Die Raben: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Raben: Roman' von Tomas Bannerhed
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Raben: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442753925

Rezensionen zu "Die Raben: Roman"

  1. 5
    11. Aug 2016 

    Ein spannender Familienroman

    Ich fand das Buch wunderschön. Es gab nur einen Nachteil, der aber meine persönliche Sache ist. Ich kann es nicht sehen, wenn Nutztiere geschlachtet oder auf eine andere Art und Weise durch Menschenhand gequält und getötet werden. Das Buch ist voll davon. Passt ja auch zum Kontext. Passt zu dem Ort des Geschehens.

    Der Wirkungskreis findet in der Landschaft Smaland in Südschweden statt. Smaland, umgeben von Bauernhöfen und tiefen Wäldern.

    Man befindet sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.

    Ein interessanter Familienroman, der mich recht nachdenklich gestimmt hat, obwohl es darin vordergründig keine wirklich bösen oder fiesen Menschen gibt … Aber die Figuren, wie sie in ihren inneren Mustern gestrickt sind, fand ich sehr spannend.

    Der Roman wird in der Ichperspektive des zwölfjährigen Klas dargestellt.

    Besonders stark beschäftigt haben mich der zwölfjährige Klas und sein Vater Agne. Aber die vielen Nebenfiguren fand ich nicht weniger interessant. Zu jeder gibt es einiges zu sagen, beschränke mich aber hauptsächlich auf die beiden oben erwähnten Figuren.

    Klas ist ein Heranwachsender, der zu wissen scheint, was er möchte. Er ist anders als die anderen Menschen seines Alters. Er beschäftigt sich viel allein, erkundet in seiner Freizeit die Wälder und die vielen darin lebenden Vögel. Zudem ist er ein Vielleser. Auch baut er sich eigene Drachen … Ein multitalentierter Jugendlicher. Für einen Bauernjungen ist vor allem die Leserei recht ungewöhnlich. Lesen wird hier als eine recht passive Eigenschaft gesehen. Klas glänzt auch in der Schule und zählt zu den Besten. Vor allem in Mathematik gelingt es ihm, mit hohen Zahlen frei aus dem Gedächtnis heraus zu operieren …

    Klas weiß auch schon, dass er in Zukunft nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten möchte und glaubt, dass er für etwas Besseres geschaffen sei. Doch wie bringt er dies seinem Vater bei, der andere Pläne mit ihm hat?

    Der Vater scheint anfangs recht normal zu sein, wobei er auf mich kontaktarm und wie ein Eigenbrötler wirkt ...
    Emotionale Nähe zu seinen beiden Kindern zeigt er kaum, zu sehr ist er mit seiner eigenen Welt als Landwirt beschäftigt, der später immer mehr krankhafte Züge einnimmt.

    Klas sehnt sich nach seinem Vater, zeigt es aber nicht. Er wundert sich, dass dieser sich kaum für seine Welt interessiert. Der Vater stellt keine Fragen an seine Kinder, immerzu äußert er Gedanken zu den Härten und den Missständen seines Guts… Er wirkt mit der Zeit recht zwanghaft. Unter den DorfbewohnerInnen ist er dadurch recht unbeliebt.

    Agne ist mit seinem Hof ein wenig überfordert, das sieht auch Klas, der mit einer einzigen Ausnahme aber alles andere tut, als ihm unter die Arme zu greifen.

    Agne hütet sich, Hilfe von seinem Sohn zu erbitten. Er kann überhaupt nicht bitten. Wünscht sich aber insgeheim, der Sohn würde von sich aus anpacken. Auch Klas schafft es nicht, mit seinem Vater ins Gespräch zu kommen. Beide leben sie abgeschottet in ihrer eigenen Welt …

    "Klas behandelt den Vater gedanklich ein wenig abfällig:
    Woran denkst du, Vater? wollte man fragen. Wenn du da so sitzt? Denkst du an die Arme, die sich im Stall von selbst heben? Das Wetter, das nur Ärger macht? An den Schrott, der Tag und Nacht herumliegt? An alles, was zu Hause erledigt werden muss und niemals fertig wird? Dass es ein Jahr mit dreizehn Monden und ein Schaltjahr ist? Eine ewige Plackerei.Denkst du jetzt daran?An Arbeit und Krankheit. An alles, was dir Steine in den Weg legt. " (2015, 88f)

    Klas zählt alle Mühen auf, die dem Vater unaufhörlich plagen.

    "Der Junge verbringt seine Freizeit auch in der Bibliothek, was ungewöhnlich für einen Dorfjungen ist, so auch die Meinung der Bibliothekarin. Dorfmenschen, die zwar alles Mögliche treiben würden, nur keine Bücher lesen und so stellt sie Klas die Frage, ob er wissen würde, was die Menschen dort so alles treiben? Auch sie ignoriert das mühsame Treiben eines Bauern.
    Bei uns zu Hause hat jedenfalls, solange ich denken kann, keiner jemals ein Buch aufgeschlagen. Außer der Bibel. Wenn Mutter krank ist, liest sie immer das Buch Hiob. Und das Sündenbekenntnis. Obwohl sie das eigentlich auswendig kann." (99)

    Klas lernt die aus der Großstadt zugezogene Veronica in der Bibliothek kennen, deren Vater Leo ein Intellektueller ist und sich gut mit Büchern auskennt. Er besitzt eine Bibliothek von über 4000 Büchern. Man möchte meinen, er tut nichts Anderes als Bücher zu lesen. Veronica stellt ihrem Vater Klas vor … Leo identifiziert Klas mit dem Steppenwolf von Hermann Hesse … (Die Art und Weise, wie Leo den Steppenwolf interpretiert hat, hat mir recht gut gefallen. Mich hat das nochmals an den Steppenwolf erinnert, den ich vor langer Zeit auch gelesen hatte.)

    Und ich fand seine Interpretation sehr treffend.

    Klas verliebt sich in Veronica und versucht ihr seine Welt in der Natur nahezubringen, wo ich mich erst fragen musste, ob er ihr seine Welt nicht zu sehr aufdrängen würde, ähnlich wie der Vater es mit ihm machte? ...

    Klas` Treiben in der Natur habe ich auch ein wenig als eine Flucht vor seiner Familie erlebt. Der Vater nimmt zunehmend krankhafte Formen an, triftet immer mehr in eine wahnhafte Welt ab, nimmt starke paranoide Züge an, fühlt sich selbst vom Unwetter verfolgt, das seine Farm zerstören wolle. Die Raben lösen mitunter in ihm auch Verfolgungszwänge aus … Zudem versucht er Ungeziefer auf eine stark krankhafte Form zu bekämpfen. Er sieht sogar Ungeziefer, wo gar keines ist. Nimmt in allem eine stark existentielle Bedrohung wahr.

    Klas wurde eines Nachts von einem Höllenlärm wach.

    "(Ich) Schaltete die Nachttischlampe an, stützte mich mit schlafverklebten Augen auf den Ellbogen. Knall auf Knall erschallte und verhallte in einem gleichmäßigen Rhythmus. (…)
    Widerwillig hob ich das Rollo leicht an und sah meinen Vater wie in rasender Wut auf eine alte, durchgelegte Matratze eindreschen, sah ihn weit ausholen und mit dem Teppichklopfer zuschlagen, als ginge es um Leben und Tod. (…) Die Matratzen auf der Teppichstange und ein ganzer Stapel Flickenteppiche, die darauf warteten, dass sie an die Reihe kamen. Im Schnee lagen Sofakissen und Decken.In einer Wolke aus Staub und Flusen stehen und immer weiter schlagen und schlagen, als hätte ihn jemand dazu gezwungen. Als wäre er von höheren Mächten beseelt oder als hätte ihn jemand in der Gewalt.Das hält doch keiner aus, von Millionen Partikeln umgeben zu sein. Die Milben, die Flöhe und Läuse, sie müssen weg, sie müssen alle weg. Peitschen und schlagen, bis nichts mehr da ist. Was macht es schon, dass dies mitten in der Nacht geschieht, wenn das ganze Haus voller Ungeziefer ist!" (420)

    Agne wird psychiatrisch zwangseingewiesen, und wird leise zum Gespött anderer DorfbewohnerInnen, worunter vor allem auch Klas´kleinerer Bruder Göran leidet, sieben Jahre alt, der immer mehr in die Kleinkindphase regrediert, und seinen Schnuller zurückverlangt, selbst dann noch, als der Vater wieder nach Hause entlassen wurde. Dieser wundert sich über das Verhalten seines jüngeren Sohnes und zieht falsche Schlüsse:

    "Vater versenkte die Zeitung, sah Göran erstaunt an, fragte sich, was das wohl für ein Knirps war. Ein großer Junge mit einem Schnuller, der die gesamte erste Klasse noch einmal würde absolvieren müssen, wenn er nicht lernte, in den Schulstunden still zu sitzen. " (381)

    Der Vater erlitt immer wieder Rückschläge und erwies sich als große Last für die gesamte Familie. Selbst Klas leidet seelisch darunter, fängt an, nachts einzunässen. Geplagt von der Angst, er müsse seinen Vater auf dem Hof ersetzen …

    Auf den letzten Seiten erfährt man ein wenig über die familiäre Herkunft seines Vaters. Zwölf Geschwister hatte er, und sie alle mussten auf dem Hof mitanpacken. Klas erfährt, dass auch sein Vater intellektuell sehr begabt war, so wie er ein Genie im Rechnen, aber die Schule musste er vorzeitig abbrechen und durfte sie nicht weiter besuchen. Und somit konnte der Vater seine Talente nicht ausleben ...

    Die Familie war zu arm, um sich eine Schule für die Kinder zu leisten, wo es auf dem Hof viel zu tun gab ...

    Klas erfährt, dass auch sein Vater sich selbst einen Drachen bastelte, den sein Vater, Klas´Großvater, allerdings zerstört hat, da er nichts vom Spielen hielt ...

    Mein Fazit zu dem Buch?

    Klas und sein Bruder Göran wachsen in einer recht emotionsarmen Familie auf. Nicht nur, dass die Kinder zu wenig Nähe erfahren, auch zwischen den Eltern finden wenige körperliche und verbale Berührungen statt. Klas stellt das fest und versucht über Veronica herauszufinden, ob sich ihre Eltern mehr berühren, mehr lieben würden?

    Klas ist für sein Alter ein sehr reflektiertes Kind, aber zu jung, um auf die vielen (schwerfälligen) Fragen eine Antwort zu finden, weshalb auch er seelische Störungen entwickelt. Die Mutter ist ebenso mit der ganzen Situation schier überfordert, obwohl sie es sehr gut mit ihrem Mann und den Kindern meint ...

    Auch wenn man es nicht wahrhaben möchte, so waren der Vater und der ältere Sohn sich sehr, sehr ähnlich ... Und es ist zu wünschen, dass Klas es schafft, seinen Weg selbst zu bestimmen und ihn auch konsequent zu gehen, damit ihm nicht dasselbe Schicksal ereilt, wie das seines Vaters. In dieser Beziehung wäre es gesund, egoistisch die eigenen Ziele zu verfolgen, auch mit dem Risiko, den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern zu gefährden. Kinder sind nicht auf der Welt, um die Sorgen der Eltern zu bewältigen …

    Insgesamt wurden die menschlichen Schwächen aller ProtagonistInnen hier in diesem Buch sehr differenziert und authentisch dargestellt und die Sprache fand ich recht kreativ und fantasievoll gewählt ...

    Die Rezension scheint ein wenig lang geraten zu sein, aber ich konnte nicht loslassen von den Figuren dieser romanhaften Erzählung. Sie haben mich sehr beschäftigt.

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