Die Schauspielerin: Roman

Rezensionen zu "Die Schauspielerin: Roman"

  1. Fiktives Memoir

    In ihrem fiktiven Memoir „Die Schauspielerin“ begibt sich eine Tochter auf die Spuren ihrer Mutter, versucht hinter die Fassade zu sehen. Die preisgekrönte irische Autorin Anne Enright hat dafür auch die Figur der Tochter erfunden, die Schriftstellerin ist, ebenso alle Schlüsselfiguren ihres sehr lesenswerten Romans.

    Auch wenn alles Fiktion ist erzählt Anne Enright in ihrer Geschichte tiefsinnige Wahrheiten anhand einer Mutter-Tochter-Beziehung, schafft berührende Momente und blickt sehr präzise und gekonnt hinter sorgsam aufgebaute und ständig vom Einsturz gefährdete immer wieder geflickte Fassaden. Es macht nichts, dass die Personen nie wirklich gelebt haben, denn die Familiengeschichte, die sich im Buch abspult, ist voller Leben und Detailreichtum, der liebevolle und sorgsame Umgang der Autorin mit ihren Figuren lassen beim Lesen schnell vergessen, dass alle nie lebten.

    In den 1970er Jahren in Dublin wird man direkt ins rückblickende Geschehen gestellt, eine Party bei der gefeierten und mittlerweile alternden Schauspielerin Katherine O‘Dell zum 21. Geburtstag ihrer Tochter Norah. Beide Frauen befinden sich an einer Schwelle, was sich aus der Stimmung schnell herausspülen läßt, die aber nicht klar definiert sondern zunächst diffus umrissen wird. Der Dunstkreis von Katherine umwanderte sie, und auch Norah bekommt etwas vom verblassenden Glanz ab, so wie ihr ganzes bisheriges Leben.
    Norah kennt ihren Vater nicht, und in Rückblicken aus der heutigen Zeit, nach dem Tod ihrer Mutter, begibt sie sich auf die Suche nach ihm und vor allem nach dem Wesen von Katherine, die mit zunehmendem Alter an Bekanntheit und Beliebtheit verlor und sich mit Alkohol und Tabletten betäubte, bevor sie schließlich verrückt wurde und einem Filmproduzenten in den Fuß schoß.

    Es ist die Überfülle an Details, die vielen Kleinigkeiten, mäandernd erzählt, die zärtlichen Rückblicke auf Katherines Leben im Familienkosmos, die das Buch zu etwas Besonderem machen. Die Geschichte hat es in sich, auch schon vor dem Absturz aus den luftigen Höhen Hollywoods mit Stolperstrecken an Englischen und Französischen Theatern bis zur letzten rasanten Talfahrt in die Psychiatrie lüftet Norah gut gehütete Geheimnisse und blickt tief in die verwundete Seele ihrer Mutter, letztlich immer verzeihend. Die Symbiose der beiden Frauen wird getragen von vielen männlichen Figuren, beginnend beim Großvater FitzMaurice, der als Schauspieler zunächst mit einer irischen Wanderbühne umherzog und später im Fernsehen eine gewisse Berühmtheit erlangte, über viele Künstlerkollegen und Bewunderer bis hin zum Mythos von Norahs Vater. Die Parties in Katherines Haus in Dublin am Dartmouth Square zeugen vom Aufstieg und späteren Niedergang der Schauspielerin, den Norah beobachtet, Bewunderer und alte Freunde wenden sich beinahe immer mehr ab, im Hintergrund ein politisch zerrissenes Irland, dem Katherine, die Vorzeige-Irin mit englischen Wurzeln, ihren Tribut zollt.

    Zwei Frauen, die einander brauchen, verletzen und sich lieben, die Tochter stets das Lebenslicht der Mutter und dennoch oft am Rande ihrer Welt allein gelassen, verletzt und verraten - die Fülle der Erinnerungen von Norah ist manchmal kaum zu fassen. Besonders wenn die Episoden scheinbar unverknüpft wie Gedankenfetzen in völlig anderem Zusammenhang auftauchen. Man muss das Puzzle beim Lesen geduldig selbst zusammen stecken, und am Ende fehlen dennoch ein paar Teile, wie im richtigen Leben. Mein einziger kleiner Kritikpunkt am Buch ist, dass in dem Gewimmel manches einfach untergeht und verlodert.

    Das Buch „Die Schauspielerin“ von Anne Enright hat es auf die diesjährige Longlist für den „WOMEN’S PRIZE FOR FICTION 2020“ geschafft, völlig zu recht, wie ich finde.

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    30. Mai 2020 

    Eine Leseanstrengung...

    Die fiktive Biografie einer nichtexistenten Schauspielerin (geboren 1928 in London, Karriere als Theaterschauspielerin in Irland und als Filmschauspielerin in Hollywood), eine erfundene Mutter-Tochter-Geschichte - der Sinn dieser 'unechten' Lebensgeschichten erschloss sich mir ehrlich gesagt bis zum Schluss nicht. Gut, die Suche nach Anerkennung wohnt vermutlich jeder Mutter-Tochter-Beziehung inne, aber Romane dazu gibt es schon etliche. 'Das Lächeln meiner Mutter' von Delphine de Vigan ist mir da beispielsweise lebhaft in Erinnerung.

    Erzählt wird 'Die Schauspielerin' aus der Sicht von Norah, der Tochter von Katherine O'Dell, die, veranlasst durch eine Interviewanfrage, beginnt, die Geschichte ihrer Mutter niederzuschreiben, die gleichzeitig auch eine Erzählung von Mutter und Tochter ist. Erinnerungsfetzen und Flashbacks werden in aller Hast und in einem chronologischen Chaos aneinandergereiht, zusammenhanglos oft, verwirrend und überladen.

    Der Leser wird vor allem in den ersten zwei Dritteln des Romans mit einer Vielzahl an Personen, Handlungen und Umständen bombardiert, die er spätestens beim Umblättern gleich wieder aus dem Blick zu verlieren droht. Der Inhalt von Norahs Erinnerungen wird oftmals nur angedeutet, die zahllosen Zeitsprünge fordern die Konzentration zusätzlich, und der Strom der vorbeidefilierenden Personen, die alle irgendwie immer nur posieren und eine Rolle spielen, reißt einfach nicht ab.

    Würde sich die Erzählung auf das Mutter-Tochter-Verhältnis fokussieren und das Leben der Schauspielerin nur insoweit streifen, wie es für eben diese Beziehung von Bedeutung war - ich vermute, ich wäre begeistert gewesen. Denn schreiben kann Anne Enright, das wird in vielen Passagen deutlich: präzise und gestochen scharf. Hier aber bekommt man die Puzzleteile eines riesigen Bildes um die Ohren gehauen, ohne dass ich in der Lage gewesen wäre, mich an einzelnen Details zu erfreuen. Viel zu überladen, zu hektisch, zu nüchtern.

    Die Überflutung mit Charakteren, die unabhängig von ihrer Bedeutung gleichberechtigt nebeneinderstehen, dazu die zahllosen Themen, die von der Schauspielerei, dem Theater, der (blutigen) Geschichte Irlands, einer Vatersuche, dem Blick hinter die Kulissen Hollywoods, bis hin zur Literatur u.v.m. reichen - all dies hat mich über weite Strecken einfach nur überfordert. Überfordert, ungeduldig werden lassen und ehrlich gesagt phasenweise einfach auch gelangweilt. Mich ermüdete diese Art des Erzählens, auch wenn mir einzelne Sätze bedeutungsvoll erschienen und vom Schreibstil her durchaus gefielen.

    Die Ich-Erzählerin Norah erzählt hier mit viel Abstand, distanziert und reflektiert. Und dadurch wenig emotional, wodurch die Personen auf Distanz blieben. Nur selten hatte ich zudem das Gefühl, überhaupt die 'echten' Personen vor Augen zu bekommen - und wenn das Empfinden einmal kurzzeitig aufkam, wurde es gleich darauf wieder weggewischt. Die Ambivalenz der Rollen spiegelt sich in der Ambivalenz der Erinnerungen und der Darstellung von Fakten und Meinungen - wodurch ich oftmals nicht entscheiden konnte, was ich nun eigentlich glauben sollte. Norah fungiert hier als absolut unzuverlässige Erzählerin, was ich per se schon anstrengend finde.

    Die letzten 60 Seiten des Romans versöhnten mich dann ein wenig. Dieser letzte Abschnitt war deutlich ruhiger und weniger sprunghaft, so dass ich die Schreibkunst von Anne Enright endlich genießen und mich von der melancholischen Stimmung durch die letzten Zeilen gleiten lassen konnte.

    Alles in allem war dieser Roman für mich in erster Linie eine Leseanstrengung, die für mich persönlich das Lesevergnügen deutlich überwog. Da mich aber der Schreibstil von Anne Enright faszinieren konnte, bleibe ich neugierig auf weitere Romane der Gewinnerin des Booker-Preises 2007.

    © Parden

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    24. Mai 2020 

    Chaos und Faszination

    "Die Schauspielerin" - Unweigerlich rechnet man bei diesem Romantitel und dem Plot ("Promitochter berichtet über das Leben mit ihrer berühmten Mutter") mit Glanz und Glamour, Klatsch und Skandale sowie natürlich einer schwierigen Kindheit.
    Und man wird nicht enttäuscht. Denn all dies findet sich in dem Roman der irischen Schriftstellerin Anne Enright.
    Die Booker Prize Gewinnerin macht aus einer scheinbar banalen Geschichte, die sich tagtäglich in der Boulevardpresse findet, ein raffiniertes Psychogramm, dessen Lektüre mir zwar einiges abverlangt hat, aber mich dennoch nicht losgelassen hat vor lauter Faszination.

    Glanz und Glamour
    Die fiktive Katherine O'Dell kommt 1928 in London auf die Welt. Die Schauspielerei ist ihr in die Wiege gelegt worden. Denn beide Eltern verdienen sich als Theaterschauspieler ihren Lebensunterhalt. Von dem Vater hat Katherine ihr gutes Aussehen geerbt. Und Ruckzuck landet auch sie beim Theater, in einer Zeit, in der die Filmbranche noch in den Kinderschuhen steckte. Während des Krieges nimmt die Familie ein Engagement im sicheren Irland an und hält sich dort während der Kriegsjahre auf. Katherine kann ihr Publikum durch Talent und gutes Aussehen begeistern. Langsam aber stetig steigt sie auf der Erfolgsleiter nach oben, so dass sie am Ende unweigerlich in Hollywood landet. Als sie schwanger ist - ein Skandal zur damaligen Zeit, insbesondere, wenn frau unverheiratet ist -, zieht sie sich zunächst aus der Öffenltichkeit zurück und geht wieder nach Irland. Hier bekommt sie ihr Kind und stürzt sich anschließend wieder in die Schauspielerei. Doch ihre bis dahin steile Karriere hat den zenith überschritten.
    Ihre Tochter Norah, Ich-Erzählerin des Romans, wächst in den ersten Lebensjahren bei ihren Großmüttern auf, denn Katherine hält an ihrer Karriere in Amerika fest. Als Katherine feststellt, dass ihre Glamourzeit abgelaufen ist, kommt sie nach Irland zurück und versucht, an ihren alten Erfolgen anzuknüpfen, was ihr nie mehr gelingen wird. Stattdessen wird sie erfahren, dass es ein hartes und unbarmherziges Geschäft ist, den Schein der strahlenden Schauspiel-Ikone aufrechtzuerhalten.

    Ich habe bewusst eine chronologische Wiedergabe des Lebenswegs der Katherine O'Dell gewählt. Denn so, wie Anne Enright das Leben der Schauspielerin durch die Perspektive ihrer Tochter Norah schildernlässt, hätte ich es niemals hinbekommen. Norahs Wiedergabe der Geschichte ist chronologisch chaotisch. Wir erfahren anfangs, dass Norah, mittlerweile in den 30ern, wenn nicht älter, ein Buch über ihre Mutter und das Leben mit ihr schreiben möchte. Gerade am Anfang gibt sie ihre Erinnerungen völlig unsortiert wieder: Norah als junge Erwachsene, Norah mit 6 Jahren, zahllose fiktive Promis, die namentlich genannt werden, Norah, die sich für die Recherche zu dem Buch an die Orte der Kindheit und Jugend ihrer Mutter begibt ... Dieses Durcheinander macht das Lesen nicht einfach. Erst mit der Zeit kommt ein bisschen Struktur in die Handlung. oder man hat sich einfach an das Chaos gewöhnt. Dank der Schreibkunst von Anne Enright wird man gelegentlich mit Sprachperlen belohnt. Das können einzelne Sätze sein, die so wunderschön sind, dass sie aus diesem Chaos an Erinnerungen förmlich herausstrahlen und mich in Verzückung geraten lassen. Eines ist sicher: Schreiben kann Mrs. Enright.

    Was die Erwartungshaltung des Lesers bezüglich der schwierigen Kindheit einer Promi-Tochter betrifft:
    Diese Erwartung wird erfüllt. Jedoch auch hier bekommt man die Promi-News nicht auf dem Silbertablett serviert, sondern man muss sie sich erarbeiten. Anne Enright ist sehr zurückhaltend, was die Charakterisierung ihrer Protagonisten angeht. Sie macht dem Titel des Buches alle Ehre. Denn hier wird geschauspielert. Und wir haben es nicht nur mit einer Schauspielerin zu tun. Sondern wie die Mutter so die Tochter - natürlich im übertragenen Sinne. Katherines Leben ist eine einzige Inszenierung. Nie vergisst sie, dass sie in der Öffentlichkeit steht. Und sie liefert ihrem Publikum genau das, was es erwartet. Sie erlaubt sich keine Schwächen in ihrer Rolle der strahlenden Diva - weder was ihr Aussehen betrifft, noch was ihr Verhalten betrifft. In diese Inszenierungen ihres Lebens bezieht sie auch ihre Tochter mit ein. Von klein auf lernt diese, dass ihre Mutter die Hauptdarstellerin ist und sie eine Nebendarstellerin, die dafür lebt, ihre Mutter in Szene zu setzen. Katherine zeigt nie ihr wahres Gesicht oder gibt Einblick in ihr Seelenleben. Selbst ihre Tochter ist nicht in der Lage, den Menschen hinter den vielfältigen Masken, die Katherine trägt zu erkennen. Erst zum Ende des Romans und nach dem Tod von Katherine (sie stirbt im Alter von 58 Jahren) erhalten wir einen Einblick in das Seelenleben der Schauspielerin.
    Norah wird also zu Lebzeiten Katherines nie erfahren, wer ihre Mutter wirklich war. Und als Tochter ihrer Mutter und weil sie in dieser Lebensinszenierung aufgewachsen ist, wird sie ebenfalls mit einer Maske vor dem Gesicht durchs Leben gehen. Sie hat Schwierigkeiten zuviel von sich Preis zu geben. Schlimmer noch, sie weiß nicht, wer sie ist, da sie sich nur in der Rolle der Tochter und Nebendarstellerin im Leben ihrer Mutter kennt.

    Fazit:
    Ein faszinierender Roman, der eine besondere Mutter-Tochter-Beziehung mit psychologischer Finesse herausarbeitet. Durch die chaotische Chronologie ist dieser Roman nicht leicht zu lesen. Doch die Mühe wird durch die sprachliche Brillanz von Anne Enright mehr als belohnt.

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  1. Wer ist Katherine O’Dell?

    Die scheinbar offensichtliche Antwort lautet: Sie war einst Irlands bekannteste Schauspielerin und verzauberte die Massen mit ihrem charmanten Akzent und ihrem liebreizenden Auftreten. Doch da verbirgt sich schon die erste Falltür, durch die der unbedarfte Leser stolpert – denn diese irische Volksheldin wurde als Katherine Anne FitzMaurice in England geboren und ist im Grunde so irisch wie Yorkshire Tea.

    Sie hatte ihr Schauspieldebüt im Alter von zehn Jahren noch unter ihrem Mädchennamen ‘Odell’, änderte das später jedoch etwa zur gleichen Zeit in ‘O’Dell’, als sie sich die Haare rot färbte und das fortan als ihre natürliche Haarfarbe ausgab.

    Ihre Tochter Norah nennt sie einmal eine ‘begabte Hochstaplerin’.

    Tatsächlich ist die vorgetäuschte irische Herkunft nur der Beginn einer Karriere, die Katherines Leben zunehmend verzehrt und verzerrt. Bis ins Privatleben zieht sich die stetige Maskerade, so dass Katherine irgendwann selber nicht mehr weiß, was wirklich passiert ist und was sie sich nur als filmtauglichen Teil ihrer Legende zurechtfabuliert hat.

    Norahs Erinnerungen zerstören die Hochglanz-Illusion und zeigen überdeutlich, was der Ruhm ihre Mutter kostete. Privatleben. Familie. Echte, bedeutsame Beziehungen. Katherine opfert alles dem Moloch Hollywood, bis sie scheinbar den Verstand verliert und auf einen Produzenten schießt.

    “Die Leute fragen mich: »Wie war sie?«, und ich versuche zu verstehen, was genau sie damit meinen. Wie war sie als normaler Mensch, wenn sie Pantoffeln trug und Marmeladentoast aß? Als Mutter, als Schauspielerin? – das Wort »Star« verwenden wir nicht. Die meisten Leute wollen wissen, wie sie war, bevor sie verrückt wurde, gerade so, als könnte auch ihre eigene Mutter über Nacht schlecht werden wie eine Flasche Milch, die nicht in den Kühlschrank zurückgestellt wurde.”
    (Zitat)

    Die Leere hinter der Nahaufnahme:

    Anne Enright zeigt in bestechender Klarheit die Probleme, mit denen eine erfolgreiche Frau wie Katherine zu einer Zeit zu kämpfen hatte, als Emanzipation (nicht nur in der Filmbranche) noch ein Fremdwort war. Doch sie lässt den Leser auch teilhaben an der trügerischen Magie des Rampenlichts, der Faszination des Films, dem Zauber der Verwandlung.

    Nicht weniger intensiv richtet sie das Augenmerk auf die schwierige Beziehung zwischen Katherine und Norah, die notgedrungen immer nur im Schatten ihrer Mutter stand: als Vertraute, Gehilfin, Therapeutin, Requisite, doch nie wirklich als Tochter. Sie betrachtet sich gleichzeitig als das große Glück ihrer Mutter – und die Ursache für deren Ruin.

    Im Alter von Ende 50 resümiert Norah das Leben ihrer Mutter, weil eine Journalistin für eine Doktorarbeit über Katherine um Auskunft bat. Aber es dauert nicht lange, bis die Bonmots, die kleinen Dramen und die Charakterstudien im inneren Monolog zum Selbstläufer werden, denn Norah hat vieles nie wirklich aufgearbeitet und sich schon ihr ganzes Leben lang entwurzelt gefühlt – besonders weil Katherine ihr die Identität ihres Vaters nie verraten hat.

    Nun recherchiert sie, besucht Katherines Geburtshaus, durchwühlt den Bodenschlamm ihrer Erinnerung auf der Suche nach echter Substanz. Aus der Anfrage der Journalistin wird ein später Versuch Norahs, sich von ihrer überlebensgroßen Mutter zu befreien.

    Anne Enright hat ein feines Gespür für Nuancen und Nichtausgesprochenes – Ambivalenz ist ein ständig mitschwingender Unterton.

    Sie zeichnet ihre Charaktere subtil und ungemein komplex, der Star ist jedoch immer Katherine – selbst nach ihrem Sturz aus dem Götterhimmel, als verbrauchte Frau mit Hang zu Alkohol und Opiaten.

    Das Buch wird nicht chronologisch erzählt; der Leser muss sich die Geschichte aus vielen kleinen Episoden zusammensetzen. So nach und nach kann man die verschiedenen Charaktere zuordnen und bekommt ein Gespür für die unterschwelligen Spannungen, die Machtstrukturen und die Dynamiken, die Katherines Leben und damit auch Norahs beherrschen.

    Das ist erst anstrengend, aber je länger man liest, desto schwerer kann man sich davon lösen – es entwickelt seine ganz eigene Spannung.

    Der Schreibstil trägt viel dazu bei, das das funktioniert.

    Anne Enright findet wundervolle, starke Formulierungen, viele ihrer Sätze sind zugleich prägnant und poetisch. Sie zeichnet ihre Schauplätze sehr bildlich, die Atmosphäre ist dicht, viele Nebencharaktere werden aufs Wesentliche reduziert und sind so schnell zu erfassen.

    Durch die Zeitsprünge und die verschiedenen im Fokus stehenden Personen wirkte das Buch auf mich wie ein Theaterstück mit häufigen Kostüm- und Szenenwechseln. Sehr passend und gelungen für einen Roman über eine (fiktive) Schauspielerin!

    Fazit:

    Romanschriftstellerin Norah O’Dell wird von einer Journalistin um Informationen zum Leben ihrer berühmten Mutter gebeten: Katherine O’Dell, Irlands vergöttertste Schauspielerin, die ihre Karriere mit einem Schlag beendete, indem sie auf einen Produzenten schoss.

    Norah springt gedanklich von Episode zu Episode und lässt das Leben ihrer Mutter sowie das schwierige Verhältnis zu ihr Revue passieren. Obwohl sie selber schon Ende 50 ist und mehrere Kinder großgezogen hat, konnte sie sich nie lösen von ihrer Mutter, die emotional nur wenig zu geben hatte – oder von der Frage, wer ihr Vater war.

    Anne Enright schreibt das in einem wunderbaren, ausdrucksstarken Stil, der nicht verkitscht und weder zu viel noch zu wenig verrät. Es bleiben einige Fragen offen, aber meines Erachtens tut das dem Roman keinen Abbruch – der Weg ist hier das Ziel, und die Einblicke in diese ganz besondere Mutter-Tochter-Dynamik sind faszinierend.

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  1. Die Schattenseiten des Ruhms

    Die irische Autorin Anne Enright ist Spezialistin für komplizierte Familienverhältnisse. Das hat sie ihn ihrem preisgekrönten Roman "Das Familientreffen" bewiesen. In ihrem neuen Roman "Die Schauspielerin" durchleuchtet sie nun eine ambivalente Mutter/Tochter Beziehung und führt uns in die Film-und Theaterwelt. Anne Enright ist mit einem Theaterregisseur verheiratet, hat also zumindest aus zweiter Hand Einblick in diese spezielle Welt der Stars und Sternchen.

    Die Erzählerin in diesem Roman, Norah ist die 58jährige Tocher der Schauspielerin Katharine O`Dell. Sie entschließt sich, genervt von den vielen Spekulationen, die über Katharine kursieren, selbst ein Buch über ihre berühmte Mutter zu schreiben. Dabei lässt sie uns Leserinnen an ihren Recherchen, Erinnerungen und Reflexionen teilhaben. Norah geht es nicht nur darum, das Auf und Ab der Karriere ihrer Mutter zu beschreiben und die ihr immer wieder von der Öffentlichkeit gestellte Frage zu beantworten, wie der Strar "wirklich" war. Es geht ihr vor allem darum, ihre Beziehung zur Mutter zu reflektieren und Antworten auf ihre brennenden Fragen zu finden:
    Warum hat ihre Mutter ihr nie den Namen ihres Vaters genannt?
    Wurde sie von ihrer Mutter wirklich geliebt oder hat die begabte Schauspielerin ihre Mutterrolle nur sehr gut gespielt?
    Was hat Katharine dazu bewogen, in ihren späteren Jahren einem Filmproduzenten ins Bein zu schießen?
    Um es vorweg zu nehmen: Einfache und klare Antworten auf diese Fragen liefert uns die Autorin nicht. So ist fraglich, ob es überhaupt eine klare Grenze gibt zwischen der Schauspielerin einerseits und der wahren, privaten Person Katharine anderseits. Anne Enright lässt hier Interpretationsspielräume zu, die jedoch die Lektüre gerade deshalb interessant macht und zum Nachdenken anregt.

    Norah scheint trotz ihrer schwierigen Kindheit und Jugend ihren eigenen Weg gefunden zu haben. Sie ist als Schriftstellerin tätig, seit vielen Jahren verheiratet mit dem Mann den sie liebt, und hat zwei wohl geratene erwachsene Kinder. Aus dieser Perspektive heraus gelingt es ihr, den Lebensweg der Mutter auch aus deren Sicht heraus zu verstehen. Sie sieht eine begabte schöne Frau, die den grausamen Gesetzten des Showbiz ausgeliefert war. Sie sieht die Kämpfe, die sie ausfechten musste um Engagements zu bekommen, auch als sie nicht mehr blutjung war. "Wenn eine Frau damals dreißig wurde, ging sie nach Hause und zog die Tür hinter sich zu." Sie sieht welchen Übergriffen sie von Fans und vor allem von Filmproduzenten ausgeliefert war. Hier liest sich der Roman teilweise wie ein Kommentar zur MeToo Debatte.

    Die Autorin entfaltet die Geschichte der Protagonistinnen nicht chronologisch. Sie nähert sich dem Kern ihrer Themen eher spiralförmig mit Vor-und Rückblenden. Zentrale Szenen begegnen uns beim Lesen, jeweils leicht verändert, mehrmals. Dadurch wird die Lektüre nicht immer leicht und erfordert Konzentration. Der Stil, in dem Anne Enright schreibt ist treffsicher und anschaulich bei der Darstellung komplizierter Beziehungen. Anne Enright hat eindeutig Sprachtalent.

    Insgesamt also ein Roman auf hohem sprachlichen Niveau, der - ohne einfache Antworten zu liefern - die komplexe Welt der Celebrities thematisiert. Empfehlenswert!

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    11. Mai 2020 

    Interessante Geschichte, verworrene Erzählkonstruktion

    Die irische Schriftstellerin Anne Enright wirft in all ihren Büchern einen schonungslosen Blick auf familiäre Beziehungen, so z.B. im Roman „Das Familientreffen“, der 2007 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. In ihrem neuesten Roman „ Die Schauspielerin“ geht es u.a.um ein kompliziertes Mutter-Tochter- Verhältnis.
    Wer war sie ? Dieser Frage nach der Mutter geht die Ich- Erzählerin Norah nach, eine Frau Mitte Fünfzig. Auslöser war eine Interviewanfrage einer Journalistin, die ihre Doktorarbeit über die berühmte Katherine O‘ Dell plant.
    Norah beginnt sich zu erinnern, reist an Orte, an denen ihre Mutter lebte, befragt sich und andere.
    Katherine O‘ Dell , die ehemals große Diva, war die Tochter eines englischen Schauspielerpaars, das auf den Provinzbühnen in England, Irland und den USA unterwegs war. Ihren ersten Auftritt in einem Theaterstück hat Katherine bereits mit zwölf Jahren. Beachtung findet ihre Schauspielkunst bei einer Aufführung in Dublin; darauf folgt ein Engagement am Broadway und der Ruf nach Hollywood. Es sind die 1950er Jahre, in denen Katherine ihre größten Erfolge feiert. Aber der Ruhm hat seinen Preis. Ihre Agentur managt nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihr Privatleben. Mit 21 Jahren wird Katherine mit ihrem besten Freund, dem Schauspielkollegen Philip verheiratet. Der hat allerdings nicht nur eine Vorliebe für Männer, sondern ist auch dem Alkohol zugetan. Die Ehe hält nicht lange. Schließlich kehrt Katherine mit einem Baby im Arm, doch ohne Ehemann, nach Irland zurück. Sie bleibt noch eine Weile ein Star, ist eine Größe in der irischen Kulturszene, doch langsam beginnt der Abstieg. Alkohol, Tabletten, wechselnde Liebhaber und immer weniger Engagements - so sieht bald ihr Leben aus.
    „..., aber in Wahrheit war Katherine 0‘Dell mit fünfundvierzig Jahren fertig. Beruflich. Sexuell. Wenn eine Frau damals dreißig wurde, ging sie nach Hause und zog die Tür hinter sich zu.“
    Der Tiefpunkt ist erreicht, als Katherine einem selbstherrlichen Filmproduzenten in den Fuß schießt und daraufhin in der Psychiatrie landet.
    Lange nach ihrem Tod versucht nun die Tochter herauszufinden, was für ein Mensch ihre Mutter war. Was war echt an ihr, was Inszenierung, was Wahrheit, was Fiktion ? „ Meine Mutter hatte ihre Kindheit umgeschrieben und dann die Originalfassung verloren.“
    So hat sich z.B. die in London geborene Katherine zur Ikone Irlands stilisiert, mit rotgefärbtem Haar und mit Sympathien für die IRA. „ Katherine O‘Dell, die irischste Schauspielerin aller Zeiten, war genau genommen Britin.“
    Der Roman zeigt auch anschaulich, was es heißt, im Schatten einer schönen, berühmten Mutter aufzuwachsen. Wird man übersehen, verglichen, überhaupt wahrgenommen? Und welche Rolle spielte Norah für Katherine ? War Norah „ ihr geheimer Schatz“, „ ihr geheimes Glück“, oder „ ihre größte Last“ ? Es war sicherlich nicht leicht , mit einem unehelichen Kind in das katholische Irland zurückzukehren.
    Wahr ist, dass beide anfangs eine beinahe symbiotische Beziehung hatten und Norah lange brauchte, um sich daraus zu befreien.
    Die zweite, große Frage, der die Ich- Erzählerin nachgeht, ist die nach ihrem Vater. Von der Mutter erfährt sie wenig über ihn. Die weicht solchen Fragen konsequent aus. Als Kind imaginiert sich Norah einen wunderbaren Menschen, der einem filmreichen Unfall zum Opfer fiel. Allerdings wird es immer schwieriger, das idealistische Vaterbild aufrechtzuerhalten. Vielleicht wollte er einfach nichts wissen von dem unerwünschten Kind ? Bei ihren ersten sexuellen Beziehungen fragt sich Norah, ob sie hier den abwesenden Vater sucht.
    Nicht alle Fragen, die der Roman aufwirft, werden von der Autorin ausreichend beantwortet. Manches bleibt der Interpretation des Lesers überlassen.
    Beide Frauenfiguren sind komplexe Figuren mit widersprüchlichen Facetten.
    Der Roman „ Die Schauspielerin“ ist keine einfache Lektüre. Das liegt v.a. an der Erzählstruktur. Anne Enright schreibt assoziativ, verknüpft scheinbar wahllos einzelne Episoden, so dass der Leser gezwungen ist, die Teile selbst zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. Beim großen Figurenensemble verliert man auch leicht den Überblick.
    Allerdings gelingt es der Autorin sehr gut, atmosphärisch dichte Szenen zu beschreiben, in einer z.T. wunderbaren Sprache. Spannend und psychologisch äußerst differenziert wird die höchst komplizierte Mutter- Tochter- Beziehung dargestellt. Anne Enright beschreibt außerdem beispielhaft die Schattenseiten des Ruhms, die Fragilität von Erfolg und die Abhängigkeiten weiblicher Künstler. Dabei greift sie die aktuelle Me Too Debatte auf, zeigt die Bandbreite von sexueller Belästigung bis zur Vergewaltigung.
    Trotz vieler positiver Elemente hat mich der Roman enttäuscht zurückgelassen. Die Geschichte hat mich nicht gepackt, die Protagonisten kamen mir nicht wirklich nahe. Schade!

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  1. Der Vorhang fällt

    Die irische Schauspielerin Katherine O‘Dell war einst eine Berühmtheit. Von kleinen Dorfbühnen bis nach Hollywood hat sie es geschafft und wieder zurück. Bis sie eines Tages auf ihren Filmproduzenten schießt. Jahrzehnte später blickt Norah, Katherines Tochter, zurück auf das Leben der Mutter.
    „Die Schauspielerin“ heißt das neueste Werk der 2007 mit dem Booker Prize ausgezeichneten irischen Schriftstellerin Anne Enright: Es ist eine fiktive Künstlerbiografie, ein erfundenes Memoir, und das muss man Anne Enright mit großer Anerkennung lassen. Es wirkt authentisch, als hätte dieses Leben tatsächlich so stattfinden können.
    Gleich zu Beginn des Romans erleben wir die Schauspielerin Katherine O’Dell, bei der Feier zum 21. Geburtstag ihrer Tochter Norah. Es viel weniger ein Freudenfest zur Feier der Volljährigkeit als ein gesellschaftliches Ereignis. Katherines Leben ist eine einzige Inszenierung, ob sie nun Toast isst, oder mit ihrer Tochter ein Picknick im Park veranstaltet. Sie hatte die Begabung sich vor dem Spiegel kurz zurechtzurücken und von der panisch chaotischen Alkoholikerin in ihr „berufliches Ich“ zu wechseln, bevor die das Haus verließ. Es war ein ständiges Buhlen um Aufmerksamkeit. Und Norah war da, alles in einem: Kind, Betreuerin, Publikum.
    Doch "Mit fünfundvierzig Jahren (war sie) fertig. Beruflich. Sexuell.", sagt Norah. Es ist kein Geheimnis, dass Katherine O’Dell voll mit Alkohol und Psychopharmaka auf den Filmproduzenten schoss, in einer psychiatrischen Anstalt landete und mit 58 Jahren starb. Denn dieses Netz wird gleich zu Beginn der Geschichte ausgelegt.
    Viele Jahre nach Katherines Tod beginnt Norah Rückschau zu halten. Ausgelöst durch eine Interviewanfrage, beginnt sie eine Spurensuche, will sie, die selbst erfolgreiche Autorin geworden ist, ein Buch über ihre Mutter schreiben. Norah erzählt die Geschichte der Mutter sowie die eigene nicht linear, wechselt zwischen eigenem Erlebten und Erinnerungen und dem Leben der Mutter, setzt Ereignisse in Zusammenhang. Das ist mitunter sehr ausgiebig und anstrengend und lässt sehr viel interpretativen Spielraum.
    Die größte Frage, der sich Norah jedoch stellt, ist, wer ihr Vater gewesen sei. Ein Mann ohne Namen, als Kind zunächst glorifiziert, immer mit dem Prädikat „unbekannt“ versehen“ Norah lässt gedanklich den Vater sterben, immer und immer wieder. "Ein Teil von mir liebte es, meinen toten Vater abermals sterben zu lassen, denn mit ihm starb mein Verdacht; er könnte in Wirklichkeit gar nicht tot sein, sondern irgendwo in weiter Ferne ein schönes Leben führen..."
    „Die Schauspielerin“ ist ein Wimmelbild, in dem es sehr viel zu finden gibt. Selbstdarstellung, Aufstieg und Scheitern, ein symbiotisch-toxischer Mutter-Tochter-Mikrokosmos, der ewige Kampf weiblicher Selbstbestimmung, . Wie im Theater sind die Rollen gut verteilt, die Junge, die Mutter, die Alte, das Dienstmädchen, der Liebhaber (auch wenn er im Roman einen weitaus weniger charmanten Titel erhält), der „alte weiße Mann“ in all seiner Dominanz und Tragik. Und so erhält dies Geschichte enorme aktuelle und gesellschaftliche Relevanz.
    „Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab. (William Shakespeare) Norah schaut hinter die Kulissen und sucht im Schnürboden der Erinnerungen. Sie findet. Der Vorhang fällt. Das Leben geht weiter.

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    05. Mai 2020 

    Interessante Geschichte mit Potenzial, aber nicht gut umgesetzt.

    Auf den ersten Blick geht es bei dem 304-seitigen Roman um den Aufstieg, den Alltag und den Niedergang der Schauspielerin Katherine O‘Dell, sowie um ihre Beziehung zu ihrer Tochter Norah.

    Die inzwischen ca. 55-jährige Norah begibt sich, ausgelöst durch ein Interview, in dem sie zu ihrer Mutter befragt wird („Wie war sie wirklich?“) auf die Spuren ihrer vor einigen Jahren verstorbenen Mutter, versucht, ein Verbrechen nachzuvollziehen und Hinweise und Erklärungen zu finden, die ihren ihr unbekannten Vater entmystifizieren.

    Und das alles, wie ich meine, um letztlich ihre eigene Geschichte zu rekonstruieren, Wahrheiten aufzuspüren und Antworten auf existentielle und möglicherweise noch unbewusste Fragen zu finden, sowie um tiefliegende und ambivalente Gefühle zu ergründen:

    „War ich erwünscht und wurde ich geliebt?“

    Schon zu Beginn werden wir mit einer Komplexität und Zweiseitigkeit konfrontiert, die uns aufzeigt, dass die Beziehungen und Leben dieser beiden Frauen alles andere als eindeutig und einfach waren.

    Die Mutter Katherine wird einerseits als ganz normale Frau eingeführt, die Frühstück macht und Marmeladentoast isst.
    Andererseits wird schon ganz zu Beginn deutlich, dass sie eine ganz besondere, außergewöhnliche und von allen bewunderte Frau ist, die bereits mit 45 Jahren verbraucht ist. Lebensstil, Tabak, Alkohol und Glamour haben ihre Spuren hinterlassen.

    Schon auf den ersten Seiten befinden wir uns auf der Volljährigkeitsparty von Norah. Ein rauschendes Fest im Spätsommer 1973 mit hochkarätigen Gästen und Zeitungsreporter. Ein Fest, das ihr zu Ehren veranstaltet wird, auf dem sie allerdings nur eine Nebenrolle spielt. Die Hauptrolle spielt ihre theatralische Mutter.

    Schnell wird klar, dass es nicht einfach ist, im Schatten einer solchen, von der Öffentlichkeit verehrten und häufig abwesenden Mutter zu stehen.
    „Es war schwierig, einen eigenen Ton zu finden.“ (S. 11)
    Sie war nur eine schlechte Kopie ihrer zeitlosen Mutter. (S. 18).
    Gleichzeitig war Norah wohl das Beste, das ihrer Mutter passieren konnte.
    „...und ich wusste, ich war ihr geheimes Glück.“ (S. 19).
    War das so?
    Und war ebendies auch Norahs Glück?

    Schon sehr früh wird angedeutet, dass die Schauspielerin psychiatrisch erkrankte und schon am Ende des ersten Kapitels erfährt man, dass sie 1980 den irischen Filmproduzenten Boyd O‘Neill in den Fuß geschossen hat, weshalb sie verhaftet, verurteilt und in eine forensische Psychiatrie eingeliefert worden war.
    Dass sie erst nach drei Jahren mit psychiatrischer Festmedikation, gealtert und unheilbar krank entlassen wurde und drei Jahre später starb, bleibt kein Geheimnis.

    Das alles und noch viel mehr erfahren wir über diese beiden vom Leben gezeichneten Frauen, ihre Beziehung zueinander und ihre Affären.

    Wir bekommen auch einen Einblick in das jetzige Leben Norahs und erfahren, dass sie ihren leiblichen Vater nie kennengelernt hat.

    Immer wieder stolpert man über wunderschöne Formulierungen, was mich anfangs darüber hinwegtröstet, dass Inhalt und Schreibstil mich nicht packen.
    Der Satz „Ihre blühende, der Dummheit so nahen Intelligenz.“ (S. 27) lässt mich schmunzeln und die Formulierung: „Beide waren auf dramatische Weise gutaussehend und in der Lage, durch einfaches Stillhalten zu übertreiben.“ (S. 38) musste ich mehrmals lesen.

    Aber dieser Trost hatte nicht die Kraft und das Gewicht, meine Leselust und mein Lesevergnügen anzukurbeln.

    Ich empfand den Roman als eine wenig chronologische Aneinanderreihung von Erinnerungen, Szenen, Fakten und Gedanken.

    Er las sich für mich nicht wie eine flüssige Geschichte, in die ich mich hineinfallen lassen konnte, sondern wie ein Bombardement mit Informationen, dem ich aufmerksam und konzentriert lauschen musste und das mich z. T. langweilte.
    Das Erzähltempo war mir zu schnell, der Schreibstil zu nüchtern.
    Mir fehlten die Emotionen und der Blick in das Innenleben der Personen.

    Irgendwie war das Ganze für mich ein bisschen verwirrend, zu dicht und zu überladen.
    Die Geschichte übte bis zuletzt keinen wirklichen Sog auf mich aus. Sie hat mich nicht erreicht, gepackt oder gefesselt. Sie war anstrengend, aber die Anstrengung hat sich für mich nicht gelohnt.

    Im Verlauf der Lektüre bekam ich immer mehr den Eindruck von einem Puzzle.
    Die Ich-Erzählerin schiebt einzelne Puzzleteile zusammen und am Ende entsteht ein ganzes Bild.
    Manchen Lesern mag das sehr gut gefallen. Mir ist das zu unruhig, zu wenig zusammenhängend und zu wenig stringent.

    „Die Schauspielerin“ ist eine interessante Geschichte mit reizvollen Themen, aber für meinen Geschmack nicht gut umgesetzt.

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  1. Aufwachsen im Schatten einer Diva

    Norah ist eine mäßig erfolgreiche Schriftstellerin Ende 50 und die Tochter der einst bis nach Hollywood berühmten Schauspielerin Katherine O´Dell. Als Norah von einer Journalistin aufgesucht und über ihre Mutter befragt wird, wächst in ihr selbst die Idee, eine Biografie über sie zu verfassen. Norah spürt ihrer Mutter nach, besucht deren Geburtshaus, zeichnet anhand zahlreicher erzählter Geschichten deren Lebensweg auf.

    Katherine war das einzige Kind englischer Wander-Schauspieler. Die frühe Kindheit war wohl unstet, bereits mit 11 Jahren musste sie in ein Internat und verbrachte nur die Sommer, die sie als glückliche Zeit wahrgenommen hat, mit den Eltern und deren Theatergruppe. Mit 13 hat sie ihren ersten überraschenden Bühnenauftritt. „Die Bühne hat mich erwählt“, wird sie jahrelang sagen. Dank ihres Talents und der richtigen Kontakte nimmt sie eine steile Karriere, die sie bis ins Hollywood-Geschäft der Nachkriegsjahre führt. Dort wird sie zur „irischsten Schauspielerin aller Zeiten“ hochstilisiert. Katherine inszeniert entsprechend ihre irische Einstellung, ihren Dialekt, ihr Aussehen – obgleich sie in Wirklichkeit britische Wurzeln hat. Sie tut vieles für den Erfolg.
    „Meine Mutter war eine begabte Hochstaplerin. Sie war auch eine Künstlerin, eine Rebellin und eine Romantikerin; man durfte sie nennen, wie man wollte, solange man sie keine Engländerin nannte, denn das wäre eine schlimme Beleidigung gewesen, Und außerdem, leider, die Wahrheit.“ (S.34)

    1952 kommt sie mit einem Baby auf dem Arm aus den USA zurück. Die Geburt ist eine Zäsur in ihrer Karriere, denn „Schauspielerinnen haben keine Kinder“. Wenn Katherine zukünftig auf Reisen muss, bleibt Norah bei der Großmutter und in späteren Jahren bei der Haushälterin Kitty daheim. Doch die wichtigen Filme und Engagements bleiben aus, Misserfolge stellen sich ein, der Zenit ist überschritten. Katherine leidet sehr darunter. Sie ist einsam, blüht aber auf, wenn sie sich mit ihren Mitstreitern aus der Branche umgeben kann. Ein Beispiel ist Norahs 21. Geburtstag, zu dem mehr Gäste der Mutter als der Tochter eingeladen wurden: „Der Gesellschaftsreporter der Evening Press hatte einen Fotografen mitgebracht. Mama zeigte der Kamera ihren Rücken und ihr Gesicht im Dreiviertelprofil. Alles war inszeniert. Kein Zweifel – die Torte, die Prozession, der Schnappschuss, all das war sorgfältig geplant.“ (S. 16)

    Norah fühlt sich stets als Anhängsel im Schatten ihrer berühmten Mutter, die so selten sie selbst ist. In ihren Reflexionen springt sie durch die Zeit, greift für sie wichtige Stationen auf. Schnell verlässt sie die eigene Kindheit, die sie wohl nur dank der liebevollen Haushälterin überlebt hat. Insbesondere zwei Fragen beschäftigen Norah: Zum einen die eigene Herkunft. Sie möchte in Erfahrung bringen, wer ihr angeblich bei einem Unfall ums Leben gekommener Vater ist, um den ihre Mutter ein großes Geheimnis und eine drehbuchfähige Geschichte gesponnen hat. Die zweite offene Frage hängt mit einer blutigen Tat der Mutter zusammen, die einen öffentlichen Skandal auslöste und die Norah nicht nachvollziehen kann: Im Alter von 47 Jahren stürmte Katherine das Büro ihres ehemaligen Filmproduzenten, richtete eine Waffe auf ihn und schoss – mit weitreichenden Konsequenzen für beide.

    Das vorliegende Buch könnte man als fiktive Biografie einer einst berühmten Filmdiva verstehen. Reale Vorbilder gibt es gewiss einige. Wie wächst man im Schatten einer dermaßen populären Frau auf? Wie entwickelt man sich, wenn die nächste Bezugsperson primär um sich selbst kreist, nur ihre Fassade zeigt und trotzdem ständig Lob sowie Bestätigung von ihrem Kind braucht? Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist ein schwieriges, ein ambivalentes. Oft hört Norah Sätze wie: „Du bist mein geheimes Glück, mein Ein und Alles, mein Engel, das Beste überhaupt.“ Fühlen tut sie sich anders, hat den Eindruck, das Leben und die Karriere ihrer Mutter zerstört zu haben, für ihr Unglück verantwortlich zu sein. Das ist eine riesige Last für einen heranwachsenden Menschen und hinterlässt tiefe Spuren. Norah scheint von einer lebenslangen Melancholie umgeben zu sein. Durch ihre Aufzeichnungen spürt auch sich selbst hinterher, hinterfragt Stationen, Handlungen und Beziehungen in ihrem Leben.

    Für den Leser ergibt sich aus diesem Zusammenspiel ein intensiver Lesesog, auch wenn es einem der Text nicht leicht macht. Die sprunghafte, nicht chronologische Erzählweise ist anstrengend. Man möchte schließlich alle Zusammenhänge erfassen. Viele Namen (überwiegend fiktiver) Persönlichkeiten aus dem Showbusiness tauchen auf, deren Zuordnung teilweise überfordert. Entschädigt wird man mit einer komplexen, atmosphärisch dichten und psychologisch tiefen Geschichte über eine unglückliche, teils depressive und schließlich wirre Schauspielerin, die schon relativ früh im Leben gescheitert ist, die Freundin, Männer und Ruhm verloren hat und der es nicht gelungen ist, sich eine neue Perspektive mit erreichbaren Zielen und verlässlichen Freundschaften zu erschließen.
    „Katherine O´Dell glaubte, sie hätte den Massen etwas anzubieten, etwas wie Freude oder Schmerz. In späteren Jahren betrachtete sie sich dann als Opfergabe, in Brand gesteckt durch das grelle Licht der Aufmerksamkeit. Aber wer weiß, vielleicht war sie auch nur eine heillose Exzentrikerin, die zufällig auf der Bühne stand.“ (S. 79)
    Dass Norah sich seit ihrem 14. Lebensjahr für ihre Mutter verantwortlich fühlt, macht die Verstrickungen der beiden Frauen nur allzu deutlich. Die berühmte Katherine O´Dell beeinflusst über den Tod hinaus das Leben der Tochter. Dem geht Norah mit dem Schreiben der Biografie auf den Grund - als seit Jahrzehnten verheiratete Frau und Mutter zweier fast erwachsener Kinder – besser spät als nie.

    Der Roman ist fordernd, aber nie langweilig. Er lädt zum Nachdenken über das Gelesene ein, ist ideal für Lesekreise geeignet. Was ihn über vieles andere erhebt, ist der wunderbare Sprachstil der Autorin. Enright zeichnet ihre Figuren genau, macht ihre Widersprüche deutlich. Sie vermag es, das schwierige, stets ambivalente Verhältnis ihrer zwei Protagonistinnen äußerst treffend in Worte zu kleiden (ohne dass sie dem Leser dabei besonders nah kommen). Kein Satz ist dem Zufall überlassen, in vielen Formulierungen steckt ungemein viel Lebensweisheit und Tiefe. Dazu kommt ein Ende, dass aktuelle Bezüge hat, das Gelesene noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt und ein Zurückblättern erforderlich macht. Das alles hat mich sehr beeindruckt und genau deswegen werde ich diesem Roman 5 Lesesterne geben. Weil er besonders ist. Weil hier eine Autorin neben einer fiktiven Biografie eine vielschichtige Mutter-Tochter-Beziehung erzählt, die nachhallt, die einen noch tagelang beschäftigt, obwohl sie anstrengend war. Das ist Schreibkunst, an der uns Eva Bonné durch ihre gekonnte Übersetzung wunderbar teilhaben lässt.

    Der Roman braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Er lässt verschiedene Interpretationsansätze zu. Wer nur Unterhaltung sucht, wird mit ihm nicht glücklich. Wer aber bereit ist, sich darauf einzulassen, wird dem Sog einer außergewöhnlichen Geschichte spätestens nach 100 Seiten erliegen und mit einem außergewöhnlichen Leseerlebnis belohnt.

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  1. Aufwachsen im Schatten einer Diva

    Norah ist eine mäßig erfolgreiche Schriftstellerin Ende 50 und die Tochter der einst bis nach Hollywood berühmten Schauspielerin Katherine O´Dell. Als Norah von einer Journalistin aufgesucht und über ihre Mutter befragt wird, wächst in ihr selbst die Idee, eine Biografie über sie zu verfassen. Norah spürt ihrer Mutter nach, besucht deren Geburtshaus, zeichnet anhand zahlreicher erzählter Geschichten deren Lebensweg auf.

    Katherine war das einzige Kind englischer Wander-Schauspieler. Die frühe Kindheit war wohl unstet, bereits mit 11 Jahren musste sie in ein Internat und verbrachte nur die Sommer, die sie als glückliche Zeit wahrgenommen hat, mit den Eltern und deren Theatergruppe. Mit 13 hat sie ihren ersten überraschenden Bühnenauftritt. „Die Bühne hat mich erwählt“, wird sie jahrelang sagen. Dank ihres Talents und der richtigen Kontakte nimmt sie eine steile Karriere, die sie bis ins Hollywood-Geschäft der Nachkriegsjahre führt. Dort wird sie zur „irischsten Schauspielerin aller Zeiten“ hochstilisiert. Katherine inszeniert entsprechend ihre irische Einstellung, ihren Dialekt, ihr Aussehen – obgleich sie in Wirklichkeit britische Wurzeln hat. Sie tut vieles für den Erfolg.
    „Meine Mutter war eine begabte Hochstaplerin. Sie war auch eine Künstlerin, eine Rebellin und eine Romantikerin; man durfte sie nennen, wie man wollte, solange man sie keine Engländerin nannte, denn das wäre eine schlimme Beleidigung gewesen, Und außerdem, leider, die Wahrheit.“ (S.34)

    1952 kommt sie mit einem Baby auf dem Arm aus den USA zurück. Die Geburt ist eine Zäsur in ihrer Karriere, denn „Schauspielerinnen haben keine Kinder“. Wenn Katherine zukünftig auf Reisen muss, bleibt Norah bei der Großmutter und in späteren Jahren bei der Haushälterin Kitty daheim. Doch die wichtigen Filme und Engagements bleiben aus, Misserfolge stellen sich ein, der Zenit ist überschritten. Katherine leidet sehr darunter. Sie ist einsam, blüht aber auf, wenn sie sich mit ihren Mitstreitern aus der Branche umgeben kann. Ein Beispiel ist Norahs 21. Geburtstag, zu dem mehr Gäste der Mutter als der Tochter eingeladen wurden: „Der Gesellschaftsreporter der Evening Press hatte einen Fotografen mitgebracht. Mama zeigte der Kamera ihren Rücken und ihr Gesicht im Dreiviertelprofil. Alles war inszeniert. Kein Zweifel – die Torte, die Prozession, der Schnappschuss, all das war sorgfältig geplant.“ (S. 16)

    Norah fühlt sich stets als Anhängsel im Schatten ihrer berühmten Mutter, die so selten sie selbst ist. In ihren Reflexionen springt sie durch die Zeit, greift für sie wichtige Stationen auf. Schnell verlässt sie die eigene Kindheit, die sie wohl nur dank der liebevollen Haushälterin überlebt hat. Insbesondere zwei Fragen beschäftigen Norah: Zum einen die eigene Herkunft. Sie möchte in Erfahrung bringen, wer ihr angeblich bei einem Unfall ums Leben gekommener Vater ist, um den ihre Mutter ein großes Geheimnis und eine drehbuchfähige Geschichte gesponnen hat. Die zweite offene Frage hängt mit einer blutigen Tat der Mutter zusammen, die einen öffentlichen Skandal auslöste und die Norah nicht nachvollziehen kann: Im Alter von 47 Jahren stürmte Katherine das Büro ihres ehemaligen Filmproduzenten, richtete eine Waffe auf ihn und schoss – mit weitreichenden Konsequenzen für beide.

    Das vorliegende Buch könnte man als fiktive Biografie einer einst berühmten Filmdiva verstehen. Reale Vorbilder gibt es gewiss einige. Wie wächst man im Schatten einer dermaßen populären Frau auf? Wie entwickelt man sich, wenn die nächste Bezugsperson primär um sich selbst kreist, nur ihre Fassade zeigt und trotzdem ständig Lob sowie Bestätigung von ihrem Kind braucht? Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist ein schwieriges, ein ambivalentes. Oft hört Norah Sätze wie: „Du bist mein geheimes Glück, mein Ein und Alles, mein Engel, das Beste überhaupt.“ Fühlen tut sie sich anders, hat den Eindruck, das Leben und die Karriere ihrer Mutter zerstört zu haben, für ihr Unglück verantwortlich zu sein. Das ist eine riesige Last für einen heranwachsenden Menschen und hinterlässt tiefe Spuren. Norah scheint von einer lebenslangen Melancholie umgeben zu sein. Durch ihre Aufzeichnungen spürt auch sich selbst hinterher, hinterfragt Stationen, Handlungen und Beziehungen in ihrem Leben.

    Für den Leser ergibt sich aus diesem Zusammenspiel ein intensiver Lesesog, auch wenn es einem der Text nicht leicht macht. Die sprunghafte, nicht chronologische Erzählweise ist anstrengend. Man möchte schließlich alle Zusammenhänge erfassen. Viele Namen (überwiegend fiktiver) Persönlichkeiten aus dem Showbusiness tauchen auf, deren Zuordnung teilweise überfordert. Entschädigt wird man mit einer komplexen, atmosphärisch dichten und psychologisch tiefen Geschichte über eine unglückliche, teils depressive und schließlich wirre Schauspielerin, die schon relativ früh im Leben gescheitert ist, die Freundin, Männer und Ruhm verloren hat und der es nicht gelungen ist, sich eine neue Perspektive mit erreichbaren Zielen und verlässlichen Freundschaften zu erschließen.
    „Katherine O´Dell glaubte, sie hätte den Massen etwas anzubieten, etwas wie Freude oder Schmerz. In späteren Jahren betrachtete sie sich dann als Opfergabe, in Brand gesteckt durch das grelle Licht der Aufmerksamkeit. Aber wer weiß, vielleicht war sie auch nur eine heillose Exzentrikerin, die zufällig auf der Bühne stand.“ (S. 79)
    Dass Norah sich seit ihrem 14. Lebensjahr für ihre Mutter verantwortlich fühlt, macht die Verstrickungen der beiden Frauen nur allzu deutlich. Die berühmte Katherine O´Dell beeinflusst über den Tod hinaus das Leben der Tochter. Dem geht Norah mit dem Schreiben der Biografie auf den Grund - als seit Jahrzehnten verheiratete Frau und Mutter zweier fast erwachsener Kinder – besser spät als nie.

    Der Roman ist fordernd, aber nie langweilig. Er lädt zum Nachdenken über das Gelesene ein, ist ideal für Lesekreise geeignet. Was ihn über vieles andere erhebt, ist der wunderbare Sprachstil der Autorin. Enright zeichnet ihre Figuren genau, macht ihre Widersprüche deutlich. Sie vermag es, das schwierige, stets ambivalente Verhältnis ihrer zwei Protagonistinnen äußerst treffend in Worte zu kleiden (ohne dass sie dem Leser dabei besonders nah kommen). Kein Satz ist dem Zufall überlassen, in vielen Formulierungen steckt ungemein viel Lebensweisheit und Tiefe. Dazu kommt ein Ende, dass aktuelle Bezüge hat, das Gelesene noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt und ein Zurückblättern erforderlich macht. Das alles hat mich sehr beeindruckt und genau deswegen werde ich diesem Roman 5 Lesesterne geben. Weil er besonders ist. Weil hier eine Autorin neben einer fiktiven Biografie eine vielschichtige Mutter-Tochter-Beziehung erzählt, die nachhallt, die einen noch tagelang beschäftigt, obwohl sie anstrengend war. Das ist Schreibkunst, an der uns Eva Bonné durch ihre gekonnte Übersetzung wunderbar teilhaben lässt.

    Der Roman braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Er lässt verschiedene Interpretationsansätze zu. Wer nur Unterhaltung sucht, wird mit ihm nicht glücklich. Wer aber bereit ist, sich darauf einzulassen, wird dem Sog einer außergewöhnlichen Geschichte spätestens nach 100 Seiten erliegen und mit einem außergewöhnlichen Leseerlebnis belohnt.

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  1. Von Interferenzen und Lebensaufgaben

    Die Autorin Anne Enright läßt in ihrem Roman „Die Schauspielerin“ die einzige Tochter der früher berühmten, später aber fast in Vergessenheit geratenen Schauspielerin Katherine O’Dell die Biografie ihrer Mutter schreiben. Insofern schreibt auch Anne Enright eine Biographie. Die Biographie einer fiktiven Gestalt. Man fragt sich lange Zeit, wozu dies gut sein soll.

    In loser, unchronologischer, aber nicht unlogischer Folge zeichnet die Tochter den Werdegang der Schauspielerin nach, spürt die Konfliktpunkte dieses Lebens auf, von denen es zahlreiche gab, angefangen von der Verschleierung deren Herkunft, sowohl familiär wie ethnisch und politisch, die verborgenen Liebhaber, eine ungewollte Schwangerschaft. Sie zeigt der Leserschaft die kurze lodernde Karriere der Schauspielerin, den Ruhm und seine Folgen, dabei aber auch das gleichzeitige Verheiztwerden von Katherines Persönlichkeit. Danach kommt der langsame, schmerzhafte Abstieg, ein Aufbäumen gegen das Karriereende, das Verlassenwerden, das Verlöschen.

    Bei jedem Abschnitt, den die Tochter schildert, fragt sie sich, wo sie selbst zu jenem Zeitpunkt war und setzt sich in Beziehung zu jedem einzelnen Lebenspunkt. Die Interferenz ihrer beider Leben ist die Thematik dieses Romans!

    Bei den Schilderungen der ersten erfolgreichen Filme hat man abwechlsungsweise einmal Audrey Heburn vor Augen (The Nun´s Story) oder Marylinn Monore, die ihre Haarfarbe genau so wechseln musste wie Katherine O’Dell. Auch die geheimen Liebhaber passen ins Bild.

    Aber es geht nicht um das Nachahmen von realen Celebrities. Anne Enright spielt nur mit diesen Bildern, die insofern in unseren Köpfen entstehen, um der Vervollkommnung des Bildes willen. Denn Enright ist sehr gut darin, eine authentische Szenerie der Theater- und Filmwelt zu entwerfen, sie erfindet dabei Stücke, die es nie gegeben hat und flicht andere ein, die jeder kennt, zum Beispiel Shakespeares Stücke. Oder Gedichte. Auch alkohollastige Parties und umstrittene Drehbücher und Produzenten kommen vor. Alles eben. Samt Glamour und Hausboten. Und der Therapiecouch.

    Man fragt sich eine Zeitlang, ob wir es vielleicht "nur" mit der Vatersuche einer Kindheit zu tun haben? Denn die Mutter hat Nora den Namen ihres Erzeugers verschwiegen (er verdient keinen Namen), er ist nicht wichtig, und tatsächlich spielt er in ihrer Zweisamkeit auch keine Rolle, aber natürlich ist Nora ein wenig neugierig, wer ihr Vater ist und nimmt auch Nachforschungen auf, später, nach dem Tod der Mutter, doch halbherzig, die Suche führt schnell ins Leere. Nein, die Vatersache ist nicht Brennpunkt des Romans.

    Nora hat auch kein Identitätsproblem, das heißt, nicht mehr als jeder andere. Sie kann sich gut abgrenzen von der Mutter und sie kennt sich ziemlich gut, ist anders, hat einen glasklaren Verstand, für den sie dankbar ist und lebt wenig in Illusionen. Die Entdeckung der Sexualität empfindet sie als befreiend. Sie ist eine moderne Frau, eine Zeitlang fast promiskuitiv. Auch darin liegt kein existentielles Problemfeld. Die Autorin macht es der Leserschaft nicht ganz einfach, Nora zu entschlüsseln. In ihren Beziehungen scheitert sie genau so häufig wie jeder andere Mensch, aber sie erlebt auch Glück. Noras Leben entsteht jedoch immer als Bezugspunkt zu den erzählten Stationen im Leben der Mutter. Und allmählich begreift man, worum es geht: um die Überlagerung. Nicht um Vereinnahmung, denn Katherine ist keine vereinnahmende Mutter.

    Es fällt Nora schwer, sich von der schillernden, facettenreichen Figur der Mutter zu lösen. Die Bekanntheit der Mutter hat der Muttergestalt mehr Gewicht verliehen als für Nora gut ist. Nora muss sich befreien, hat deshalb aber Schuldgefühle. Die Loslösung von der Mutter ist für Nora eine Lebensaufgabe über den Tod der Mutter hinaus.

    Fazit: Obwohl die geneigte Leserin den Roman „Die Schauspielerin“ anfangs so gar nicht mochte, hat sie sich mehr und mehr ins Buch ziehen lassen. Seine Stärke ist seine beiläufige Authentizität und sein Nachhall. Man muss über das Gelesene richtig heftig nachdenken und wahrscheinlich wird jeder dabei zu anderen Resultaten gelangen. Diese Rezension liefert eine der möglichen Interpretationen. (Natürlich die richtige!).

    Kategorie: Belletrisik
    Verlag: Penguin, 2020

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