Entführung: Kriminalroman

Buchseite und Rezensionen zu 'Entführung: Kriminalroman' von Petra Ivanov
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Entführung: Kriminalroman"

Millionärstochter Lara Blum wurde entführt. Der Täter sitzt in Haft, verweigert aber jede Aussage. Sein Motiv ist unklar. Psychopath oder Terrorist? Die Medien überschlagen sich mit Spekulationen. Bei der Polizei herrscht Ausnahmezustand.

Rechtsanwalt Pal Palushi wird zum Pflichtverteidiger ernannt. Da liefert ihm der Entführer einen versteckten Hinweis. Doch Palushi ist an das Anwaltsgeheimnis gebunden. Wird er seine Werte über Bord werfen und seine Karriere aufs Spiel setzen, um die junge Studentin zu retten?

Er gerät zwischen die Fronten. Nur seine Freundin, Ex-Polizistin Jasmin Meyer, hält zu ihm und ermittelt auf eigene Faust. Sie findet eine tödliche Spur.

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:384
Verlag: Unionsverlag
EAN:

Rezensionen zu "Entführung: Kriminalroman"

  1. Zwischen den Fronten

    Bei „Entführung“ handelt es sich um den vierten Band aus Petra Ivanovs Meyer- und Palushi-Reihe. Dieser 384-seitige Justizkrimi ist im August 2019 im Unionsverlag erschienen.
    Die junge Studentin Lara Blum wurde entführt. Der muslimische Täter wurde gefasst. Doch er schweigt. Wo ist Lara? Welche Beweggründe stecken hinter der Tat? Der Anwalt Pal Palushi wird zum Verteidiger ernannt und gerät dabei in einen Gewissenskonflikt. Gemeinsam mit seiner Freundin, der Ex-Polizistin Jasmin Meyer, versucht er, den Hintergründen für die Tat auf die Spur zu kommen – Hintergründe, die die dunklen Seiten unserer Gesellschaft offenbaren und einmal mehr zeigen, dass die Welt komplizierter ist, als viele es sich wünschen.
    Obwohl dieses der erste Band dieser Reihe ist, den ich gelesen habe, fiel es mir von Anfang an leicht, dem Geschehen zu folgen: Die Charaktere sind plastisch und menschlich gezeichnet, alle wichtigen Details über die Vorgeschichte der Protagonist/innen sind in den aktuellen Fall integriert. Jasmin Meyer, selbst einst Entführungsopfer, kämpft nachvollziehbar mit inneren Dämonen, schafft es aber auch, mit ihrer Geschichte Zugang zu den Eltern des Entführungsopfers zu finden, die ihrerseits auf der einen Seite verständlicherweise betroffen sind, andererseits aber auch nur mangelhaft kooperieren. Pal Palushi, Moslem aus dem Kosovo, kämpft gleich an mehreren Fronten: Als Pflichtverteidiger eines überführten Täters hat er es ohnehin nicht leicht, wird ihm doch vorgeworfen, einen Verbrecher zu schützen und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Als Moslem sagt man ihm mangelnde Distanz nach, ja man wirft ihn sogar in einen Topf mit den Islamisten. Seine Verteidigung ist ein Balanceakt zwischen dem Wunsch, Lara zu finden, und der Aufgabe, seinen Klienten nicht unnötig zu belasten. All diese Schwierigkeiten werden noch angefacht durch die Hetze der Medien. Doch auch privat hat er seine Nöte: Sein Neffe, Rinor, distanziert sich mehr und mehr von der Familie und sucht Halt in islamistischen Kreisen.
    Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was sie komplex macht und die Leser/innen vor einige Fragen stellt. Immer wieder kommt es zu unverhofften Wendungen und neuen Erkenntnissen, sodass man beim Lesen das Buch kaum zur Seite legern mag – und das, obwohl die Handlung an sich eher ruhig verläuft. Das Ende führt dann lose Fäden zusammen, ist sehr überraschend und dennoch logisch nachvollziehbar - genau der Schluss, den ich von einem guten Kriminalroman erwarte.
    Mit dem Thema „Islam“ hat Petra Ivanov ein heißes Eisen angefasst. Ihre Darstellung verschiedener islamischer Strömungen und Praktiken sowie ihr Nachspüren der Frage, warum sich in einem demokratischen Land junge Männer (und auch Frauen) teils extremistischen Organisationen anschließen, zeugen von guter Recherche, berühren teils existenzielle Fragen („Warum lässt Allah so viel Elend zu?“) und bergen bestimmt auch streitbares Potenzial in sich. Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, dass die Autorin mit ihren Ansichten auch oft auf wenig Gegenliebe stößt. Zudem zeigt das Buch auch, wie oben schon erwähnt, das Dilemma eines Strafverteidigers auf und hinterfragt die Rolle der allgegenwärtigen Medien. Alles in allem also ein Kriminalroman, der über eine spannende Handlung hinaus noch viel zu bieten hat.
    Ivanovs Sprache und Stil sind flüssig und schnörkellos zu lesen. Die Autorin findet genau die richtige Mitte zwischen Liebe zum Detail und Offenheit, die es Leserinnen und Lesern ermöglicht, in die Geschichte einzutauchen und doch noch Raum für eigene Vorstellungen zu haben.
    Insgesamt legt Petra Ivanov mit „Entführung“ einen spannenden Krimi vor, der reichlich Stoff zum Nachdenken sowie Überdenken festgefahrener Denkstrukturen bietet und einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft wirft. Von mir gibt es mit viereinhalb von fünf Punkten eine klare Leseempfehlung.

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  1. Mediale Hetzjagd

    Die Spannung hat zwei Ebenen – und eine davon hat einen sehr bitteren Beigeschmack.

    Der eigentliche Kriminalfall ist komplex und vielschichtig aufgebaut, mit interessanten unerwarteten Wendungen und einer schlüssigen Auflösung. Als Viel-Leserin des Genres habe ich hier nichts zu meckern, ganz im Gegenteil: Petra Ivanov schreibt gekonnt und unterhaltsam, in einem klaren, flüssigen Stil – und man kann das Buch übrigens wunderbar lesen, ohne die ersten drei Fälle der Reihe zu kennen.

    Zum einen fiebert man natürlich mit, weil ein junges Mädchen verschwunden ist und ihr Tod mit jedem Tag, der vergeht, wahrscheinlicher wird. Der Entführer, ein Moslem, sitzt im Gefängnis und schweigt. Was bedeutet das? War es ein Sexualdelikt oder eine politisch motivierte Tat? Ist Lara schon tot? Oder verhungert und verdurstet sie irgendwo langsam, weil der Täter sie nicht mehr versorgen kann?

    Die Mutter verzweifelt, der Vater schwelt in ohnmächtigem Zorn, die Allgemeinheit verfolgt das in der Berichterstattung und wetzt die Messer. Der Leser rätselt und fiebert mit und schlägt schon mal die Hände über dem Kopf zusammen…

    Aber es ist die andere Ebene der Geschichte, die mich noch mehr packte als der reine Kriminalfall.

    Hier entwickelt das Buch eine Gesellschaftskritik, wie sie zeitgemäßer kaum sein könnte: Kritik an der vergifteten Dynamik von ‚wir gegen die da‘, die in einer Ära großer Flüchtlingsbewegungen und wachsender Terrorgefahr immer kompromissloser und ungerechter wird.

    Der Täter heißt Mustafa Saifullah (oder nennt sich zumindest so), der Name seines Pflichtverteidigers ist Pal Palushi. Mehr braucht es nicht, um den Zorn der Allgemeinheit zu entfachen, der dann noch munter angeheizt wird durch unverantwortliche Medienhetze. Oh, das sind beides Moslems? Die stecken doch unter einer Decke, das sieht man doch schon am Namen, das ist ein Komplott des IS, was ist dieser Anwalt für ein gewissenloses Schwein, den müsste man zwingen, auszupacken… Man kann ihn fast sehen, den Schaum vorm Mund des Wutbürgers, der Täter und Verteidiger am liebsten beide des Landes verweisen oder einsperren oder gleich hinrichten würde.

    Die Vorverurteilung ist gnadenlos und hilft absolut niemandem.

    Dass Pal sich gar nicht selber ausgesucht hat, Mustafa zu verteidigen, sondern dass ihm der Fall zugewiesen wurde, interessiert keinen – das würde den eigenen gerechten Zorn ja nur stören. Dass jeder das Recht auf Verteidigung hat, dass dies sogar einer der Grundsteine im Fundament eines demokratischen Landes ist, wird ausgeblendet oder sogar angezweifelt – aber doch nicht in so einem Fall! Das ist doch nicht mal einer von uns, der hat in unserer Demokratie gar nichts zu suchen…

    Dabei wird Pal schier zerrissen zwischen seinem Berufsethos und dem Wunsch, sowohl Mustafa als auch Lara zu helfen – was erfordern würde, dass er die anwaltliche Schweigepflicht bricht.

    Die Charaktere werden wunderbar beschrieben.

    Da ist zum einen natürlich Pal, der als intelligenter und sympathischer Anwalt mit sozialem Gewissen überzeugt, und der junge Täter, mit dem man tatsächlich mitfühlen kann, weil er sowohl Täter als auch Opfer einer gezielten Radikalisierung ist.

    Überhaupt ist Radikalisierung ein sehr zentrales Thema und man lernt mehrere junge Männer kennen, deren Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit von radikalen Gruppen hemmungslos ausgenutzt wird. Und je mehr die breite Öffentlichkeit sie vorverurteilt und ausgrenzt, desto anfälliger sind sie dafür.

    Pals Freundin Jasmin Meyer steht ihm an Komplexität und Bedeutung für die Geschichte in nichts nach. Sie ist entschlossen, mutig, einfallsreich, intelligent – und sie ist eine Ex-Polizistin, die selber einmal zum Opfer einer Entführung wurde und monatelang eingesperrt blieb, in den Fängen eines sadistischen Mörders.

    Der greift übrigens aus dem Gefängnis heraus in das aktuelle Geschehen ein… Mehr will ich dazu hier nicht verraten! Aber es bringt Pal in eine sehr schwierige Lage. Man spürt als Leser, beklommen, wie sehr er von allen, wirklich allen Seiten unter Druck gesetzt wird.

    FAZIT

    Die junge Lara wird entführt, der Entführer wird geschnappt und landet im Gefängnis… Fall erledigt? Keineswegs, denn Lara wurde noch nicht gefunden und der Täter schweigt sich aus. Ist sie tot? Wartet sie, irgendwo hilflos eingesperrt, auf Rettung?

    Der Fall ist spannend und gut geschrieben, aber was mich wirklich packte, war die zweite Ebene der Geschichte: Täter und Anwalt sind Moslems, Medien und Öffentlichkeit geifern in islamophobem Zorn. Der Leser verfolgt, wie Anwalt Pal Palushi sich quasi durch ein Minenfeld bewegt, während er und seine Freundin, eine Ex-Polizistin, eigene Ermittlungen anstellen.

    Ich möchte hier eine ganz klare Leseempfehlung aussprechen!

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