Dinge, die vom Himmel fallen

Rezensionen zu "Dinge, die vom Himmel fallen"

  1. Behutsam und tröstend

    Saara ist acht Jahre alt, als ihre Mutter stirbt, erschlagen von einem Eisbrocken, der losgelöst von einem Flugzeug einfach vom Himmel fiel. Mit ihrem Vater zieht sie zu ihrer Tante Annu, die nun schon zum zweiten Mal den Haupttreffer beim Lotto erzielt.
    Selja Ahava erzählt ganz behutsam, was passiert, wenn der Zufall das Leben berührt, aus der Bahn wirft, verändert.
    Sie lässt Saara viel über die Zeit und die Erinnerung nachdenken, über die vielen kleine Teilchen, die bleiben, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Die Teilchen, die blieben, während der Mensch dahinter schmerzlich fehlt.
    Ein Mann wird viermal vom Blitz getroffen, die Erde verschluckt einen Schlafenden, ein Baby wächst ohne Beine im Bauch der Mutter, Lots Frau erstarrt zur Salzsäule, weil sie nicht hätte hinsehen dürfen. Kommen wir alle ins Paradies, wenn wir nur alle die richtigen Nachrichten hören würden? Und manchmal wächst ein Apfelbäumchen dort, wo niemand damit rechnet.
    Manche Dinge geschehen, einfach so, zur falschen Zeit, am falschen Ort, weil wir hinsehen, nicht zuhören, den Bus versäumen und an der falschen Stelle stehen. Die Welt dreht sich weiter, die Zeit bleibt nicht stehen.
    Dinge, die vom Himmel fallen ist ein ganz zartes Buch über Trauer, Heranwachsen, Liebe, über die Hilflosigkeit, welche das Schicksal so mit sich bringt und wie wir damit umgehen können. Aber auch über den Willen weiter zu gehen, nach vorn zu schauen, neu zu beginnen.

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  1. 4
    05. Mär 2017 

    Von der Macht des Schicksals...

    Saara ist gerade einmal acht Jahre alt, als ihr Leben auf den Kopf gestellt wird. Als sie mit ihrem Vater von einer Besorgung nach Hause kommt, ist die Mutter tot: erschlagen von einem von einer Flugzeugturbine herabgefallenen Eisbrocken. Der Vater verfällt in eine schwere Depression, doch wenigstens ist da noch Tante Annu, die die beiden zu sich in das Gutshaus holt. Gerade als sich wenigstens für Saara wieder ein wenig Normalität einzustellen scheint, widerfährt der Tante ebenfalls ein Schicksalsschlag: sie gewinnt zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre den Jackpot im Lotto. Darüber verfällt Tante Annu in einen Schock, der sie schließlich fast vier Wochen lang schlafen lässt. Danach schreibt sie verzweifelte Briefe an einen schottischen Fischer auf den Hebriden, der bereits viermal vom Blitz getroffen wurde und überlebt hat. Wie kommt man damit zurecht, wenn man nicht mehr an einen Zufall glauben mag? Welcher Sinn steckt hinter all diesen Geschehnissen? Und gibt es eine Antwort auf das 'Warum'?

    "In der Schule wurde uns von Lots Familie erzählt, zu der die Engel sagten: 'Geht, aber seht euch nicht um. Wir werden jenen Menschen nun etwas Schreckliches antun. Euch werden wir retten, aber ihr dürft es nicht sehen.' Und dann lief Lots Familie davon, aber Lots Frau glaubte den Engeln nicht und drehte sich um. Und sie sah das Schreckliche, das die Engel den Menschen antaten, und verwandelte sich in eine Salzsäule. Lots Frau wurde zur Säule, weil sie nicht ertrug, was sie dort sah. Die Lehrerin sagte, die Säule sei ein Zauber der Engel gewesen, aber ich weiß jetzt, dass man auch ohne Engelszauber zur Säule erstarren kann. Es reicht, dass man etwas sieht, das man nicht aushält." (S. 42 f.)

    Aufgeteilt ist die Erzählung in vier Abschnitte, die das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten:

    Der erste und umfassendste Abschnitt wird aus der Sicht der achtjährigen Saara erzählt, leicht und kindlich, fast emotionslos im Stil, und doch gelingt es Selja Ahava, die große Fassungslosigkeit, Einsamkeit und Traurigkeit des kleinen Mädchens aber auch der anderen Betroffenen zu transportieren. In diesem Abschnitt fühlte ich mich dem Geschehen nahe, konnte nachempfinden und hoffen, dass die Zeit womöglich tatsächlich alle Wunden heilt.

    "Die Zeit blieb stehen. Man konnte nicht vor- und nicht zurückdenken. Jemand zeichnete eine dicke weiße Linie um unsere Gedanken herum, und die Gedanken blieben stehen, und wir steckten darin fest (...) Man kann nur hoffen, dass die Zeit die Wunden heilt. Aber dass die Zeit heilt, war Scheißdreck..." (S. 47)

    Der zweite Abschnitt präsentiert den bereits angedeuteten Briefwechsel zwischen Tante Annu nach ihrem zweiten Lottogewinn und dem schottischen Fischer, der bereits vier Blitzeinschläge überlebt hat. Dabei dreht sich nicht alles allein um die persönlichen Erfahrungen der beiden Briefeschreiber, sondern eingeflochten darin befinden sich auch noch andere skurrile Schicksalsschläge, die Gegenstand von Zeitungsberichten oder TV-Dokumentationen waren und die v.a. Annu gesammelt hat. Eine interessante Zusammenstellung von unglaublichen Ereignissen ist dies, und ich vermute, dass Selja Ahava diesen Briefwechsel zwischen Annu und dem Fischer eingeflochten hat, um diese Sammlung in der Geschichte unterbringen zu können.

    "...vielleicht braucht die Welt bisweilen Vorkommnisse, die uns alle aufrütteln. In diesem Dorf bin ich derjenige, der die Leute aufgeweckt hat. Wenn ich den Laden betrete, erinnert sich jeder Kunde daran, dass uns zu jeder Zeit der Himmel auf den Kopf fallen kann." (S. 114)

    Der dritte Abschnitt wird erzählt aus der Sicht der neuen Frau von Saaras Vater, mit der die beiden vier Jahre nach dem Unglück mit dem herabgefallenen Eisbrocken wieder in dem Haus von Saaras Kindheit leben. Schwanger ist Saaras Stiefmutter, doch verläuft diese Schwangerschaft nicht ohne Sorgen, und wirklich angekommen ist die Stiefmutter in dem Sägemehlhaus auch nie. Die Distanziertheit, mit der die Stiefmutter Saara betrachtet - stets spricht sie von ihr als 'das Mädchen' - hat mich dabei ehrlich gesagt verstört, und irgendwie wirkt diese Stiefmutter wie ein Fremdkörper in diesem Haus.

    "Und so wie der Himmel und das Meer nicht zuverlässig sind, so ist es auch die Erde nicht. Eisbrocken fallen vom Himmel, Blitze schlagen ein. Wellen spülen über das Deck, und manchmal reißt schlicht und einfach die Erde auf." (S. 129)

    Im vierten Abschnitt schließlich berichtet wieder Saara von ihrem Leben nach der Rückkehr ins Sägemehlhaus. Dieser Abschnitt war für mich der befremdlichste, denn immer wieder halten Inhalte von Märchen hier Einzug, und die Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen. Märchen sind grausam - das Leben manchmal auch. Und die Bilder der Märchen lassen diese Grausamkeit, das Willkürliche, die Gnadenlosigkeit des Zufalls noch einmal deutlicher werden.

    Von der Macht des Schicksals erzählt dieses Buch, oft leicht in der Sprache, dabei meist schwer im Inhalt, was einen reizvollen Kontrast darstellt. Die Frage nach dem 'Warum' oder dem 'Warum nicht' wird hier in den Raum gestellt, und dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als dieser Frage ebenfalls nachzugehen, sein eigenes Leben zu durchforsten und erleichtert aufzuatmen, wenn das Schicksal ihn bislang verschont hat - doch der Frage nach dem Sinn hinter alldem kann er sich nicht entziehen.

    Ein forderndes Buch, keine bequeme Lektüre, doch ein Roman, den ich letztlich wirklich gerne gelesen habe.

    © Parden

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  1. Spielball des Schicksals

    Sachen gibt es, die gibt es gar nicht. Einen Eisbrocken etwa, der mitten im Sommer vom Himmel stürzt und der achtjährigen Saara auf tragische Weise die Mutter nimmt. Wenig später widerfährt auch Saaras Tante Unwahrscheinliches, als sie zum zweiten Mal im Lotto gewinnt - und vor Schreck in einen dreiwöchigen Dornröschenschlaf fällt. Und dann ist da noch der Fischer aus Schottland, der wiederholt vom Blitz getroffen wird und sein Schicksal dennoch immer wieder aufs Neue herausfordert. (Verlagstext)

    Schicksal und Zufall – gibt es eine Erklärung? Fast märchenhaft beginnt die Geschichte, Vater, Mutter und Tochter leben in einem Holzhaus, umgeben von einem verwilderten Garten. Die Familie strahlt Geborgenheit und Liebe aus, die 8jährige Saara erzählt in ihren kindlichen Worten davon. Auch von der Tante, die im Lotto gewonnen hat und nun ein altes Gutshaus bewohnt. Welch ein glücklicher Zufall, aber dann dreht sich die Geschichte, die Mutter wird von einem Eisbrocken erschlagen, der sich wohl von einem Flugzeug löste. Von dieser Minute an wird das Leben anders. Der Vater zerbricht fast an seinem Schicksal, nur mühsam aufgefangen von der Tante. Saara bleibt in ihrer Trauer ungehört, sie malt verstörende Bilder, doch ihre Lehrer und alle Erwachsenen scheuen das Gespräch über den Tod.

    Das Buch der jungen finnischen Autorin ist kein leichter Text. Ich fand ihn stellenweise verstörend und es gab Abschnitte, die ließen mich ratlos zurück. Der Stil ist nicht durchgängig gleich. Saaras Erinnerungen sind von einem einfachen kindlichen Ton.Dann folgen wir einem Briefwechsel der Tante Annú mit einem Amerikaner, der schon mehrfach vom Blitz getroffen wurde. Auch hier soll wohl ergründet werden, wie Zufälle und Schicksal ins Leben eingreifen. Die Briefe sind eingängig und plaudernd gehalten, haben mir aber nicht allzu viel Erkenntnis gebracht. Es wirkte fast wie ein anderes Buch und ich empfand es als Bruch im Fortlauf des Romans.

    4 Jahre später, zurück im „Sägespänehaus“ wird es düster und verstörend. Saara ist immer noch allein in ihrer Trauer, während ihr Vater einen Neuanfang wagt. Düstere Alpträume suchen Saara heim, ohne dass sie jemand ins Vertrauen ziehen kann. Einsamkeit und Sprachlosigkeit prägen sie.

    Vielleicht kann nur eine Autorin diesen Ton finden, die mit der langer Dunkelheit und Kälte Finnlands vertraut ist und für die melancholische, dunkle Stimmungen zum Jahreslauf gehören. Es war eine interessante, intensive Erfahrung Selja Ahava zu lesen, auch wenn sich mir der Text nur schwer erschloss.

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