Die langen Abende: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die langen Abende: Roman' von Elizabeth Strout
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die langen Abende: Roman"

In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Und doch enthalten die Geschichten über das Leben der Menschen dort die ganze Welt. Da ist Olive Kitteridge, pensionierte Lehrerin, die sich auch mit siebzig noch in alles einmischt, so barsch wie eh und je. Da ist Jack Kennison, einst Harvardprofessor, der ihre Nähe sucht. Beide vermissen ihre Kinder, die ihnen fremd geworden sind, woran Olive und Jack selbst nicht gerade unschuldig sind … Ein bewegender Roman, der von Liebe und Verlust erzählt, vom Altern und der Einsamkeit, von Momenten des Glücks und des Staunens.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
EAN:9783630875293

Rezensionen zu "Die langen Abende: Roman"

  1. Ich liebe Olive!

    Olive Kittridge ist wieder hier und sie ist alt geworden. In Crosby, Maine vergehen die Tage und vor allem die Abende langsam. Doch nach dem Tod ihres ersten Ehemannes Henry hat Olive in dem ebenfalls verwitweten Jack Kennison einen neuen Gefährten gefunden.
    Die langen Abende heißt das Sequel zu Mit Blick aufs Meer. Elizabeth Strout hat auch in diesem Roman einzelne Episoden aus dem Alltag der Menschen in der kleine Stadt Crosby lose aneinandergehängt. Was die kleinen alltäglichen Geschichten verbindet, ist die mehr oder weniger starke Präsenz der ehemaligen Lehrerin Olive Kittridge.
    „Diese langen Abende, sie waren so lang und schön, es könnte einen verrückt machen.“, sagt Jack und genießt das Abendrot.
    „Die Abende nahmen dieser Tage kein Ende, dabei wusste sie noch, wie sie die langen Abende immer geliebt hat.“, so denkt Olive, als sie allein durch ihr Haus stromert.
    „Olive again“ heißt dieses Buch mit dem Originaltitel. Ein Titel mit zwei Gesichtern. Ja, da ist eine große Freude beim Lesen, Olive ist wieder da. „Schon wieder Olive!“, mögen viele Bewohner Crosbys denken.
    Und – meine Herren - Olive hat nicht nur ein Gesicht. Sie ist so ein vielschichtiger Charakter. Nach außen hin schroff, süffisant, manchmal fast ein bisschen bösartig. Aber trotz aller Schubladen, in die sie gerne fein säuberlich ihre Mitmenschen steckt, sie kennt ihre Fehler, mit dem Altern immer mehr. Aber genau dort, wo keiner hinschauen mag, ist Olive tatkräftig vorort, stellt sich gegen das Unglück, gibt Beistand oder redet einfach nur mal Tacheles.
    Das Leben hat so viele Facetten. Elizabeth Strout schreibt so nahe am Menschen. Olive ist so nahe an mir selbst, dass es beim Lesen oft schmerzt.
    „Olive, könntest du bei mir bitte nicht ganz so olive-ig sein, auch wenn du‘s bei andern dann umso mehr bist? Weil ich dich liebe und uns nicht mehr viel Zeit bleibt.“
    Diese langen Abende sind gefüllt mit Wehmut und Witz. Die Liebe im Alter ist kein schmachtiger Kitsch. Da geht es schon mal um dicke Bäuche und Inkontinenz. Die verstorbenen früheren Ehepartner nehmen noch Raum ein. Persönliche, finanzielle, politische „Altlasten“ werden nicht einfach so aufgegeben.
    Im Grunde ist das Fazit zu diesem Buch ganz einfach: ich liebe Olive Kittridge!

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  1. Mit Weisheit, Witz und Wehmut

    Der vorliegende Roman, dessen zentrale Figur, die störrische alte Dame, Mrs Kitteridge ist, Namenspatronin des Romans (Originaltitel), beschäftigt sich unter anderem damit, hinter die Fassaden zu schauen. Vordergründig geht es allen gut, aber wenn man genauer hinschaut, hat jeder in dem kleinen Küstenstädtchen im Bundesstaat Maine, in dem die ehemalige Lehrerin wohnt, sein Päckchen zu tragen.

    Wieder einmal ist nicht einsehbar, warum der deutsche Roman einen anderen Titel hat als das Original. „Olive, again“. Das kann man doch wunderbar übersetzen.

    Obwohl durch Olive verbunden, die allmählich alt wird und zu ihrem Entsetzen feststellt, dass der Tod auch für sie vor der Tür steht, nach einem Herzanfall sogar unmittelbar mit seiner Knochenhand winkt, wo sie doch eigentlich, tief in ihrem Inneren sich immer für unsterblich gehalten hat (wie wir alle), ist der neue Roman von Elizabeth Strout "nur" ein Episodenroman. Außerdem ist er die Fortsetzung von „Olive Kitteridge“, dem Roman, der bei uns den Titel trägt: „Mit Blick aufs Meer“. Es tauchen also, vermutlich, alte Bekannte auf, wenn man „Mit Blick aufs Meer“ gelesen hat.

    Olive, die die Menschen eigentlich kennen sollte, war sie doch viele Jahre lang Pädagogin, gefällt der Leserschaft ungemein, weil sie immer noch zu verblüffen ist. Auch sie ist ein Opfer ihrer Vorurteile. Aber sie ist auch ein Mensch, der dazulernt, der gelegentlich eine erstaunliche Offenheit an den Tag legt und in ihrer Selbsterkenntnis zunimmt. Allerdings deprimiert es sie, wie ihr falsches Selbstbild allmählich zerfällt.

    Ist sie ein Leben lang eine unbequeme Person gewesen, die das, was sie für die Wahrheit hält, anderen ins Gesicht sagt, kommt sie ihren eigenen Lebenslügen immer mehr auf die Spur und muss seufzend bekennen, ich weiß, dass ich nichts weiß. Das sagt sie natürlich anders. Sehr viel hübscher, witziger. Stroutmässig eben!

    Dieser Roman ist nicht wirklich traurig, obwohl er das Ende des Lebens und vor allem die diesem Ende vorangehenden Beschwerlichkeiten ins Auge fasst, körperliche Schwäche, Einsamkeit, Depressionen, Vergesslichkeit bis zum Verlust der Persönlichkeit und, im besten Sinne, Selbsterkennntis. Denn der Leser darf öfters herzhaft lachen, wenn Olive eine ihrer verblüffenden Erkenntnisse hat und wieder einmal ihr Selbstbild zurechtrücken muss. Oder wenn Olive ihr Schicksal dann doch mit beissendem Humor annimmt. Oder es wenigstens versucht. Oder sagen wir es anders, dieser Roman ist nicht hauptsächlich traurig.

    Sind wir nicht alle, mehr oder weniger Olive, keineswegs die guten Mütter, die wir anstreben zu sein, selfish, mäßige Ehefrauen, sich dem Klatsch ergebende Nachbarinnen – die Mannsleute haben ihre Affären, vergraben sich in ihrer Schweigsamkeit oder verbarrikadieren sich in ihren Hobbies.

    Und am Ende, nachdem sie endlich tot und begraben sind, wird das Bild der Lebenspartner verklärt. So sehnt sich Jack nach Betsy und Olive nach Henry. Obwohl sie sich nicht wenig über deren Ticks und Unzulänglichkeiten geärgert haben. Sie entweder betrogen haben oder sie links liegen ließen. Erst jetzt, nachdem sie nicht mehr verfügbar sind, erkennen die beiden, den wirklichen Wert ihrer früheren Partner und was sie ihnen bedeutet haben.

    Worüber schreibt Elizabeth Strout also? Darüber, wie das Leben ist. Darüber, dass das Leben schön ist. Aber auch lächerlich. Schmerzhaft. Und wir wissen so wenig darüber. Egal, wie alt wir werden. Lassen Sie mich die gute alte Bibel zitieren: "Unser Wissen ist Stückwerk". Aber dann denkt Olive doch, dass ihr Leben, verglichen mit anderen Schicksalen, gar nicht so übel war. Wenn das nicht versöhnlich stimmt!

    Fazit: Ein Roman voller Witz und Weisheit und Wehmut.

    Kategorie: Gute Unterhaltung.
    Verlag: Luchterhand, 2020

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  1. Weitermachen

    "Ein Rätsel, diese Welt. Noch war sie nicht mit ihr fertig." ("Mit Blick aufs Meer", S. 352)

    Die letzten Sätze aus Elizabeth Strouts Erzählband "Mit Blick aufs Meer" aus dem Jahr 2008, ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis 2009, ließen eine Fortsetzung offen. Nun, 2020, ist es endlich so weit. In "Die langen Abende", Originaltitel "Olive again" (2019), erfahren wir, wie es im fiktiven Städtchen Crosby, Maine, und insbesondere mit Olive Kitteridge weitergeht. Man muss den Vorgängerband nicht kennen, allerdings hat es mir besonders viel Spaß gemacht, beide Bücher nacheinander zu lesen und Vertrautes wiederzuentdecken.

    Späte Jahre
    Olive ist alt geworden. Die ehemalige Mathematiklehrerin spaltet noch immer ihre Mitmenschen. Während die einen sie für oder gerade wegen ihrer unverblümt ehrlichen Direktheit mögen oder zumindest schätzen, ist sie für andere ein „alter Giftzahn“, für ihre Schwiegertochter eine Narzisstin.

    Der Einsamkeit kann sie mit ihrem zweiten Ehemann Jack Kennison noch einmal entrinnen, kein Neuanfang, wie sie betont, vielmehr ein Weitermachen. Zwar ist der ehemalige Harvard-Professor in ihren Augen ein Snob und seine republikanische Gesinnung geht der überzeugten Demokratin, die Trump für einen „orangehaarigen Kotzbrocken“ hält, gegen den Strich. Doch Olive kann inzwischen auch mal den Mund halten und manch einer von Jacks snobistischen Einfällen – der Besuch der Fußpflege oder der Flug in der Businessklasse – erweist sich unerwartet als Zugewinn an Lebensqualität. Auch für Jack ist die Verbindung ein überraschender Glücksgriff, jedenfalls dann, wenn Olive nicht gerade zu „olive-ig“ ist:

    "Nichts davon hätte er sich je träumen lassen. Dass sie so sehr Olive sein könnte, dass er selbst so bedürftig sein könnte; nie im Leben hätte er es für möglich gehalten, seine letzten Jahre auf solche Art mit solch einer Frau zu verbringen.
    Die Sache war, bei ihr konnte er er selbst sein." (S. 181)

    Erst als die acht gemeinsamen Jahre mit Jacks Tod enden, fühlt sich die 82-Jährige wirklich alt und einsam:

    "Es war, als hätte sie – ohne sich dessen bewusst zu sein – ihr Leben lang vier stabile Räder unter sich gehabt, und jetzt plötzlich eierten sie alle vier und drohten jeden Moment abzufallen. Sie wusste nicht mehr, wer sie war oder was aus ihr werden sollte." (S. 315)

    Doch Olive wäre nicht Olive, wenn sie nicht trotz eines Herzinfarkts, des Umzugs ins Heim und der verhassten Alte-Leute-Windeln weitermachen würde.

    Kleine und große Lebenskatastrophen
    Auch der neue Erzählband umfasst wieder 13 Episoden über große und kleine Lebensdramen, deren verbindendes Element Olive Kitteridge ist. Nicht alle haben mir so ausnehmend gut gefallen und sind mir so nahegegangen wie „Licht“ mit der krebskranke Cindy Coombs, für die nur Olive mit ihrer schlagenden Ehrlichkeit die richtigen Worte findet. Herzlich gelacht habe ich bei „Geburtswehen“ über Olives Qualen bei einer in ihren Augen „schwachsinnigen“ Babyparty. Ihr Part kommt erst, als eine Teilnehmerin überraschend niederkommt und praktische Hilfe gefragt ist.

    Wer "Mit Blick aufs Meer" mochte, wird sich garantiert auch mit der ebenso leichtfüßigen, humorvollen und empathischen Fortsetzung gut unterhalten, auch wenn mir nicht alle Geschichten gleichermaßen gefallen haben. Ich jedenfalls weiß nun endgültig, dass ich die scharfzüngige, eigenwillige, pragmatische Olive mag, wenn auch mit gelegentlichen Bauchschmerzen.

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  1. 5
    14. Jun 2020 

    Ein Wiedersehen mit alten Bekannten

    Olive Kitteridge ist wieder da. Jene unvergessliche Heldin aus Elizabeth Strout’s Roman „ Mit Blick aufs Meer“, für den sie damals mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde.
    „Olive, again“, so heißt das neue Buch im Original, was nun unter dem Titel „Die langen Abende“ auf Deutsch vorliegt.
    Wir sind wieder in der fiktiven Kleinstadt Crosby an der Küste von Maine. Olive ist mittlerweile Anfang siebzig, da lernt sie Jack Kennison, einen ehemaligen Harvard- Professor, kennen. Die beiden verbindet einige Gemeinsamkeiten. Sie sind beide viel zu dick, beide haben ihre langjährigen Ehepartner verloren und beide haben ein eher problematisches Verhältnis zu ihren erwachsenen Kindern. Olive hat bei Sohn Christopher in der Vergangenheit vieles falsch gemacht und auch jetzt noch verläuft ein Familientreffen mit ihm und seiner Frau und den vier Kindern nicht ohne Störungen..
    Jack dagegen kommt mit der Homosexualität seiner Tochter nicht zurecht.
    Jack und Olive nähern sich vorsichtig einander an, heiraten schließlich. Beide wissen um die Fehler, die sie in ihrer ersten Ehe gemacht haben und wollen es nun besser machen. Zitat Olive: „ Aber wir sind beide so alt, dass wir ein paar Dinge gelernt haben,...Hauptsächlich, wann man besser den Mund hält.“
    Doch das fällt Olive in vielen Situationen schwer.
    Der Aufbau des Buches ist der gleiche wie beim Vorgänger. Es gibt wieder Erzählungen mit wechselnden Protagonisten. In manchen steht Olive im Mittelpunkt, bei anderen taucht sie garnicht oder nur am Rande auf. Aber sie verbindet als zentrale Figur die einzelnen Episoden zu einem geschlossenen Ganzen.
    In einer Geschichte, die mich besonders berührt hat, besucht Olive eine krebskranke Frau Mitte Fünfzig. Hier zeigt es sich schön, wie gut sich Elizabeth Strout in die Gefühlslagen anderer Menschen versetzen kann. Sie zeigt die wechselnden Stimmungen, die ein Todkranker hat, die Wut, die Angst vor dem Tod, die Sorgen um die Familie. Dazu kommen die Angehörigen, die die Schwere der Krankheit nicht wahrhaben wollen. Da beweist Olive mal wieder, dass sie die richtigen Worte finden kann. Sie spricht nicht davon, dass alles wieder gut werden wird, sondern redet von der Angst vor dem Sterben, die jeder Mensch hat. Aber „ ...selbst wenn Sie sterben - die Wahrheit ist doch, wir anderen sind nur ein paar Schritte hinter Ihnen. Zwanzig Minuten hinter Ihnen, so sieht‘s doch aus.“
    Am Anfang des Buches ist Olive 73, am Ende wird sie über 80 sein. Sie wird einen Herzinfarkt überlebt haben und ihren zweiten Mann begraben. Am Schluss wohnt sie in einem Seniorenheim. Das Buch kreist allein schon deshalb vor allem um die Themen Alter, Krankheit und Tod. Dabei zeigt uns die Autorin schonungslos und bis ins Detail, was es heißt, alt zu sein. Trotzdem deprimiert die Geschichte nicht, dafür sorgt Olive‘s trockener Humor, der immer wieder aufblitzt.
    Olive ist auch in diesem Roman nicht immer sympathisch, aber sie ist milder geworden, mit sich und den anderen. Auch wenn nicht alle Geschichten das gleiche Niveau haben, so sind „ Die langen Abende“ doch ein wahres Lesevergnügen, noch mehr für die Leser, die den Vorgängerband kennen. Ein unterhaltsames Buch voller Lebensklugheit und Trost.

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