JAB

Rezensionen zu "JAB"

  1. 4
    29. Mai 2022 

    Emotional und tiefsinnig

    „Das Leben ist so grausam. Und gerade, weil es so grausam ist, macht es ja Spaß“ –(191)
    sagt einer der Protagonisten aus der Kurzgeschichtensammlung „JAB“ von Un-su Kim.

    Seine Aussage könnte das Motto aller Geschichten in diesem Band sein. Denn in dem Buch erzählt der aus Korea stammende Autor Un-su Kim über Schicksalsschläge und Zufälle, die das Leben seiner Protagonisten beeinflussen.

    Die Protagonisten der Erzählungen sind alle auf irgendeine Weise besonders. Es sind jedoch keine Helden, die man für ihre kühne Taten bewundern sollte. Ganz im Gegenteil; es sind meistens solche Charaktere, deren Handeln nicht immer nachvollziehbar erscheint. In der Titelgeschichte „JAB“ ist es ein Schüler, der von seinem Lehrer schikaniert wurde. Er versucht auf eigene Art und Weise mit den Ungerechtigkeiten in der Schule fertig zu werden und lernt sich dagegen zu wehren. In der anderen Geschichte erzählt der Autor über zwei Kriminelle, die in einen Tresorraum eingebrochen sind und dort eingesperrt wurden. Auch ein trockener Alkoholiker, der einen Neuanfang versucht und dann doch der Versuchung nicht widerstehen kann, bekommt seine Geschichte.

    Es sind vorwiegend traurige Storys, schonungslos erzählt, ohne Happy End, manche von ihnen sind melancholisch, andere wiederum trostlos, sogar deprimierend. Auch wenn hier und da die bedrückte Stimmung mit einer Prise Humor aufgehellt wurde, hinterlassen diese Kurzgeschichten doch einen schalen Nachgeschmack.

    Trotzdem sind alle Erzählungen interessant und lesenswert. Sie stellen realistische Bilder einer Gesellschaft dar; sprachliche Bilder, die provozieren, starke Emotionen wecken und nachdenklich stimmen.

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  1. 4
    23. Mai 2022 

    Männergeschichten...

    Ein Mann betrachtet einen alten Boxsack, der in seinem Garten an einem Zweig des Kakibaums hängt. Dieses Überbleibsel aus seiner Jugend ist der Ausgangspunkt für die Geschichte seines Lebens, von der High School bis ins Erwachsenenalter. Als Teenager wurde er von seinem Ethiklehrer zu Unrecht bestraft, weil er die herumwirbelnden Blätter vor dem Klassenzimmerfenster beobachtet hatte. Im Boxen findet der wütende junge Mann ein Ventil und einen Weg, sich der Welt zu stellen. Jab, das ist eine abrupt geschlagene Gerade – hier ist es die Titelgeschichte von Un-su Kims erster Kurzgeschichtensammlung. Darin begegnet man faszinierenden Menschen, die auf ihre Art Helden sind, ob nur für einen Tan oder ihr ganzes Leben lang. Un-su Kims Geschichten zeigen die Auswirkungen der Zeit auf Menschen und auf Dinge. Frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen Botschaften schildern sie, wie die Protagonisten ihr Schicksal meistern – oder daran scheitern. (Klappentext)

    Acht Kurzgeschichten des 50jährigen südkoreanischen Autors Un-Su Kim sind in diesem Band versammelt, wobei “JAB” die titelgebende Story ist. Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen Männer, deren Leben zumeist von Erfolglosikeit, Mittelmäßigkeit, Scheitern oder Sinnlosigkeit geprägt ist. Kein strahlendes Bild Südkoreas also, sondern Existenzen abseits des angestrebten Erfolgs. Das Leben in Korea ist nicht immer einfach. Leistungsdruck und eine hohe Arbeitsmoral sind allgegenwärtig. Was, wenn man da nicht standhalten kann, seine Arbeit verliert, die Ehe zerbricht, man seinen eigentlichen Lebenswünschen entfremdet wird, dem Alkohol verfällt, sich plötzlich in einer Welt von Hoffnunglosigkeit, Gewalt und Gleichgültigkeit wiederfindet?

    “Kim dachte an die tote Erde, in die er sich manövriert hatte. Was hat er mit seinen 40 Jahren erreicht? Ihm fiel nichts Nennenswertes ein. Er hatte es immer eilig, doch die Zeit zog leer an ihm vorbei. Er fühlte sich unsäglich allein und einsam.” (S. 170)

    Solcherlei Aspekte verfolgt Un-Su Kim in seinen Geschichten, die Möglichkeiten des Invidiuums angesichts des Hamsterrads rigider gesellschaftlicher Erwartungen und Zuschreibungen beleuchtend. Der Protagonist der Titelstory beispielsweise entscheidet sich bewusst gegen den Erfolgszwang und Leistungsdruck und findet so eine Nische, in der er letztlich zufrieden leben kann. Damit ist er aber auch schon der einzige Hauptcharakter, der einen für sich positiven Weg gefunden hat. Alle anderen kämpfen gegen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit an – zumeist vergeblich. Moralischer Verfall, Abstumpfung, Selbstmitleid, Alkoholismus, Suizid – hier wird kein dunkles Thema ausgespart. Das Verhältnis von Nordkorea und Südkorea wird zumindest in einer Erzählung angerissen, die allerdings skurril-kafkaesk daherkommt und somit m.E. allenfalls eine Botschaft zwischen den Zeilen vermittelt.

    Dem Autor gelingt es auf jeweils wenigen Seiten, das Erleben und Empfinden des jeweiligen Charakters anschaulich und bildhaft darzustellen, fein beobachtete Momentaufnahmen im Leben von Menschen, denen der Kompass abhanden gekommen ist. Der Schreistil is gekennzeichnet durch seine ungekünstelte Unmittelbarkeit, die durchaus auch ins Grobe abgleiten kann, dann aber wieder mit einer düster-morbiden Poesie aufwartet. Dabei schildert der Autor die Gegebenheiten lediglich ohne zu werten oder zu moralisieren. Sieben der Erzählungen werden aus der Ich-Perspektive des jeweiligen Hauptcharakters geschildert, eine durch einen personaler Erzähler.

    "Aber nichts konnte mich davon abhalten zu trinken. Mein Leben ging schneller in die Brüche, als die Promille in meinen Adern stiegen” (S.198)

    Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und ein oftmals exzessiver Alkohlkonsum ziehen sich ebenso wie ein negatives Frauenbild durch die meisten der Kurzgeschichten. Wenn der Verlag schreibt, dass dieser Band “frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen Botschaften” sei, so wage ich das ehrlich gesagt zu bezweifeln und wüsste gern, wie der Verfasser zu dieser Aussage kommt. Das aber nur mal nebenher.

    Wie immer bei Kurzgeschichten-Sammlungen hat mich auch diesmal nicht jede Erzählung gleichermaßen angesprochen. Manche ließen mich etwas irritiert zurück, andere stießen mich ab, einige fand ich auf morbide Art auch faszinierend. Doch das Gesellschaftsbild, das der Autor hier zeichnet, so düster es auch sein mag, halte ich für einen wichtigen Fingerzeig. Dabei betrifft einiges sicherlich das schnelllebige und erfolgsorientierte Südkorea, anderes jedoch ist durchaus universal zu betrachten. In jedem Fall bringen die Geschichten zum Nachdenken.

    Keine Erzählungen, die man mal eben so runterliest. Wohldosiert allerdings sind sie durchaus empfehlenswert. Auf weitere Werke von Un-Su Kim bin ich jetzt jedenfalls neugierig geworden. Ob seine Thriller wohl ähnlich düster gehalten sind?

    © Parden

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  1. Von Alkoholikern, Ganoven und anderen Antihelden

    Da ist der Barkeeper, der sich bei den härtesten Gangstern des Viertels anbiedert und zuhause seine Freundin verprügelt. Da ist der Mann, der das Geld für die teure Behandlung seines todkranken Vaters einfach verjubelt. Da ist das Mädchen, das mit nahezu jedem Mann Sex hat, bevor es sich von der Brücke stürzt. Und da ist der Alkoholiker, der für eine neue Wohnung seine Grundsätze über den Haufen wirft und wieder anfängt zu trinken. Sie alle sind gescheiterte oder tragische Antiheld:innen voller Schmerz und Melancholie. Und sie sind die Hauptfiguren in Un-Su Kims Kurzgeschichtenband "JAB", der kürzlich im Europa Verlag erschienen ist.

    Während das koreanische Original bereits 2013 veröffentlicht wurde, liegt es nun in der Übersetzung von Kyong-Hae Flügel erstmals auf Deutsch vor. Es ist eine gute Entscheidung des Verlags, der zuletzt schon mit weiteren koreanischen Titeln wie Hwang Sok-Yongs "Vertraute Welt" punkten konnte. Denn Un-Su Kims abwechslungsreiche Mischung ist gleichermaßen unterhaltsam wie schmerzhaft, düster wie skurril und komisch wie tragisch. Kim schreibt schnörkellos und pointiert und entfaltet in vielen Momenten doch eine gewisse Poesie, der man sich schwer entziehen kann.

    Insgesamt handelt es sich um acht Kurzgeschichten, von denen nicht alle gleichermaßen qualitativ überzeugen, doch in ihrer Unterschiedlichkeit sollten sie durchaus eine größere Leserschaft für sich entdecken dürfen. Vornehmlich richtet Kim den Blick auf gesellschaftliche Verlierer: Ganoven, Alkoholiker, Opfer von Verbrechen und psychisch labile Persönlichkeiten. Eine wohltuende Ausnahme dieses recht dunklen Cocktails stellt die Titelgeschichte "JAB" dar, die nicht von ungefähr dem Band nicht nur dessen Namen gab, sondern das Buch auch eröffnen darf.

    Der jugendliche Ich-Erzähler ist ein Träumer mit Prinzipien. Als er dafür bestraft wird, im Unterricht einen Blätterwirbel angeschaut zu haben, richtet er seine Aggression lieber auf einen Boxsack und versetzt diesem zahlreiche "Jabs" - kurze schnelle Hiebe. Er ist der einzige durchweg liebenswerte Protagonist, der seine Strafe für die Träumerei einfach abarbeitet - und erst spät die strafenden Lehrer durch seine Standhaftigkeit ein Einsehen haben lässt.

    Weitere Höhepunkte des Buches sind "Dan Valjean Street", die wie eine düstere Mischung aus Dick Tracy und Twin Peaks daherkommt - mit einer liebevollen kleinen Hommage an Laura Palmer und Co. Eine Erzählung wie ein melancholischer Film Noir mit einem Barkeeper als Protagonisten, der sein Fünkchen Menschlichkeit ausgerechnet einer hungernden Katze gegenüber zeigt. Auch "Das Sofa" überzeugt in seiner Skurrilität und zeigt, welche Auswirkungen es auf einen Menschen haben kann, wenn ein Gegenstand plötzlich zu einer großen Last wird. Das erinnert in seiner Seltsamkeit durchaus an das geniale "Salzfass" von Simon Sailer. Und wenn der Protagonist in "Das verdammte Albumin" bis zum tragischen Finale wirklich alles falsch macht, was man nur falsch machen kann, verharrt man als Leser:in in ungläubiger Resignation.

    Nur selten treffen Buch und Autor nicht die richtigen Töne. Beispielsweise in "Eingesperrt im Tresorraum", das trotz des gelungenen Endes mit seiner Knallchargen-Komik nervt. Oder bei den zum Teil etwas seltsam anmutenden Übersetzungen, in denen wie aus dem Nichts plötzlich eingedeutschte Straßennamen auftauchen.

    Doch in der Gesamtheit handelt es sich bei "JAB" um einen durchaus lesenswerten Kurzgeschichten-Band, der hoffentlich auch in Deutschland dazu beiträgt, dass der Name Un-Su Kim einen noch höheren Bekanntheitsgrad erfährt. Verdient hätten es Autor und Verlag in jedem Fall.

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  1. Warum bin ich wie ich bin?

    Korea, die Entwicklung von einem Jungen zum Mann.

    Warum bin ich wie ich bin?

    "JAB" das erste Buch von Un-Su Kim.

    Der Autor wurde 1972 in Südkorea geboren. In seiner Heimat ist er ein bekannter Thrillerautor. Seit 2002 hat er regelmäßig Bücher in diesem Genre verfasst von denen " Die Plotter" wurde in über 20 Sprachen übersetzt.

    Zum Inhalt: Eine Sammlung von Kindheitserlebnissen in Korea. Insgesamt 8 Kurzgeschichten zeigen die Metamorphose von einem sügkoreanischem Jungen zu einem Mann. Eine Auswahl entschiedener individueller Verstrickungen und emotionalen Wirkung auf denselben.

    Mein persönlicher Eindruck:

    Ich halte das Taschenbuch in den Händen und freue mich über die sorgfältige Gestaltung. Das Coverbild mit seiner Darstellung unerschiedlicher Gegenständen ( Würfel, Schlüssel etc.), welche im Erzählungs-Verlauf hervorgehoben und dadurch in meinem Gedächtnis verankert. Ein ungewöhnliches Cover mit einem in weißen Buschstaben geschriebenem Autorennamen, welcher mir bisher unbekannt gewesen ist.

    Die insgesamt 8 Kurzgeschichten sind durch ihren gefälligen Erzählstil, flüssig lesbar. Mit jeder Zeile wächst mein emotionale Zugang zur Psyche dieses Mannes. Auch wirklich alltägliche Geschehen werden durch die Schreibkunst zu wichtigen Eckpunkten.

    Die deutsche Übersetzung ist wirklcih gelungen. Eine wirklich gut gelungene Transmission vom Koreanischen ins Deutsche.

    Die Geschichten "atmen" koreanische Lebensphilosphie & geben sie an den Lesenden weiter. Eine Schlussfogerung der gesamten Entwicklungsgeschichte bleibt in diesem Werk, ausschließlich dem Leser, überlassen.

    Zusammenfassung: Ein persönlich - periodischer, sozial-evolutionärer Entwicklungsverlauf - eines Koreaners.

    Die mir bisher geheimnissvolle Welt Südkoreas wurde mittels dieser Sammlung eröffnet. Mein Bild von dem Land und seinen Menschen hat hiervon definitiv profitiert.

    Diese vorliegende Arbeit Un-Su Kim´s macht mich nun neugierig auf weitere, seiner Bücher.

    Fazit: Ich vergebe sehr gern eine sehr gute 4*Leseempfehlung.

    Menschen die an dem Leben & Alltag fremder Nationen interessiert sind, werden hier informativ & spannend unterhalten.

    Deutsche Übersetzung: Kyong-hae Flügel

    ISBN: 3958902464

    Format: elektr. & Taschenbuch

    Seitenzahl:260

    Verlag: Europa Verlage

    Veröffentlichung: März 2022

    Herzlichen Dank für das Leseexemplar

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  1. 3
    16. Mai 2022 

    Geschichten von durchmischter Qualität

    Es ist schon merkwürdig, wenn ein Verlag den Kurzgeschichtenband eines südkoreanischen Autors mit der Ankündigung versieht: „Frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen Botschaften“. Das wirkt, als ob hier vorab tiefgestapelt werden soll, um etwaigen zu hohen Erwartungen vorzubeugen.

    Und das, obwohl es in den Erzählungen von Un-Su Kim durchaus die ein oder andere kritische Andeutung zu entdecken gibt. Vor allem, wenn es um den Drill zum ambitionierten Lernen an Jungsschulen geht, um Vereinsamung und Selbstmord und vor allem um Spionageverdächtigungen zwischen Nord- und Südkorea inklusive Folterszenen. Denn all das kommt im Buch „JAB“ vor. Aber eben auch einiges, was im Bereich „Kleinkriminalität“ liegt und wenig Aussage mit sich zu bringen scheint. Wenn ein Sofa zum störenden Element in einer Wohnung wird oder sich Ganoven in einer Bar einer Mutprobe inklusive Finger abschneiden unterziehen.

    So schwanken für mich inhaltlich die Geschichten stark in ihrer Aussagekraft und Intensität. Von einer Kurzgeschichte erwarte ich dann doch wenn schon keine Take-Home-Message, dann doch zumindest eine kleine Pointe am Schluss, einen Twist oder ähnliches. Dieses Kriterium kann nur ein Teil der vorliegenden Erzählungen erfüllen. Emotional angesprochen wurde ich nur selten, im Gedächtnis werden mir wohl nur ca. zwei der acht Geschichten bleiben. Das ist ein recht niedriger Schnitt.

    Sprachlich verblüfft das Werk durch einen recht westlich wirkenden Schreibstil, den man aus kleinen Ganovengeschichten kennt. So wirkt die Atmosphäre auch stets ein bisschen wie in einem Low-Budget-Streifen, durchaus auch mal mit Stil, aber eben nicht sonderlich hochkarätig. Südkoreanische Idiome oder speziell zu dieser Region passende inhaltliche Charakteristika vermisst man fast ganz. Allein die Stellung der Frau in der südkoreanischen Gesellschaft und ihre Darstellung in den Geschichten könnte Eingang gefunden haben in das Buch. Überraschend verwirrend - und leider nicht durch eine erklärende Fußnote, ob es sich um eine Übersetzungsentscheidung handelt oder im Originaltext genauso vorkommt, kommentiert - sind typisch deutsche Bezeichnungen (eine Dreiergruppe will „Skat“ spielen, es kommen hypothetische Straßennamen wie „Uwe-Jürgens-Weg“ und „Roland-König-Straße“ vor). Vielleicht hat ja der Autor eine Verbindung zu Deutschland und diese Worte deshalb gezielt so gewählt, im Kontext der Texte machen diese Bezeichnungen jedoch wenig Sinn.

    So komme ich insgesamt zu der Einschätzung, dass die Erzählung im Durchschnitt durchaus solide geschrieben sind, leider aber auch nicht allzu viel von ihnen im Gedächtnis bleiben wird. Eine gute Sammlung, mehr aber auch nicht.

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