Maud Martha

Rezensionen zu "Maud Martha"

  1. Über Rassismus kann niemals genug geschrieben werden!

    "Maud Martha" ist der einzige Roman der Pulitzerpreisträgerin Gwendolyn Brooks geblieben, deren Leben sich im Leben der Hauptprotagonistin Maud Martha widerspiegelt. Der Roman erschien erstmals im Jahr 1953, wurde jedoch erst jetzt der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht. Wieder einmal hat der Manesse Verlag damit einen literarischen Schatz gehoben, der allemal lesenswert ist, da er das wichtige Thema des Rassismus angeht, der nach wie vor omnipräsent ist. Positiv gewürdigt werden soll auch die ansprechende Gestaltung des Bandes inklusive des gelungenen Nachwortes von Daniel Schreiber, das auch noch einmal bei der Einordnung des Werkes hilft.

    Maud Martha, die Hauptprotagonistin des Romans, weist einige Parallelen zu ihrer Schöpferin, der Autorin Gwendolyn Brooks auf: Wie diese wurde jene im Jahr 1917 geboren und beider Leben wird durch den omnipräsenten Rassismus stark beeinträchtigt. Es scheint fast, Maud Martha sei eine Art Sprachrohr der Autorin, durch deren Stimme sie lautstark gegen den Rassismus ihren Widerstand kundtut.

    Maud Martha lebt im Süden Chicagos. Wie jedes Mädchen hat sie Träume, doch da sie schwarz ist, werden diese erschüttert. Maud Martha begreift früh, dass zum Beispiel auch Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Als schwarzes junges Mädchen weiß sie, dass sie nicht als "schön" gilt. Nicht mal ihr späterer Ehemann, mit dem sie in einer Kitchenette gemeinsam leben wird, findet sie wirklich schön. Auch sonst scheinen die beiden Eheleute sehr unterschiedlich, wie exemplarisch ihre gewählten Lektüren vor Augen führen. Dennoch bleiben sie zusammen und werden auch ein gemeinsames Kind haben.

    Maud Martha erfährt Alltagsrassismus in vielen Facetten. In einem von primär 'Weißen' besuchten Kino fühlt sie sich deplatziert und im wahrsten Sinne des Wortes unwohl in ihrer Haut. Doch auch an für 'Schware' vorgesehenen Orten fühlt sie sich fremd. Schwarz ist nicht gleich schwarz. Maud Martha weiß dies. Es ist eine Illusion 'weißer' Menschen.

    In vielen episodenhaften Szenen bekommen wir Alltagsrassismus vorgeführt und erleben hautnah mit, wie es Maud Martha dabei ergeht. So beispielsweise beim Besuch eines Friseurs, wo sie mit dem N-Wort konfrontiert wird. Die Autorin wird nicht müde, vermittelt durch ihre fiktive Schicksalsgefährtin Situationen des Alltagsrassismus anzuprangern. Es sind Szenen, die schockieren und unter die Haut gehen. Sie zeigen eindrücklich, Folgen und Wirkweise von Rassismus auf.

    Die Sprache der Autorin ist sehr eindrücklich, phasenweise sehr poetisch. Kein Wort ist zu viel. Kurz und prägnant wird das gesagt, was gesagt werden muss. Schon längst. Dabei habe ich es nicht als Manko empfunden, dass die Geschichte, obwohl als Roman betitelt und vertrieben, eher eine Ansammlung von Episoden und Miniaturen ist. Das Thema Rassismus eint sie, für mich ist das roter Faden genug. In jedem Fall auch ein gutes Argument, das Buch zu lesen, denn über Rassismus kann nie genug gelesen, gesprochen und diskutiert werden. Insbesondere dann, wenn Rassismus fast schon in einer Art intersektionaler Perspektive verstanden wird als Resultat des Ineinandergreifens verschiedener Faktoren: wie Rasse, Klasse und Geschlecht. Brooks liefert meines Erachtens, so mein Fazit, einen wichtigen und lesenswerten Beitrag zur Rassismusdebatte. Ich bin froh und dankbar, dass ich das Buch entdecken durfte.

    Teilen
  1. 5
    25. Mai 2023 

    Ein Leben aus Momentaufnahmen

    Dass dieser im Original schon 1953 erschienene Roman nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, ist dem Manesse Verlag zu verdanken. Der hat es sich zum Ziel gesetzt, unter dem Motto „ Mehr Klassikerinnen“, vergessenen oder noch unbekannten Schriftstellerinnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.
    Die 1917 in Kansas geborene und im Jahr 2000 verstorbene Autorin Gwendolyn Brooks zählt zu den bedeutendsten Dichterinnen der USA. Sie erhielt für ihr großes lyrisches Werk zahlreiche Preise , darunter den Pulitzerpreis für Lyrik. Damit war sie 1950 die erste schwarze Autorin, die diese Auszeichnung erhielt.
    „ Maud Martha“ war ihr einziges Prosawerk, doch ihre künstlerische Begabung zeigt sich in der ungewöhnlich poetischen Sprache.
    Der schmale Band umfasst 34 kurze, meist nur zwei bis drei Seiten umfassende Kapitel. Wir begleiten dabei Maud Martha, Ich- Erzählerin und Protagonistin des Romans, von ihrer Kindheit über das Erwachsenwerden bis zu ihrem Leben als Ehefrau und Mutter. Angesiedelt sind die Geschichten im Chicago der 1920er bis Mitte der 1940er Jahre, angelehnt an die Biographie der Autorin.
    Maud Martha wächst auf als schwarzes Kind in einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie. Das Geld ist knapp; der Vater kann nur mit Hilfe eines weiteren Bankkredits das eigene, bescheidene Haus halten. Doch Martha ist ein fröhliches optimistisches Kind, entdeckt die Schönheit im Alltäglichen. Sie sieht im Löwenzahn des Hinterhofs „ gelbe Alltagsedelsteine“ und mag dessen „ nüchterne Schönheit“ und sieht darin ein Abbild ihrer Selbst.
    Doch hin und wieder hadert sie mit ihrem Aussehen, mit ihrer Haut, die die „ Farbe von purem Kakao“ hat und nicht so hell ist wie die ihrer jüngeren Schwester Helene. Die beneidet sie nicht nur um ihre Schönheit und Anmut, sondern auch um ihre bevorzugte Stellung beim Vater.
    Existenzängste, Streitigkeiten zwischen den Eltern, das Sterben der Großmutter, dies und vieles mehr wird von dem Mädchen beobachtet und beschrieben und hinterlässt Spuren in ihr.
    Später stellen sich die ersten Verehrer ein. Doch nicht jeder hält ihrem kritischen Blick stand. Dann bei Paul aber fängt ihr ganzer Körper an zu singen. Paul hat große Pläne, aber erweist sich bald als Enttäuschung. Das gemeinsame Zuhause in einer sog. „ Kitchenette“ entspricht nicht den bescheidenen Träumen von Maud Martha.
    Wie Daniel Schreiber in seinem aufschlussreichen Nachwort erläutert, waren Kitchenette -Wohnungen eine Antwort auf die große Nachfrage nach Wohnraum für schwarze Familien. Schon existierende Appartements wurden in mehrere, winzig kleine möblierte Einheiten mit Küchenzeilen aufgeteilt. Das Grau der Wohnung und ihrer Umgebung überträgt sich bald auf ihre Ehe. Maud, deren Sinn nach Höherem und Schönem steht, leidet unter der Ignoranz ihres Ehemannes. Seine Albernheiten und sein mangelndes Interesse an jeglicher Kultur stören sie zunehmend. Die Beiden bekommen eine Tochter, aber aus Paul wird kein idealer Familienvater.
    Doch es gibt auch Momente des Glücks, so z.B. ein gemeinsamer Kinoabend. Aber so richtig genießen können es beide nicht, sind sie doch das einzige schwarze Paar im Saal. Es gibt zwar keine offenen Diskriminierung, trotzdem fühlen sich beide unwohl.

    Maud spürt, dass es nicht nur ihre schwarze Haut ist, die sie von den anderen trennt, sondern auch deren soziale Stellung. „ Die schlendernden Frauen waren raffiniert gekleidet….Sie wirkten aufgetakelt. Gut versorgt. Und als hätten sie noch nie im Leben eine Kakerlake oder Ratte gesehen.“
    Rasse ist sicher das zentrale Thema des Romans. Doch auch die Klassenfrage wird damit zusammenhängend verhandelt.
    Es sind kleine, beinahe nebensächliche Beobachtungen, die den Geschichten ihre Dimension geben. So z. B. wenn Maud Martha Zeugin einer rassistischen Beleidigung wird und die so Beleidigte das damit abtut, dass sie mit dem Wort „ Nigger“ nicht gemeint sein könne.
    Als Maud Martha selbst von der weißen Dame, bei der sie den Haushalt macht, gebeten wird, zukünftig den Hintereingang zu benutzen, beschließt sie nicht mehr zur Arbeit zu kommen.
    Doch herzzerreißend für die Protagonistin wie für die Leserin ist jene Szene, als Paulette, die kleine Tochter von Maud Martha und Paul, vom Weihnachtsmann eines Kaufhauses nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommt wie zuvor die weißen Kinder. Wie kann sie ihrem Kind dieses Verhalten erklären, ohne ihm das unschuldige Vertrauen in die Welt zu nehmen?
    Gwendolyn Brooks erzählt Maud Marthas Leben episodenhaft. Es sind immer nur Momentaufnahmen bzw. Beobachtungen und Reflexionen. Dazwischen bleiben Leerstellen, vieles bleibt unausgesprochen. Aber in der Summe ergibt sich so ein ganzes Frauenleben, ein Leben als Tochter, Ehefrau und Mutter.
    Und Brooks dichte und poetische Sprache erschafft Bilder von großer Eindringlichkeit, die in Erinnerung bleiben. Mit leichtem Spott blickt die Protagonistin auf ihre Umwelt, aber schließt sich davon nicht aus. Im Verlauf ihres Lebens muss sie sich von manchen Traum verabschieden, trotzdem verliert sie nicht ihren Optimismus und ihre Fähigkeit, Schönes zu entdecken.
    Vieles
    „ Maud Martha“ ist das Portrait einer widerständigen und positiv denkenden Frau, die sich in einer rassistischen Gesellschaft bewähren muss. Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche.

    Teilen
  1. Schwarz hat viele Nuancen

    Schwarz hat viele Nuancen

    Eine Wiederentdeckung, von der ich mich frage, warum sie in Vergessenheit geraten konnte?! Schließlich war Gwendolyn Brooks die erste schwarze Pulitzer-Preisträgerin überhaupt, eine große Ehre! Nach der Lektüre kann ich nachvollziehen, warum sie diesen Preis erhalten hat. Die Autorin lehnt vieles an ihr eigenes Leben an, und man erkennt zwischen den knappen Zeilen was ein Farbiger damals zu erleiden hatte. Den Preis erhielt sie aber nicht für dieses Buch, dies verfasste sie gut 3 Jahre nach der Auszeichnung!

    Maud Martha berichtet in diesem Werk von kurzen Erlebnissen aus ihrem Leben. Die Passagen sind eher kurz gehalten, doch die Wortwahl des gelesenen gibt Einblick in die Gefühle Maud Marthas, deren Leben der Leser vom Kindesalter an bis zum Alter einer reifen Frau begleiten darf. Ihre Gedanken und Erlebnisse zeigen sehr deutlich, wie schwer es war schwarz zu sein. Dabei wird ebenfalls deutlich, dass die Abstufungen der Hautfarbe ebenfalls eine zentrale Rolle spielte, je dunkler, desto schlechter. Als Maud Martha ihren Mann heiratet, treibt sie immer noch der Gedanke um, ob sie gut genug für ihn ist, weil sie sich als zu schwarz sieht. Hübsch wäre sie vielleicht, wenn man ihren Hautton als Cremefarben bezeichnen könnte. Beim lesen tut es manchmal fast weh, diesen Gedanken zu verfolgen. Es muss schrecklich sein, wenn das gesamte Leben von diesem Gefühl überschattet wird. Schwarz sein ist keine Momentaufnahme, es überschattet das gesamte Leben. Entkommen konnte man dem nicht als Frau in dieser Zeit um 1930. Hier drängt sich die Frage auf, ob sich seitdem überhaupt viel geändert hat.
    Auch innerhalb der Familie ergeht es Maud Martha schlechter als der Schwester zum Beispiel. Dennoch meistert sie ihr Leben, arrangiert sich mit vielem und erträgt es auf ihre Weise. Bewundernswert! Denn auch Maud Martha hatte Träume, wie jeder andere Mensch auch. Eine schöne Wohnung war einer davon, doch sie muss mit der Kitchenette vorlieb nehmen und das Beste daraus machen. Ihre Tochter erzieht sie sehr liebevoll, und bangt darum, dass sie allzu bald den Ernst des Lebens kennenlernen muss. Paulette wird irgendwann am eigenen Leib die Diskriminierung erleben, Maud Marthas schützende Hand wird sie nicht für immer begleiten können…..

    Ein Klassiker, der gelesen werden sollte, immer und immer wieder. Danke an den Manesse Verlag, der diesen Klassiker endlich ins deutsche übersetzt herausgegeben hat.

    Teilen
  1. Ein Leben in leiser Würde

    Chicago in den 1940er- und 1950er-Jahren: Maud Martha Brown wächst in bescheidenen, aber behüteten Verhältnissen auf. Als Heranwachsende träumt sie von Wohlstand, fremden Großstädten und der großen Liebe. Doch ganz so gut meint es das Leben nicht mit ihr. Trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse ist sie stets darauf bedacht, ihre Würde zu behalten.

    „Maud Martha“ ist der einzige Roman der verstorbenen Autorin Gwendolyn Brooks, der bereits im Jahr 1953 entstanden und nun erstmals auf Deutsch erschienen ist.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus 34 kurzen Episoden. Er spielt in Chicago und begleitet Maud Martha von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, mit Unterbrechungen in Form von kleineren und größeren Zeitsprüngen. Erzählt wird aus einer personalen Perspektive aus der Sicht der Protagonistin.

    Die Sprache hat mich begeistert und schnell für den Roman eingenommen. Sie ist atmosphärisch und bildstark. Die Autorin beweist mit diesem Werk, dass sie mit nur wenigen Wörtern und Sätzen, sehr viel transportieren konnte. Der Stil ist zugleich reduziert und dennoch poetisch. Nur die Übersetzung von Andrea Ott weist kleinere Schwächen auf.

    Wie der Titel richtigerweise vermuten lässt, steht die Figur Maud Martha im Vordergrund des Romans. Sie wird realitätsnah und mit psychologische Tiefe dargestellt. Beim Lesen kommt man der Figur nahe. Weil die Protagonistin Gemeinsamkeiten mit der Autorin aufweist, ist davon auszugehen, dass autobiografische Elemente eingearbeitet sind.

    Inhaltlich ist der Roman ein Porträt einer jungen Schwarzen und gleichzeitig eine Art Gesellschaftsstudie, denn die Biografie Maud Marthas zeigt exemplarisch, wie es ist, als nicht-privilegierte Person in dieser Zeit zu leben. Einerseits nehmen der Rassismus und seine Folgen breiten Raum ein. Andererseits wird die Protagonistin nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihres Geschlechts, ihres Aussehens insgesamt und ihrer gesellschaftlichen Stellung diskriminiert und abgewertet. Vor allem Situationen, in denen diese Aspekte zutage treten, werden schlaglichtartig beleuchtet. Diese Szenen sind es, die mich am meisten berührt und gedanklich beschäftigt haben. Betroffen macht die Feststellung, dass sich so manche Begebenheit auch in der heutigen Zeit so ereignet haben könnte. Obwohl die Erfahrungen sehr persönlich sind, sind sie zum Teil eben zugleich universell, was dem Roman auch in der Gegenwart Bedeutung verleiht.

    Auf den knapp 140 Seiten werden die Erlebnisse verdichtet und aufs Wesentliche beschränkt. Einen klassischen Spannungsbogen und größere Überraschungen gibt es nicht. Dies tut dem Lesevergnügen jedoch keinerlei Abbruch.

    Als gelungen empfinde ich auch das Nachwort von Daniel Schreiber („Eine Ballade gelebten Lebens“). Er ordnet den Roman ins Gesamtwerk von Gwendolyn Brooks ein, skizziert die Biografie der Autorin und legt ihr Anliegen dar.

    Die unaufdringliche, aber ansprechende, zeitgemäße und durchdachte Aufmachung des Hardcovers passt sehr gut. Erfreulicherweise hat der Manesse-Verlag beim deutschen Titel auf Experimente verzichtet und sich am Original orientiert.

    Mein Fazit:
    Mit „Maud Martha“ hat Gwendolyn Brooks ein sprachlich beeindruckendes und inhaltlich intensives Leseerlebnis geschaffen. Ein Roman, der an Relevanz leider nicht eingebüßt hat und daher uneingeschränkt empfehlenswert ist.

    Teilen
  1. Rassismus, Klassengesellschaft und Patriarchat

    Unter dem Motto "Mehr Klassikerinnen" veröffentlicht der Verlag Manesse Werke von Frauen, berühmten Autorinnen genauso wie vergessenen oder sogar bisher nicht ins Deutsche übersetzten. Zu letzteren gehört die US-Amerikanerin Gwendolyn Brooks (1917 – 2000), die 1950 als erste Schwarze den Pulitzerpreis in der Kategorie Lyrik und später zahlreiche weitere Auszeichnungen erhielt.

    Während die Gedichte bis heute nicht auf Deutsch vorliegen, hat Andrea Ott nun ihren einzigen Roman "Maud Martha" von 1953 übersetzt. Er besteht aus 34 Einzelgeschichten um die gleichnamige Protagonistin, überwiegend aus ihrer Sicht erzählt und autobiografisch inspiriert. Die „Vignetten“, wie Daniel Schreiber sie in seinem sehr erhellenden Nachwort nennt, die man größtenteils auch als unabhängige Kurzgeschichten lesen könnte, werfen Schlaglichter auf den alltäglichen Rassismus, die Klassengesellschaft, insbesondere das Arbeitermilieu, und die patriarchalische Familienordnung in den 1920er-Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Kindheit, Jugend, Ehe, Mutterschaft
    In der ersten Vignette ist Maud Martha sieben Jahre alt:

    "Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet. Und Löwenzahn." (S. 7)

    In den Löwenzahnblüten sieht sich das wenig selbstbewusste Kind gespiegelt, sind sie doch ebenso gewöhnlich, verzieren aber als „gelbe Halbedelsteine“ das „geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs“ (S. 7). Maud Martha wünscht sich, geliebt zu werden, etwas zu erschaffen und „der Welt einfach eine gute Maud Martha schenken“. (S. 21)

    Die einzelnen Kapitel handeln von Maud Marthas Kindheit, während derer sie sich stets hinter der hellhäutigeren, charmanteren zwei Jahre jüngeren Schwester und „Königin“ Helen zurückgesetzt fühlt, von finanziellen Schwierigkeiten der Eltern, ersten Verehrern sowie ihrem Traum von New York und einem „gediegenen" Zuhause, der mit der Eheschließung mit Paul und dem Bezug einer armseligen "Kitchenette" im Chicagoer Stadtteil South Side zerplatzt. Die eheliche Desillusionierung schiebt sie beharrlich auf ihre dunkle Hautfarbe und das Kraushaar, die ihrer Ansicht nach ihren etwas hellhäutigeren Mann stören müssen, nicht auf ihren offensichtlich unterschiedlichen Intellekt: Während sie William S. Maugham liest, studiert Paul „Sex in the Married Life“.

    Szenen mit Gänsehaut-Effekten
    Dem Text merkt man die Lyriker an, insbesondere bei den kreativen Farbadjektiven und Bildern. Zwar hätte ich mir einen weniger fragmentierten und ausführlicheren Text gewünscht und Maud Marthas Beteuerung, das Leben eher als Komödie denn als Tragödie zu sehen, konnte ich über weite Strecken nicht nachvollziehen. Trotzdem berühren viele Vignetten stark, so eine diskriminierende Szene im Hutladen, den Maud Martha trotzdem würdevoll verlässt, oder die vorletzte Geschichte, in der ihre geliebte Tochter Paulette im Kaufhaus von Santa Claus ignoriert wird und der Mutter aufgeht, dass sie ihr die grausame Wahrheit über die Diskriminierung nicht mehr lang verheimlichen kann. Stark sind auch die Charakterisierung der Mitbewohnerinnen und –bewohner des Mietshauses und Maud Marthas deprimierender Arbeitsversuch als Hausmädchen. Überrascht hat mich der Rassismus innerhalb der schwarzen Community aufgrund unterschiedlicher Teints.

    Die Entdeckung dieses modernen Klassikers über eine in eng gesteckten Grenzen widerständige, wütende und doch nicht verzagte Frau, die sich nicht ihrer Würde berauben lässt, lohnt daher sehr.

    Teilen
  1. 4
    03. Mai 2023 

    Fast eine Autobiografie - erzählt in Miniaturen...

    Der Bezeichnung "Roman" kann ich in diesem Fall kaum folgen, denn erzählt wird hier eher unzusammenhängend in lose aufeinanderfolgenden Vignetten von jeweils wenigen Seiten, wenn auch zumeist chronologisch. Grob skizziert werden hier einige Jahrzehnte eines Frauenlebens, das eher auf der Schattenseite des Lebens anzusiedeln ist, von den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Vergleicht man die Schilderungen des Lebens von Maud Martha Brown mit den Eckdaten der Autorin, wird man auf nicht unerhebliche Parallelen stoßen. Einiges ist jedoch auch nicht stimmig, so dass es sich hierbei wohl am ehesten um eine autofiktionale Erzählung handeln dürfte.

    Tatsächlich hat die Pulitzer-Preis-Trägerin Gwendolyn Brooks mit "Maud Martha" ihren einzigen Roman verfasst - ansonsten hat sie sich der Lyrik gewidmet, was dem Schreibstil auch von diesem Buch durchaus anzumerken ist. Sehr bildhafte, auf eine kleine aber treffende Essenz zusammengeschnürte und fein geschliffene Schilderungen, teilweise von einer unerwartet zauberhaften Poesie durchdrungen in einer ansonsten durch und durch grauen Welt. Da gab es doch etliche Passagen, die mich angesprochen haben.

    "Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet. Und Löwenzahn. Gelbe Alltagsedelsteine, mit denen das geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs verziert war. Sie mochte diese nüchterne Schönheit, mehr noch aber ihre Alltäglichkeit, denn darin glaubte sie ein Abbild ihrer selbst zu erkennen, und es war tröstlich, dass etwas, was gewöhnlich war, gleichzeitig eine Blume sein konnte."

    Ansonsten erscheint der Ton meist lakonisch-distanziert, auch wenn manche Gefühlslagen sich nahezu aufdrängen. Im Zentrum des Geschehens steht Maud Martha, eine junge Schwarze Frau, die nicht allein aufgrund des allseits vorherrschenden Rassismus benachteiligt wird, sondern auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse sowie aufgrund ihres Geschlechts als Frau. Drei Anlässe zur Diskriminierung, und dementsprechende Erfahrungen schildern viele der Vignetten. Doch trotz der Enttäuschungen im Leben, der Erniedrigungen und Demütigungen - eines lässt sich Maud Martha nicht nehmen: ihre Würde. Selbstbestimmung, Anstand, Selbstachtung - das sind die drei Säulen ihres Lebens.

    Als Leseerlebnis konnte mich der Roman nicht vollkommen abholen, da Maud Martha als Person für mich wenig greifbar blieb, doch in der Prägnanz der Darstellung konnte mich die Erzählung beeindrucken. Sehr aufschlussreich war dabei das Nachwort von Daniel Schreiber, das mir bei der Einordnung des Gelesenen half und auch schlüssig aufzeigte, weshalb es wichtig ist, dass der Roman nicht in der Versenkung verschwindet. Empfehlungen durch Prominente wie Barack Obama trugen dazu bei, dass man sich dieses Buches aus dem Jahr 1953 erinnerte, und das nun erstmals auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

    Eine interessante Leseerfahrung...

    © Parden

    Teilen
  1. Kurz und intensiv.

    Gwendolyn Brooks (1917-2000), eine afroamerikanische Dichterin und Pulitzerpreisträgerin veröffentlichte diesen Roman 1953. Sie beschreibt darin das Leben ihres Alter Egos, Maud Martha, im Chicago der 1940er Jahre. Schlaglichtartig erhellen sich die prägenden Momente Maud Marthas Kindheit, Jugend und schließlich der Ehe mit Paul zusammen in der engen Kitchenette-Wohnung, die auch Schauplatz für Brooks eigenes Leben bildet, als sie, angesichts der Preisverleihung für ihre Gedichte, Reporter und Gratulanten empfangen muss.

    Der Leser darf also getrost davon ausgehen, dass das Leben Maud Marthas eins zu eins Gwendolyns Leben ist. "Maud Martha" ist ihr einziger Roman und seine kurzen lakonischen Vignetten verleugnen nicht die Dichterin, die der Meinung war, dass "echte Größe auch in einem kleinen Haiku [kurze japanische Gedichtform] gefunden werden kann".

    Mit ganz so wenigen Worten müssen wir uns nicht begnügen, doch es ist schon auffällig, wie oft rassistische Konflikte in den Kapiteln mit nur einem Wort abgehakt und quasi im Raum stehen gelassen werden. Brooks diskutiert nicht das Potential der Ungleichbehandlung in Rasse, Klasse und Geschlecht und zeigt auch keine Lösungswege auf, sondern lässt die Momente im Blitzlicht aufleuchten, kurz und scharf umrissen und eilt dann zur nächsten Station ihres Lebens weiter. Das mag bruchstückhaft erscheinen, hat aber den Vorteil, dass die Essenz aus den 140 Seiten tief wirken kann. Dabei findet sie trotzdem immer wieder Platz für kleine Oasen bescheidenen Glücks beim Betrachten von Löwenzahnblüten.

    Maud Martha selbst besitzt wenig Selbstwertgefühl und sieht für ihre Zukunft allenfalls eine schöne Zimmereinrichtung, doch nicht nur der Name "Maud", die mächtige Kämpferin, lässt erahnen, dass sie aus den feinsinnigen Beobachtungen ihrer Umwelt bald ausbrechen wird und die verletzenden Worte der Mitmenschen an den Pranger stellen wird... mit einem Gedicht, oder aber mit diesem Buch, übersetzt von Andrea Ott und mit einem erhellenden Nachwort von Daniel Schreiber ergänzt. Einfach aber sehr intensiv, eben fast wie ein Haiku.

    Der Manesse Verlag hat sich ebenfalls ganz auf dieses Werk eingelassen und huldigt mit dem Vorsatzpapier die Tapete in Maud Marthas kleiner Wohnung, in der ihre Träume platzen, aber das Leben ungebremst weitergeht.

    Teilen
  1. 4
    27. Apr 2023 

    Kleiner Roman über das Leben einer Schwarzen Frau

    Kleiner Roman über das Leben einer Schwarzen Frau Anfang des 20. Jh.

    „Maud Martha“ ist der 1953 erstmals veröffentlichte und einzige Roman der Pulitzer Preisträgerin aus dem Jahre 1950, der Lyrikerin Gwendolyn Brooks. Mittlerweile kann er als moderner Klassiker eingeordnet werden und ist nun glücklicherweise auch erstmals auf Deutsch erschienen.

    Der Roman, welcher in kurzen Vignetten verfasst ist, beschreibt das Aufwachsen und Leben einer jungen Schwarzen Frau, besagte Maud Martha, in der South Side von Chicago. Die Handlung setzt Anfang der 1920er Jahre ein, Maud Martha ist, wie auch die Autorin selbst, 1917 geboren. Schon ihre Eltern hatten nicht viel Geld, jedoch ein kleines Haus, mit ihrer Heirat zieht sie mit ihrem Mann in eine heruntergekommene Kleinstwohnung, eine sogenannte „Kitchenette“, und wir begleiten sie nun durch ihr Leben, welches geprägt ist von den drei großen, soziologischen Variablen für Verarmung und Ausgrenzung: Rasse, Klasse und Geschlecht. Wir lernen aber auch die Wohngegend kennen, das soziale Umfeld der Protagonistin, ebenso zwischendurch auch kleine alltägliche Szenarien ihres Lebens. Klar wird: Maud Martha hat ganz andere intellektuelle Ambitionen als ihr Ehemann, steckt allerdings fest ist den determinierenden Gegebenheiten der Zeit.

    Gwendolyn Brooks Schreibstil merkt man an, dass sie eigentlich eine Dichterin gewesen ist. Die Beschreibungen von Natur als Parabel auf Empfindungen Maud Marthas können direkt von der ersten Seite an überzeugen. Weiterhin weisen die sehr kurzen Kapitel, die eigentlich viel besser „Geschichten“ genannt werden könnten, auf die lyrische Form hin, welche hier in eine prosaische Form gebracht wurde. Mit einigen wirklich perfekten Sätzen formt sie Ereignisse zu mitunter brillanten Betrachtungen. Ihre Beschreibung der Geburt von Maud Marthas Tochter ist so lebendig und unmittelbar beschrieben, wie auch ein Vorfall, bei dem das N-Wort in einem von Schwarzen geführten Schönheitssalon verwendet wird. Diese Szenen gehen definitiv unter die Haut. Trotzdem konnten mich mitunter diese einzelnen Momentaufnahmen/Vignetten nicht unbedingt der konkreten Person Maud Martha näher bringen. Als Figur wirkte sie immer recht fern auf mich, ich hätte mir ihr noch mehr psychologische Tiefe gewünscht. Das Buch fängt zwar quasi die Essenz des Lebens als Schwarze Frau ein, aber als Roman hat es mich nicht so richtig hineinziehen können. Mir fehlte ein wenig die emotionale Bindung an die Figur Maud Martha sowie ihrer Konflikte. Manchmal konnte ich den Vignetten in ihrem Sprung von einer Szenerie in die nächste nicht ganz folgen und fragte mich auch ab und an, warum jetzt gerade diese Momentaufnahme im Roman auftaucht.

    Ich muss zugeben, dass diese ganz besondere Kürze der Kapitel sowohl inhaltlich als auch sprachlich, sowie die Sprünge zwischen ihnen doch sehr gefordert haben. Ich hätte mich gern Maud Martha näher gefühlt, dafür hätte der Roman eben auch gern noch umfangreicher sein dürfen.

    Sehr gut hat mir beim (Be-)Greifen des Werkes und seiner Relevanz das Nachwort von Daniel Schreiber geholfen, welches noch einmal die Entwicklung der nach außen hin vertretenen Ansichten Gwendolyn Brooks zum Thema Bürgerrechtsbewegung, die Parallelen zwischen Maud Marthas und ihrem eigenen Leben als auch auf soziologischer Seite die Entstehung von Ghettos in den Großstädten der USA und einige andere, wichtige Punkte herausarbeitet. Die Übersetzung von Andrea Ott hat mir über weite Strecken gefallen, wenngleich sie gleich auf Seite 10 aus der Frisur „pompadour“ im Deutschen eine „Elvis-Tolle“ macht, die Handlung in dem Moment aber Anfang der 1920er Jahre angesiedelt ist. Nicht nur zum Handlungszeitpunkt war Elvis noch gar kein Thema, sondern selbst bei Verfassen des Romans 1953 konnte er Brooks noch nicht einmal bekannt gewesen sein, begann er seine Karriere doch erst im darauffolgenden Jahr. ;)

    Insgesamt finde ich die Aufmachung des Buches wirklich sehr gelungen. Ein ganz großes Lob an den Verlag, dass er sich bei diesem Buch dafür entschieden hat, die Anmerkung direkt als Fußnoten auf die entsprechenden Seiten im Roman zu drucken. Kein Blättern, kein Suchen. Die Gestaltung finde ich auch sehr schön und stimmig. Bis hin zum Vorsatzpapier, welches im Aussehen der beschriebenen Tapete aus Maud Marthas Kitchenette gleicht und damit den Rahmen um das Erwachsenenleben der Protagonistin widerspiegelt, stimmt hier alles und gibt auch den perfekten optischen Rahmen für den Roman vor.

    Es ist wichtig und richtig, dass dieses Buch nun auch den deutschsprachigen Leser:innen zugänglich gemacht wird. Es handelt sich, wie besonders durch das Nachwort klar wird, um einen zu unrecht vergessenen, modernen Klassiker und relevanten Roman von einer äußerst interessanten Autorin. Eine Lektüre des Gesamtpakets des Manesse Verlags lohnt sich auf jeden Fall.

    3,5/5 Sterne

    Teilen