Fräulein Hedy träumt vom Fliegen

Buchseite und Rezensionen zu 'Fräulein Hedy träumt vom Fliegen' von Andreas Izquierdo
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Fräulein Hedy träumt vom Fliegen"

»Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert.« – Eine Annonce in der örtlichen Tageszeitung bringt alles ins Rollen: Hedy von Pyritz, 88 Jahre, diszipliniert, scharfzüngig, eitel. Hellwacher Verstand, trockener Humor, zuweilen übergriffig. Eine alte Dame, die meist im Rollstuhl sitzt, sorgt für einen handfesten Skandal in dem kleinen Städtchen im Münsterland, wo sie herrschaftlich residiert. Aber Fräulein Hedy bleibt unbeirrt: Sie wird ihren Willen durchsetzen! Und findet in ihrem schüchternen, sanften Physiotherapeuten Jan einen Mitstreiter. Vielmehr nötigt sie ihn förmlich dazu. Der junge Mann wird sie fahren. Basta! Jan hat keinen Führerschein, dafür aber eine nie behandelte Lese-Rechtschreibschwäche, so dass Hedy den Unterricht übernimmt und sich schon bald eine ungewöhnliche Beziehung zwischen den beiden festigt. So vertraut sie ihm nach und nach die Geheimnisse ihrer schillernden Vergangenheit an und verändert damit auf ungeahnte Weise seine Zukunft ...

Format:Broschiert
Seiten:524
Verlag: Insel Verlag
EAN:9783458363095

Rezensionen zu "Fräulein Hedy träumt vom Fliegen"

  1. 4
    17. Mär 2018 

    Eine warmherzige Geschichte voller Gegensätze...

    Alt und jung, reich und arm, schüchtern und selbstbewusst, Zukunft und Vergangenheit, schwere Themen und viel Humor - ein Buch voller Gegensätze präsentiert Andreas Izquierdo hier. Doch worum geht es in dem Roman überhaupt?

    "Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert."

    Diese Annonce schaltet die 88jährige Hedy von Pyritz in der örtlichen Tageszeitung und sorgt damit für einen handfesten Skandal. Eigentlich ist die alte Dame eine anerkannte Persönlichkeit in dem kleinen Städtchen im Münsterland, leitet sie doch in ihrer hochherrschaftlichen Villa eine Stiftung zur Förderung hochbegabter Kinder und verkehrt selbstverständlich mit den honorigsten Herrschaften des kleinen Ortes. Doch nun scheint das Fräulein wohl verrückt geworden zu sein, sie, die stets so diszipliniert, scharfzüngig und mit hellwachem Verstand alles nach ihrem Willen zu dirigieren vermag?

    "Die Königin war erwacht, ein Spatz hatte an ihrem Haar gezupft. Lass ihn ein in den großen Irrgarten der unerzählten Geschichten. Öffne das Fenster und biete ihm die Welt." (S. 11)

    Aber nein, Fräulein Hedy ist alles andere als verrückt - sie weiß nur genau, was sie will. Und auch diesmal gedenkt sie, ihren Wunsch durchzusetzen, auch wenn alle anderen darüber den Kopf schütteln. Sie muss nur noch den richtigen Begleiter finden. Und wird letztlich tatsächlich fündig. Ihr Physiotherapeut scheint ihr der geeignete Kandidat zu sein, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Doch Jan ist sehr zurückhaltend und wenig selbstbewusst - und er hat vor allem keinen Führerschein! Wie sich herausstellt, hat er dafür eine handfeste Lese-Rechtschreib-Schwäche, die er bisher vor allen verborgen hat. Doch Fräulein Hedy wäre nicht die, die sie ist, wenn sie nicht alles daran setzen würde, ihr Vorhaben doch noch umzusetzen. Und so besteht sie darauf, dem jungen Mann nicht nur das Lesen und Schreiben beizubringen, sondern ihn auch seinen Führerschein machen zu lassen.

    "Und ich wusste in dieser Sekunde, dass ein einzelner Kolibri über einen ganzen Schwarm Raben triumphieren konnte. Eine Erkenntnis, die mich für immer prägen solte. Und mich isolierte." (S. 177)

    Durch die intensive Zeit, die Fräulein Hedy und Jan vor allem im Rahmen des Unterrichts fortan miteinander verbringen, entspinnt sich ganz allmählich eine Vertrautheit und Freundschaft zwischen den beiden. Diese wird einige Male arg auf die Probe gestellt, doch gehen sie immer wieder aufeinander zu. Fräulein Hedy beginnt zu erzählen, ihre Lebensgeschichte und mehr - und auch Jan wird zunehmend offener. Beide beginnen sich zu verändern und werden zukünftig nicht mehr die sein, die sie mal waren...

    "Weil es im Leben nur darum geht, nur um diese eine Sache: zu fliegen! So lange wie möglich zu fliegen! So hoch wie möglich zu fliegen! Wir müssen alle landen, aber bevor wir das tun, können wir fliegen!" (S. 205)

    Federleicht kommt die Geschichte anfangs daher, doch nur zu bald halten auch ernste Themen hier Einzug. Allein schon die Ausflüge in die Vergangenheit Hedys lassen nicht nur fast ein Jahrhundert vorüberziehen, sondern führen vor allem die Schrecken des Krieges vor Augen. Doch auch die nicht einfachen Familienkonstellationen von Hedy und Jan spielen hier eine große Rolle - auf die ich jedoch nicht näher eingehen kann ohne zu spoilern. In dieser Geschichte müssen auch immer wieder schwere Entscheidungen getroffen werden, was vor allem Jan nicht leicht fällt.

    "Sie können Kugeln ausweichen, Entscheidungen nicht."

    Manche der Entscheidungen fand ich persönlich bedenklich, aber auch hierauf kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen ohne zu spoilern - und letztlich muss mir ja auch nicht alles gefallen, was Romanhelden so treiben. In der Summe sind es vielleicht ein wenig zu viele (schwere) Themen, die sich hier letztlich versammeln, aber Andreas Izquierdo gelingt die Balance zwischen dem tiefen Ernst und vielen humorvollen Einlagen. So ist der Leser in einem Moment noch geschockt oder berührt, nur um im nächsten Augenblick in ein Kopfschütteln oder Lachen zu verfallen. Solch gelungene Mischungen mag ich sehr.

    "Gibt es Ärger?", fragte Jan höflich. "Den gibt es, seit Menschen beschlossen haben, von den Bäumen herabzusteigen. Das hat dem einen oder anderen nicht gutgetan!" (S. 49)

    Ein warmherziger Roman voller Gegensätze, der federleicht daherkommt und dabei viele schwere Themen entblättert. Ein Roman, der Zeit braucht und den Leser tief in die Geschichten und die Geschichte eintauchen lässt, der berührt und unterhält und dabei vieles anreißt, über das sich nachzudenken lohnt. Kurz: lesenswert!

    © Parden

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  1. Ein wunderbares Buch

    Es ist ein Zeitungsinserat mit dem Hedy von Pyritz die Kleinstadt in Aufruhr versetzt. „Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadstrand fährt. Entgeltung garantiert.“ Fräulein von Pyritz, 88 Jahre alt, vermögend, erfolgreich und von eiserner Disziplin und Entschlusskraft, versteht die Aufregung nicht und bleibt bei ihrem Vorhaben. Helfen soll ihr dabei Jan, ihr schüchterner Physiotherapeut, der allerdings keinen Führerschein hat. Aber er hat viel Verständnis und Einfühlungsvermögen und so erfährt der Leser über Jan von der unglaublichen Lebensgeschichte der Hedy von Pyritz.

    Es passiert mir nicht oft, dass ich der Titelheldin eines Romans gleich auf den ersten Seiten verfalle. Bei Hedy war es der Fall, ich liebe diese Figur mit ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Schroffheit und für ihre gut verborgene Verletzlichkeit. Aber auch alle anderen Figuren sind mir in diesem Buch sehr ans Herz gewachsen. Die Geschichte spielt auf zwei Handlungsebenen, die Gegenwart, da Hedy ihren Wunsch durchsetzen möchte und die Vergangenheit, als Hedys großer Wunsch Pilotin zu werden für ein junges Mädchen fast eine Unmöglichkeit war. Die Handlungsstränge ergänzen sich dabei wunderbar, denn Rückblick für Rückblick wird ein Stück mehr von ihrer Persönlichkeit sichtbar und ihr Charakter begreiflicher. Glück und großes Leid lagen sehr dicht beisammen, die Zeit des 2. Weltkriegs prägte ihr Leben im Guten, wie im Schlechten. Verlorene Liebe, verlorene Freundschaft und allgegenwärtigen Tod musste sie bewältigen.

    Trotz aller Schicksalsschläge, die die Protagonisten bewältigen müssen, durchzieht das Buch eine heitere Gelassenheit und schenkt Glücksmomente.

    Andreas Izquierdo hat einen wunderbaren Roman geschrieben, mit der Welt der Hedy von Pyritz einen ganz eigenen Kosmos erstehen lassen, der den Leser von der ersten Minute an fesselt und mitnimmt. Seine Figuren sind so menschlich beschrieben, mit ihren Stärken und Schwächen, dass sie mir sehr nahe gekommen sind. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lesen und habe alle Emotionen mitgefühlt.

    Ganz sicher ist das Buch eines meiner Highlights dieses Jahres!

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  1. Wer nicht vom Fliegen träumt, dem wachsen keine Flügel!

    "Wenn man mit Flügeln geboren wird, sollte man alles dazu tun, sie zum Fliegen zu benutzen." (Florence Nightingale)
    Eine Annonce bringt große Unruhe in das kleine Städtchen im Münsterland. Hedy von Pyritz, 88 Jahre, Vorsitzende des Stiftungsrats, diszipliniert, eitel, trockener Humor und bei allerbestem bestem Verstand hat diese in die örtliche Tageszeitung gesetzt. Worum geht es: "Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert." Diese Annonce bewegt die Gemüter so sehr, das sogar ihre Tochter Hannah an Hedys Verstand zweifelt und ihr den Vorsitz ihrer Stiftung entziehen möchte. Selbst Haushälterin Maria ist sich nicht sicher was in Fräulein Hedy gefahren ist. Aber Fräulein Hedy lässt sich nicht einschüchtern, unbeirrt verfolgt sie, wer auf ihre Annonce antwortet. Leider sind alle Antworten, die sie erhält niederschmetternd und nicht zu gebrauchen, darum beordert sie ihren schüchternen Physiotherapeuten Jan, sie zum Nachtbadestrand zu fahren. Dass Jan jedoch keinen Führerschein hat und dazu eine noch nie behandelte Lese-Rechtschreibschwäche, stört Hedy wenig. Fräulein Hedy ist sich sicher, das Jan und sie dies mit vereinter Hilfe alles hinbekommen werden. Von da an ist Jan ein Stipendiat der Von-Pyritz-Stiftung, lernt lesen und schreiben mit Hedy und erfährt nebenbei Hedys Lebensgeschichte, die auch seine Zukunft verändern wird.

    Meine Meinung:
    Als ich die Leseprobe dieses Buches las, war ich sofort hellauf begeistert von Fräulein Hedy, ihre Art, der Humor des Buches, dazu noch das nostalgische Cover alles sprach mich an. Das sich aber hinter diesem Buch eine wahre Achterbahn der Gefühle anbahnte, hatte ich nicht vermutet. Dieser exzentrische, eigenwillige, humorvolle, aber auch emotionale Plot hat mich nicht nur schmunzeln lassen, sondern auch tief bewegt. Die Lebensgeschichte der Vor- und Nachkriegszeit die Hedy und ihre Familie erleben mussten, hat mit teils regelrecht zu Tränen gerührt. Der Schreibstil ist sehr gut, flüssig, erfrischend leicht zu lesen, sodass ich nur so durch die Kapitel flog. Apropos Fliegen, das ist das große Thema dieser Geschichte, den insgeheim geht alles um das fliegen. Das jedoch auch in der Gegenwart viele Probleme auf Hedy und Jan lauern macht den weiteren Verlauf umso spannender. In die Vergangenheit hat der Autor sehr viele Informationen hineinfließen lassen, die mich als Leser überaus begeistert, aber auch überrascht haben. Sehr wahrscheinlich haben dafür ein paar reale Lebensgeschichten mit dazu beigetragen, wie das Nachwort zeigt. Was so leicht und humorvoll beginnt, entwickelt sich im Laufes des Buches zu einem immer stärker werdenden emotionalen Drama hin. Die Charaktere des Buches, die der Autor in die Geschichte miteinfliessen lässt, sind allesamt sehr gut ausgearbeitet. So ist es auch nicht verwunderlich das ich mein Herz schnell in Fräulein Hedy, Maria und Jan verlor und mit ihnen hoffte und bangte. Für mich ist dieses Buch jetzt schon in allen Belangen eine Bestseller 2018 und bekommt von mir 5 von 5 Sterne.

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