch andere Geschichten mit ein - die der Großmutter, deren Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs ihren weiteren Lebensweg beeinflussten und dominierten; die der Mutter, die, gelinde gesagt, eine eher unkonventionelle Kindheit hatte; und die des Ich-Erzählers selbst, wobei seine Person eher im Hintergrund bleibt und versucht, die Bruchstücke der Erinnerungen zu ordnen und zu sortieren.

    "Es war selten, dass meine Mutter die Karten der Erinnerung aufdeckte, die ihr der Krieg mit seiner Brutalität zugeteilt hatte, doch wenn sie es tat, schien ihr gesamtes Blatt aus Schuldgefühlen zu bestehen, egal was auf dem Tisch lag." (S. 375)

    Bruchstücke - das trifft es wohl ganz gut. Erzählt wird hier nämlich in Episoden, nicht chronologisch, sondern zuweilen fast willkürlich wirkend hintereinander gesetzt, dabei wild zwischen Zeiten, Themen und Personen wechselnd. Dies war oftmals verwirrend beim Lesen - und der Hauptgrund, weshalb ich einfach nicht wirklich in die Erzählung eintauchen konnte.

    Der Schreibstil dagegen gefiel mir, anspruchsvoll, voller Metaphern, und die Sätze sorgfältig ausgefeilt; ebenso gefiel mir der teilweise böse Humor, der immer wieder durchblitzte. Auch fand ich einige der angeschnittenen Themen überaus interessant: die Folgen der traumatischen Erlebnisse im Krieg, die Faszination für Raketen und ein mögliches Leben auf dem Mond, die Crux der Vielseitigkeit des Einsatzes neuer Erfindungen und Entdeckungen - doch der ständige Wechsel der Themen, die ausschweifende Beleuchtung einzelner Punkte einerseits und die im Laufe der Jahre teilweise wechselnde Beurteilung dieser Punkte andererseits war für mich letztlich doch anstrengend.

    "...wo (...) eine V2 das Rex-Theater mitten in einer Vorführung (...) getroffen und fast tausend Menschen getötet oder verletzt hatte. Das alles konnte man jedoch nicht der Rakete selbst anlasten, dachte mein Großvater, genauso wenig dem Mann, der sie konstruiert hatte, von Braun. Die Rakete war wunderschön. Ein Künstler hatte sie gestaltet, um die Ketten zu sprengen, die die Menschheit fesselten, seit sie sich erstmals der Schwerkraft der Erde und deren Entsprechungen in Leid, Versagen und Schmerz bewusst geworden war. Sie war ebenso ein in den Himmel geschicktes Gebet wie die Antwort darauf: Bring mich fort von diesem furchtbaren Ort! Dieses Vehikel mit einer Tonne Amatol zu bestücken und so zu behindern, dass es nicht ein für alle Mal die irdische Anziehungskraft hinter sich ließ, sondern im Bogen zurück auf die Erde kam und die Menschen dort tötete, wo es auftraf, das war Missbrauch. Als würde man Eiweiß mit einem Rechen aufschlagen, sich mit einem Dolch die Zähne säubern. Man konnte es tun, aber es war pervers." (S. 200)

    Den Leser erwartet hier eine melancholisch gestimmte jüdische Familiengeschichte, oftmals unerwartet aufgehellt durch Episoden schwarzen Humors und den lobenswerten Ansatz, letztlich nichts und niemanden zu ernst zu nehmen. Dazu ein ungewöhnlicher Aufbau durch die scheinbar willkürliche Aneinanderreihung einzelner Episoden, was mich allerdings bis zum Schluss auf Distanz hielt. Abgesehen davon jedoch ein beeindruckendes Werk!

    © Parden

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  1. Memoiren des Großvaters

    Vor dem Beginn der Handlung merkt der Autor an, dass er sich beim Schreiben der Memoiren seines Großvaters an die Fakten gehalten hat, es sei denn, "sie wollten sich einfach nicht der Erinnerung, dem dichterischen Willen oder der Wahrheit, wie ich sie gerne verstehe beugen." (11) In dem Fall hat er sie "mit der entsprechenden Hemmungslosigkeit" (11) verändert.

    Diese Bemerkung macht neugierig, was erwartet uns beim Erzählen der Lebensgeschichte seines Großvaters?

    Der Ich-Erzähler, der Autor selbst oder eher die Person, die uns der Autor als sein "Ich" präsentiert, erzählt die Geschichte nicht chronologisch, obwohl sein Großvater ihn darum gebeten hat:

    "Auf jeden Fall ist es eine ziemlich gute Story", sagte ich. "Das musst du zugeben." "Ja?" Er zerknüllte das Kleenex, nachdem er die Träne weggetupft hatte. "Kannst du haben. Schenke ich dir. Wenn ich nicht mehr da bin, schreib sie auf. Erkläre alles. Sorg dafür, dass sie etwas bedeutet. Bau deine ganzen ausgefallenen Metaphern ein. Bring alles in die richtige zeitliche Reihenfolge, nicht dieses Durcheinander, das ich dir erzähle." (284)

    So startet die Handlung konsequenterweise nicht mit der Geburt des Großvaters, sondern mit dem 25.Mai 1957. An dem Tag unternimmt er einen tätlichen Angriff auf seinen Chef, den Inhaber von Feathercombs Inc., weil er entlassen werden soll. Eine unbändige Wut ergreift ihn, die niemand dem ansonsten sehr ruhigen Mann zugetraut hätte. Ein furioser und sehr komischer Beginn.

    Der Ich-Erzähler berichtet im Anschluss, wie er zu den Erinnerungen seines Großvaters gelangt ist, der an seinem Lebensende im November 1989 aufgrund seiner Knochenkrebs-Erkrankung ein starkes Hydromorphon erhält, das ihn offenkundig gesprächig macht:

    "Aus ihm sprudelte nur so eine Bilanz seiner Missgriffe, seines fragwürdigen Glücks, seiner Leistungen und Pleiten durch schlechtes Timing und versagende Nerven. Schon seit fast zwei Wochen lag er im Gästezimmer meiner Mutter, und als ich endlich in Oakland eintraf, bekam er annähernd zwanzig Milligramm am Tag. Er begann quasi in dem Moment zu reden, als ich mich auf den Stuhl neben seinem Bett setzte." (18)

    Seine Kindheit hat er gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder Reynard - Onkel Ray - in South Philadelphia verbracht, das "damals voller Moonblatts und Newmans, jenen Cousins und Cousinen [war], die später die Hochzeiten und Beerdigungen meiner Kindheit und die meiner Mutter bevölkern sollten. Ihre Wohnungen dienten meinem Großvater als Zwischenstation." (21)

    Er war ein wildes Kind, das die ihm gesetzten Grenzen ständig unterlief und tat, was es wollte.

    Im folgenden Kapitel erinnert sich der Ich-Erzähler an seine eigene Kindheit, daran, wie er seine Großeltern, die in der Bronx lebten, besucht hat. Sein Großvater ist Ende der 60er Jahre mit seiner Firma, die maßstabsgetreue Modelle für die Raumfahrt herstellt, sehr erfolgreich - die Begeisterung für den Mond - "Moonglow" - für Raketen und die Raumfahrt sind eines der Schlüsselmotive des Romans. Bis an sein Lebensende baut der Großvater an einem Modell einer Mondstation, zu der er seine Familie bringen möchte, um sie zu beschützen.

    Die Großmutter des Ich-Erzählers erscheint liebevoll, aber manchmal auch beängstigend, wenn sie mithilfe ihrer französischen Wahrsagekarten für Hexen eine Geschichte erfindet. Zudem wird sie von Depressionen heimgesucht und hat eine Tätowierung auf dem linken Unterarm...

    "Sie war ein Gefäß, gebaut, um den Schmerz ihrer Vergangenheit zu tragen, doch das Gefäß hatte einen Riss, und durch den sickerte strahlende Dunkelheit heraus." (120)

    Sie stammt aus Frankreich, wo sie sich als Jüdin im besetzten Frankreich mit ihrem Kind, der Mutter des Ich-Erzählers, in einem Kloster versteckt musste, da ihre Familie - bekannte jüdische Pferde- und Fellhändler - sie verstoßen hatten. Ihr Mann, ein Katholik, wurde ermordet, ihre Familie in Auschwitz vergast. Nach dem Krieg emigriert sie in die USA, wo sie den Großvater im Jahr kennengelernt hat, der somit nicht der leibliche Großvater des Ich-Erzählers ist.

    Verschiedene Erzähllinien kristallisieren sich im ersten Teil heraus, die dann mit Zeitsprüngen weitergeführt werden. Gleichzeitig werden Fragen aufgeworfen, die erst in den letzten Kapiteln eine Antwort finden.

    Die Rahmenhandlung bildet einerseits das Gespräch des Ich-Erzählers mit dem Großvater 1989, während dieser im Sterben liegt, sowie mehrere Gespräche mit der Mutter in dieser Zeit.
    Eine weitere Zeitebene, die nur wenige Episoden umfasst, spielt Anfang des neuen Jahrtausend, wenn sich der Ich-Erzähler entscheidet, aus der Story seines Großvaters einen Roman zu schreiben und weitere Recherchen anstellt.

    Eine Erzähllinie führt vom Anschlag auf seinen Chef im Jahr 1957 hin zum Gefängnisaufenthalt und den Folgen, die sich daraus für ihn und seine Familie ergeben.

    Seine Militärzeit, die mit der Verpflichtung am 8.12.1941 startet, und seine Rolle beim amerikanischen Geheimdienst führt ihn 1944 nach Deutschland, wo er mit Wernher von Braun und dessen Rolle bei den Nationalsozialisten in Berührung kommt. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie seine Bewunderung für den Erfinder der V2 in Hass umschlagen konnte, der so stark ist, dass er keine Modelle der Raketen gebaut hat, die von Braun in den USA mit entwickelt hat.

    Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg lernt er im Februar 1947 die Großmutter kennen. Diese Erzähllinie schildert ihre ersten Treffen, ihre Karriere als Vorleserin gruseliger Geschichten im Fernsehen von 1948-52 bis zu ihrem ersten Ausraster, in der ein gehäutetes Pferd, das ihr regelmäßig erscheint, eine wichtige Rolle spielt - ein zweites Schlüsselmotiv des Romans.
    Gleichzeitig fällt in diese Phase der berufliche Niedergang des Großvaters, der mit jenem Wutausbruch im Jahr 1957 seinen Höhepunkt findet.
    Erst nach dem Gefängnisaufenthalt macht er sich einen Namen als Modellbauer für Raketen und Raumfähren.

    Ein Teil der Handlung spielt in Florida, ebenfalls 1989, wo der Großvater seit Mitte der 70er - nach dem Tod der Großmutter - in einer Wohnanlage für ältere Menschen lebt, während er Modelle für private Sammler und die NASA baut. Dort lernt er Sally Sichel kennen. Beim Versuch ihren entlaufenen Kater vor einer Schlange zu retten, entspinnt sich ein neuer Faden.

    Zusammen ergeben sie die Lebensgeschichte eines ruhigen Mannes, der Wut in sich trägt, aber auch den Wunsch, diejenigen, die ihm am Herzen liegen, zu beschützen.

    Bewertung
    Zu Beginn hatte ich einige Probleme in die Geschichte hinein zu kommen, da die Episoden mit ihren Zeitsprüngen mich verwirrten. Erst im Verlauf kristallisierten sich für mich die verschiedenen Handlungslinien heraus und allmählich setzten sich das spannende und interessante Leben des Großvaters einerseits und das der Großmutter andererseits wie ein Puzzle zu einem Ganzen zusammen. Die letzten Hundert Seiten halten dann einige Überraschungen bereit, vor allem das Nachwort wirft ein neues Licht auf den ganzen Roman ;)

    Am interessantesten waren für mich die Episoden, die sich mit Wernher von Braun, dem Erfinder der V2-Rakete, beschäftigt haben. Der Autor hat gründlich recherchiert und die Lebenslüge des SS-Sturmbannführers geschickt mit der Geschichte des Großvaters verknüpft. Unglaublich, dass von Braun, der als Leiter der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, KZ-Insassen unter menschenunwürdigen Bedingungen hat arbeiten lassen und damit in den Häftlingseinsatz verwickelt war, in den USA bei der NASA hat Karriere machen können und mit zahlreichen internationalen Ehren überhäuft wurde. Erst in den vergangenen Jahren fand eine intensive Auseinandersetzung mit seiner Rolle im Nationalsozialismus statt. Insofern liefert dieser Roman auch einen Beitrag gegen das Vergessen - auch was die Geschichte der Großmutter betrifft.

    Daneben überzeugt er durch seinen Humor und die kurzweiligen Episoden aus dem Leben des Großvaters, die mich oft zum Lachen gebracht haben. Man muss sich nur auf das Chaos zu Beginn einstellen, dann liest sich der Rest von allein.

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