Die Diplomatin

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Diplomatin' von Lucy Fricke
4.55
4.6 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Diplomatin"

Fred ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Konsulin. Eine Frau, die eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, überall und nirgends zu Hause. Dann jedoch, in Montevideo, scheitert sie erstmals in ihrer Karriere. Sie wird versetzt ins politisch aufgeheizte Istanbul, ihrer bisher größten Herausforderung. Zwischen Justizpalast und Sommerresidenz, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Affäre und Einsamkeit stößt sie an die Grenzen von Freundschaft, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Idee. In ihrem fulminanten, so komischen wie bitteren neuen Roman erzählt Lucy Fricke von einer Diplomatin, die den Glauben an die Diplomatie verliert – und das, was in ihrem Beruf das Wichtigste ist: die Geduld.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag: Claassen
EAN:9783546100052

Rezensionen zu "Die Diplomatin"

  1. 4
    29. Jun 2022 

    Ein Schmöker

    Fred hat es geschafft. Sie ist die erste in der Familie, die studiert hat, Jura. Und sie hat noch etwas geschafft, sie ist Konsulin im diplomatischen Dienst. Mit knapp Fünfzig, eine steile Beamtenkarriere. Ihr Einsatz in Montevideo ist so schön, dass es eher langweilig ist. Doch als eine deutsche Touristin stirbt, fühlt es sich wie ein Versagen an. Sieht das auch ihr Arbeitgeber so? Jedenfalls wird sie nach Istanbul versetzt. Das liegt jedenfalls mehr am Geschehen. Ein Fortschritt allerdings, der sich als trügerisch erweisen kann. Das muss Fred ziemlich schnell feststellen als sie versucht, einen türkischstämmigen jungen Mann mit deutschem Paß vor dem Gefängnis bewahren will.

    Ein wenig erinnert diese Diplomatin an die TV-Diplomatin. Auch sie mischt sich ein, hat Ideale und eine gewisse Vorstellung vom diplomatischen Dienst. Allerdings kommt Fred nicht umhin zu merken, dass sich ihre Vorstellungen nicht immer in der Wirklichkeit widerspiegeln. Schon bei dem Vorfall in Montevideo, wo sie sich etwas unglücklich anstellt, spürt sie einen kleinen Knacks. Richtig auf die Probe gestellt werden ihre diplomatischen Fähigkeiten, die sie am liebsten manchmal für deutliche Worte über Bord werfen würde, jedoch in Istanbul, wo die Politik entscheidet, wer als Terrorist angesehen wird.

    Ein Schmöker, sagt Elke Heidenreich. Und das ist natürlich ein Grund, das Buch sofort in die Hand zu nehmen, welches einem gerade bei der Bücherei zwischen die Finger geraten ist. Auch wenn man sich unter einem Schmöker vielleicht etwas anderes vorstellt, ist dieser Roman doch sehr spannend. Für einen Schmöker mangelt es ein wenig an Leichtigkeit und undiplomatischer Krimihandlung. Dafür bekommt man einen interessanten Einblick in den diplomatischen Dienst und einen Eindruck von den kafkaesken Verhältnissen in einem gewissen Land, wenn es darum geht, unliebsame Menschen weg zu sperren. Natürlich entscheiden dann nicht Tatsachen über den Status, sondern der politische Wille. Dass die Diplomatin beginnt, an ihrem Beruf zu zweifeln, ist irgendwie kein Wunder. Ein Stück möglicher Wirklichkeit mal aus einer ganz anderen Perspektive. Man kann gut nachvollziehen, dass das Buch Elke Heidenreich gefallen hat.

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  1. 3 Sterne

    Klappentext:

    „Fred ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Konsulin. Eine Frau, die eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, überall und nirgends zu Hause. Dann jedoch, in Montevideo, scheitert sie erstmals in ihrer Karriere. Sie wird versetzt ins politisch aufgeheizte Istanbul, ihrer bisher größten Herausforderung. Zwischen Justizpalast und Sommerresidenz, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Affäre und Einsamkeit stößt sie an die Grenzen von Freundschaft, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Idee.“

    Ja, Fred ist nicht nur Diplomatin, sie sollte auch Diplomatie bei sich selbst zeigen und anwenden. Im Buch „Die Diplomatin“ lernen wir Fred kennen. Um sie kurz zu beschreiben: sie ist eine etwas verkappte Existenz. Sie wird aus ihrer kleinen, beruflichen Welt gerissen und das ganze Kartenhaus stürzt durch Montevideo zusammen. Istanbul kommt dann als nächstes. Fred steht neuen Herausforderungen gegenüber in einem Land, wo es brodelt. Autorin Lucy Fricke hat mit ihrer Protagonistin eine vielschichtige Person geschaffen die man erstmal verstehen muss. Fricke baut Komik und Humor aber auch das knallharte Leben zusammen und dabei ist dieser Roman das Ergebnis. Zugegeben ich hatte mehr erhofft, dacht, ich würde etwas mehr gefordert werden beim lesen aber dem war nicht so. Die Geschichte rund um Fred ist nicht schlecht aber auch kein Kracher. Freds Leben ist kein einfaches. Wir erfahren so einiges aus ihrer beruflichen Laufbahn aber auch viel Privates. Eine gesunde Mischung um den Menschen zu verstehen über den wir lesen. Ab der Hälfte des Buches ebbte aber der Schwung der Geschichte ab. Fricke verdruselt sich in ausschweifenden Aussagen und zieht einige Parts unnötig in die Länge. Es war schon ein wenig mühsam da dann noch am Ball zu bleiben. Genau deshalb vergebe ich 3 von 5 Sterne. Wie bereits gesagt war die Sprachwahl und der Ausdruck recht gekonnt zusammengesetzt. Beschreibungen wurden immer wieder versucht realitätsnah zu zeichnen um der Geschichte einen festen Rahmen zu geben. Fazit: die Story war ok aber mehr auch nicht.

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  1. Schmerzvolle Ernüchterung

    Im Angesicht weltweiter Krisenherde, Syrien, der Jemen, Afghanistan oder jüngst die Ukraine, bleiben Zweifel an den Erfolgsaussichten der Diplomatie nicht aus. Dass auch Diplomatinnen und Diplomaten verzweifeln, wenn sie trotz hoher Motivation und exzellenter Ausbildung an den Grenzen ihrer Profession zerschellen, zeigt Lucy Fricke an ihrer Protagonistin Friederike Andermann, genannt Fred, in ihrem neuen Roman "Die Diplomatin".

    Zu Beginn scheint alles im Lot:

    "Vor dem Fenster knatterte die deutsche Flagge im Wind." (Anfangssatz S. 9) 

    Nach fast 20 Jahren im Auswärtigen Dienst hat Fred mit knapp 50 ihren ersten Posten als Botschafterin in Montevideo, ein Aufstieg, der nicht zuletzt dem Streben der Behörde nach einer höheren Frauenquote zu verdanken ist. Als Kind einer alleinerziehenden Kellnerin aus einem Hamburger Arbeiterviertel musste sie hart um den Aufstieg kämpfen und auf Partner, Kinder, Haus und Garten verzichten. Während die Botschaftergattin als Typus verbreitet ist, gilt der „MAP“, „mitausreisender Partner“, der seiner Frau alle paar Jahre in ein anderes Land folgt und auf eine eigene Karriere verzichtet, als seltene Spezies.

    Der Karriereknick
    In Uruguay wartet auf Fred ein vermeintliches Paradies, Konflikte sind unwahrscheinlich und die größte Herausforderung besteht in der Ausrichtung des jährlichen Nationalfeiertags:

    "Ich hatte mich für diesen Beruf entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Und jetzt hatte ich eine geschlagene Stunde über Grillfleisch und Bratwürstchen diskutiert." (S. 15)

    Den Rest der Zeit feiert man die Nationalfeiertage anderer Nationen:

    "Ich stehe da rum und bin nur Deutschland." (S. 18)

    Doch dann wird es schneller ernst als gedacht, eine vermisste Touristin ist ausgerechnet die Tochter einer deutschen Mediengröße und Freds stetig ansteigende Karrierekurve, für die sie ihr Privatleben geopfert hat, knickt ab.

    Bewährungsprobe auf rutschigem Parkett
    Nach strapaziösen Wochen und einer Abberufung ins Krisenreaktionszentrum der Zentrale wird eine veränderte Fred Konsulin in Istanbul und damit zuständig für deutsche Staatsangehörige in der Türkei, eine schwierige Aufgabe auf rutschigem Parkett in einem autokratischen Land:

    "Schon beim Wort Dialog stellten sich bei mir inzwischen die Nackenhaare auf. Immerzu sprach man vom Dialog, während in Wahrheit die türkischen Behörden nicht mal mehr ans Telefon gingen." (S. 84)

    Angesichts einer willkürlich in einem türkischen Frauengefängnis inhaftierten deutsch-kurdischen Kunsthistorikerin, ihres unter Hausarrest stehenden Sohnes und eines per Haftbefehl gesuchten deutschen Journalisten, der sich als „diplomatische Krise auf meine Bettkante gesetzt hatte (S. 152)“ verliert Fred zunehmend die Geduld, was einer Berufsunfähigkeit gleichkommt. Das Wissen um die Machtlosigkeit ihres hohen Amtes lässt sie an der Diplomatie verzweifeln und Maßnahmen in Betracht ziehen, die ganz und gar nicht Teil ihres diplomatischen Instrumentenkastens sind…

    Ein Roman der Stunde
    "Die Diplomatin" ist ein durch und durch gelungener Roman: politisch, hochaktuell, spannend, literarisch, in zahlreichen Gesprächen mit Angehörigen des diplomatischen Dienstes und während eines Stipendien-Aufenthalts vor Ort hervorragend recherchiert, originell in Thematik und Handlung und dabei höchst unterhaltsam. Sprache und Materie sind auf das Notwendige reduziert. Der anfangs humorvolle Ton, bei dem ich immer wieder herzlich lachen musste, wird zunehmend ernster und nachdenklicher, ohne auf Ironie und Lakonie zu verzichten. Selbst die Flagge scheint am Ende entmutigt:

    "Hinter dem Rauch wehte schlaff die deutsche Flagge im Wind." (Schlusssatz S. 254)

    Unbedingt lesen!

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  1. 5
    17. Mär 2022 

    Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Witz

    Friederike Anderman, genannt Fred, eine alleinstehende Frau Ende Vierzig, hat es weit nach oben gebracht. Noch dazu mit ihrem Hintergrund: „ Tochter einer alleinerziehenden Kellnerin, aufgewachsen im Hamburger Arbeiterviertel“. Sie ist Botschafterin in Montevideo. Ihre Motivation war es, etwas bewirken zu können. Stattdessen ist sie damit beschäftigt, das Fest zum Tag der deutschen Einheit zu organisieren.
    Doch dann verschwindet eine junge Deutsche und Fred nimmt die Sache anfangs nicht ernst genug. Aber die Mutter der Entführten ist eine mächtige Verlegerin in Deutschland und als ihre Tochter nur noch tot aufgefunden wird, lässt sie ihren Einfluss spielen und Freds Karriere bekommt einen ersten Knacks.
    Zwei Jahre später und einige Illusionen ärmer ist Fred Konsulin in Istanbul. Hier bewegt sich die Diplomatie auf dünnem Eis. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind nicht unproblematisch und der türkische Staat wünscht keinerlei Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Das bekommt Fred zu spüren, als sie sich für eine in Haft sitzende deutsch- kurdische Künstlerin und deren Sohn einsetzt. Dann gerät ein befreundeter deutscher Journalist ins Visier der türkischen Behörden, seine Wohnung wird durchwühlt, er muss um seine Freiheit fürchten. Auch hier kann Fred in ihrer Position wenig ausrichten. Nun entscheidet sie sich gegen den Amtsweg und handelt auf unkonventionelle Weise.
    Lucy Fricke konnte mich schon mit ihrem letzten Buch „Töchter“ völlig begeistern und ihr neuer Roman ist mindestens genauso gut. Es ist ein ausgesprochen politischer Roman. Stellt er doch die Frage nach dem Nutzen und den Grenzen von Diplomatie und dem „ diplomatischen“ Umgang mit Unrechtsstaaten. Das ist im Moment, wo wir das Gefühl haben, die Diplomatie sei an ihrem Ende angekommen, äußerst aktuell.
    An vielen Episoden illustriert Lucy Fricke den Alltag im Auswärtigen Amt, erzählt von den Herausforderungen, den unbefriedigenden Mitteln und den Rückschlägen in diesem Job. Denn entgegen der landläufigen Meinung, die Vertreter dort könnten nichts als „ lachen, lügen, Lachs fressen“, gibt es einiges zu tun.
    Mit der Ich- Erzählerin Fred hat Lucy Fricke eine Figur geschaffen, der man sehr nahe kommt. Sie ist eine toughe, selbstbewusste Frau, die mit genügend Ironie auf sich und ihre Umgebung blickt. Der Ton im ersten Teil ist leicht und humorvoll, während die Geschichte in Istanbul an Ernst und Tiefe gewinnt. Angesichts den Rechtsverletzungen in der Türkei erlebt Fred ihre eigene Hilflosigkeit immer stärker und sie setzt sich über die Regeln ihres Amtes hinweg. Nicht ohne Risiko, sich und ihre Position in Gefahr zu bringen. Das macht sie mir sympathisch.
    Lucy Fricke erzählt, wie gewohnt, mit viel trockenem Humor. Der Roman ist voll mit großartigen Beobachtungen, einem genauen Blick für Details und amüsanten Dialogen. Dabei gelingt ihr die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Witz.
    „ Die Diplomatin“ ist ein spannender, unterhaltsamer und gleichzeitig informativer Roman, der auch sprachlich und literarisch überzeugt. Für mich eines der Lesehighlights in diesem Jahr.

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  1. Zwischen Amt und Selbst

    Was soll ich sagen? Toller Roman, gute Story, interessantes Setting – ich habe mich nicht eine Sekunde gelangweilt und würde sofort einen zweiten Band von „Die Diplomatin“ lesen, wenn es denn einen gäbe.
    Lucy Fricke begleitet „Fred“ Andermann auf ihrem nicht sehr glatten Karriereweg von ihrem ersten Posten als deutsche Botschafterin in Montevideo, den sie aufgrund eines unkontrollierbaren Kriminalfalls sehr schnell wieder verliert, zu ihrem nächsten Einsatz als Konsulin in Istanbul mit einem nicht nennenswerten Zwischenstopp in der Zentrale in Berlin.

    Der Roman pflegt einen ganz eigenen, ungemein lesbaren Ton. Fred wird als Erzählinstanz mit einer unverwechselbaren Stimme ausgestattet, die ausgesprochen authentisch und plausibel, zwischen Humor und Resignation schwankend, auf den Punkt genau die Stimmung eines Posteninhabers des „Amtes“ einfängt. Dominiert im ersten Teil ein großartiger, trockener Humor, der die ersten Kapitel gleichsam zu einem Schmunzelfeuerwerk macht, ändert sich nur Freds Einstellung, sondern auch ihre Erzählweise sehr glaubhaft im in Istanbul spielenden Teil. Allein anhand ihrer Stimme, der Art ihres Berichtens, kann man erkennen, wieviel Kraft, Energie, Einsamkeit und Enttäuschung ihr Job, dem sie ihr Leben verschrieben hat, kostet. Zwar blitzt auch hier immer wieder der ihr eigene Witz auf, aber die politischen Realitäten der Türkei lassen nicht viel Raum für Vergnügen.
    Im Istanbul-Teil kann der Leser einen spannenden und aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen der Diplomatie, ihre Möglichkeiten und vor allem ihre Grenzen im Angesicht eines immer repressiver agierenden Systems werfen, der, wenn auch fiktiv, absolut nachvollziehbar und denkbar inszeniert wird. Die Seiten fliegen nur so vorbei, während Fred an einer gegen alle Grundsätze des Auswärtigen Amtes verstoßenden Lösung zur Befreiung unrechtmäßig Inhaftierter arbeitet. In diesen Kapiteln verfügt der Roman fast über eine Handlungskurve, die einem Thriller entnommen sein könnte, wird aber niemals reißerisch oder überzogen, die Handlung bleibt stets dem Grundsatz der Realitätsnähe treu. „Die Diplomatin“ bietet beste Unterhaltung auf hohem Niveau und kommt vollkommen ohne Kitsch und Verklärung des angesehenen Jobs im Dienste Deutschlands aus. Ein absolut lesenswerter, angesichts der Thematik überraschend leichtfüßiger Roman, der humorvoll mit Resignation und Enttäuschung umgeht und sich insgesamt durch ein hohes Maß unterschwellig eingebrachter Ernsthaftigkeit auszeichnet.

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  1. Verdichtung und Atmosphäre.

    Kurzmeinung: Hat mich sofort überzeugt!

    Lucy Fricke hat einen höchst unterhaltsamen und gleichzeitig glaubwürdigen Roman darüber geschrieben, wie das Leben einer Botschafterin aussehen könnte. Unsere Heldin heißt Friederike Andermann, ist Deutsche, in ihren Fünfzigern und hat bereits einiges erlebt.

    Der Leser erfährt jedoch nicht alles. Ein wenig vom persönlichen und vom beruflichen Hintergrund, zum Beispiel wie schwierig es ist, eine Ehe aufrechtzuerhalten, wenn „der Mann plötzlich die Frau ist“. So etwas wird lakonisch mitgeteilt, nebenher, weder ausufernd noch larmoyant, das ist vergnüglich zu lesen, obwohl man den Frust der Diplomatin durchaus spürt.

    Der Kommentar:
    Wie Frauen einen höheren Preis bezahlen als ihre männlichen Kollegen, wenn sie im Beruf Erfolg haben und wie die banalsten Dinge im diplomatischen Dienst Gefahr laufen, bilaterale Konflikte auszulösen, davon erzählt „Die Diplomatin“. Die Kapitel sind kurz, Lucy Fricke hat die Geschehnisse geschickt verdichtet, in ihrem Roman gibt es keinen unnötigen Ballast. Und doch fehlt nichts. Atmosphäre und Verdichtung, das mag ich, alles Unnötige weglassen, das ist fast schon Kunst.

    Letzte Station Frau Andermanns ist die Türkei. Dort fordert ein unvorsichtiger und naiver Journalist das ganze diplomatische Geschick von Frau Andermann ein. Es geht um die Menschen, um die Reputation ihres Landes und nicht zuletzt steht ihre Karriere auf dem Spiel.

    Gekonnt auf Effekt, aber nicht auf Effekthascherei geschrieben, bietet Lucy Fricke einen Blick hinter die Kulissen des diplomatischen Dienstes. Gerade ihre kurze, prägnante Schreibe hat mich überzeugt. Ich habe mich keine Sekunde lang gelangweilt, bin betroffen von den Auswirkungen der türkischen Diktatur (obwohl wir das spätestens seit dem Fall Deniz Yüksel präsent haben) und teile den Humor der Autorin.

    Fazit: Besonders die Atmosphäre des Fremden kann Lucy Fricke mit ganz leichtem Federstrich vermitteln. Volle Punktzahl für diesen erfrischenden Roman, der auf wenigen Seiten alles hat, was ein gutes Buch braucht. So muss Unterhaltung sein.

    Kategorie: Beste Unterhaltung
    Verlag: Claassen, 2022

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  1. Aktuell und packend

    „Die Erleichterung darüber, dass ihm nichts passiert war, er jetzt nicht im Keller einer Polizeistation saß, spürte ich kaum, stattdessen die quälende Gewissheit, dass sich eine diplomatische Krise auf meine Bettkante gesetzt hatte, die sich so einfach nicht würde vertreiben lassen.“ (Zitat Seite 152, 153)

    Inhalt
    Die Endvierzigerin Friederike „Fred“ Andermann ist schon beinahe zwanzig Jahre im Amt. Zuvor war sie in Bagdad gewesen, ihr neuer Posten ist Montevideo, wo sie vor sechs Wochen als deutsche Botschafterin eingetroffen ist. Mitten in den Vorbereitungen für den Tag der deutschen Einheit erreicht sie ein Telefonanruf, Elke Büscher, eine bekannte Zeitungsherausgeberin, vermisst ihre Tochter Tamara, die als Reisejournalistin und Instragrammerin in Uruguay unterwegs ist. Reagiert Fred zu langsam? Nach einem „Heimatjahr“ im Kriseninterventionszentrum tritt sie ihren Posten als Konsulin in Istanbul an. Nun, ein weiteres Jahr später, taucht sie tief in die Beziehungen der deutschen und türkischen Geheimdienste ein. Man hat Bariş, den Deutschen mit kurdischen Wurzeln, gewarnt, in die Türkei zu reisen, doch seine Mutter Meral, ebenfalls mit deutschem Pass und bekannt für ihre Aktivitäten für kurdische Künstlerinnen und politisch Verfolgte, wartet im Gefängnis von Istanbul auf ihre Verhandlung. Nun darf auch Bariş Istanbul nicht mehr verlassen und Fred und Christoph, der Leiter der Rechtsabteilung, haben nun insgesamt drei brisante, diplomatisch sehr heikle Probleme: Meral, Bariş und den deutschen Journalisten Daniel, der durch seine Recherchen ebenfalls in den Fokus der türkischen Behörden geraten ist. Was kann die deutsche Diplomatie in Istanbul erreichen?

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Politik, diplomatische Beziehungen, um Demokratie, Freiheit, Recht, Gerechtigkeit und das Gegenteil davon.

    Charaktere
    Die Diplomatin Fred Andermann ist eine starke Frau, die für ihre Arbeit lebt. Sie hat sich vor vielen Jahren für die diplomatische Laufbahn entschieden, weil sie etwas bewirken wollte, Dinge verändern, zumindest aber sie verstehen. In den Jahren ist sie selbst, wie sie spürt, zu einer „Festung mit Sicherheitsgräben“ geworden, und während sie sich immer öfter fragt, ob sie zu viel gewollt hat, verliert sie den Glauben an die Kraft der Diplomatie.

    Handlung und Schreibstil
    Die Diplomatin schildert die Ereignisse in Montevideo und Istanbul als Ich-Erzählerin selbst. Dies sorgt für Intensität, durch ihre Gedanken werden die Konflikte mit und durch ihre Position immer offensichtlicher. Die Handlung verläuft chronologisch, ergänzende Details, die Fred als Ich-Erzählerin nicht wissen kann, ergeben sich aus den Dialogen. Interessante Schilderungen der Örtlichkeiten und der politischen Situation ergänzen die spannende Geschichte. Die klare Sprache zwischen humorvoll, einfühlsam und sehr kritisch liest man mit Vergnügen.

    Fazit
    Eine spannende, auch sprachlich überzeugende Geschichte, die durch die Ereignisse dieser Tage zusätzliche Brisanz erhält.

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