Der Verdacht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Verdacht: Roman' von Ashley Audrain
5
5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Verdacht: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag:
EAN:9783328601449

Rezensionen zu "Der Verdacht: Roman"

  1. Literarischer Psychothriller

    Mutterfreuden und die Opferbereitschaft von Müttern haben eine lange Tradition in der Literatur. Die Plackerei, die Selbstzweifel und die Einsamkeit junger Mütter werden dagegen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in Romanen thematisiert. Und Bücher über Mütter, die ihren eigenen Kindern von Anfang an nicht über den Weg trauen, gibt es nur ganz wenige. "Der Verdacht" ist eines davon. Blythe und Fox haben nach einer Phase heftiger, überzeugter Verliebtheit eine Familie gegründet. Mit der Geburt der Tochter Violet ändert sich die Beziehung der beiden. Violet ist ein Schreikind, strapaziert die junge Mutter aufs Äußerste und scheint sich nur beim Papa richtig wohlzufühlen. Blythe, die selbst keine Mutterliebe erfahren hat, möchte alles gern richtig machen, fühlt sich aber von der Tochter von Anfang an abgelehnt. Im Kindergarten und später in der Schule fällt Violet mehrfach durch aggressive Attacken gegen andere Kinder auf - aber nie so gravierend, dass es ernsthafte Hilfsangebote gibt. Man drückt beide Augen zu, Blythe bleibt mit ihren Ängsten allein bis zur Katastrophe, die zur Zerstörung der Familie führt (was bereits im Prolog angedeuetet wird).

    "Der Verdacht" ähnelt sowohl thematisch als auch in der Erzählstruktur dem berühmten, mit Tilda Swinton verfilmten Roman "Wir müssen über Kevin reden" von Lionel Shriver. Auch die Ich-Erzählerin Blythe wendet sich per "Du" an den Vater der gemeinsamen Tochter; übrigens ohne jeden Vorwurf, manchmal selbstbezichtigend und um Verständnis werbend. Der gleichmäßig liebevolle, herzenswarme Unterton dieser "Du"-Ansprachen ist ein großes Plus des Buches und lässt wohl keinen Leser kalt. Im Unterschied zu Lionel Shrivers Roman findet Ashley Audrain aber den Bogen bis zurück zu Blythes Großelterngeneration. Die Kapitel, die von Blythes Großmutter und danach ihrer Mutter handeln, sind nicht von Blythe, sondern in der dritten Person erzählt und zeigen auf, wie ungewollt und unverschuldet Ängste und Zweifel von einer Generation in die nächste getragen werden.

    In einem dem Buch vorangestellten Zitat von Layne Redmond heißt es: "Alle Eier, die sich in einer Frau in ihrem Leben entwickeln werden, bilden sich (...) in ihren Eierstöcken, während sie noch als vier Monate alter Fötus im Bauch ihrer Mutter schwimmt. Das bedeutet, dass unser zelluläres Leben als Ei im Schoß unserer Großmutter beginnt. (...) Wir schwingen im Rhythmus des Blutes unserer Mutter, noch bevor sie selbst geboren ist." Zu sagen, es handle sich hier um einen finsteren Roman, in dem die Sünden der Eltern, wie es in der Bibel heißt, an den Kindern heimgesucht werden, greift aber entschieden zu kurz. Das Buch zeigt, besonders im letzten Drittel, Chancen zur Selbstheilung auf. Es demonstriert an einem Gegenbeispiel, wie die Einsamkeit einer jungen Mutter mit dem Neugeborenen manchmal auch Schutzraum sein kann. Und, vor allem, es fordert immer wieder dazu auf, kritisch zu sein, die Dinge unvoreingenommen zu sehen, die eigene Sicht in Frage zu stellen. Denn Blythe, wird nach und nach klar, ist möglicherweise keine ganz zuverlässige Erzählerin.

    "Der Verdacht" ist ein äußerst kunstvolles, gelungenes Buch: sehr spannend zu lesen, mit großer stilistischer Eleganz und Einfühlsamkeit erzählt, psychologisch tiefschürfend und auf trickreiche Weise doppelbödig. Dicke Leseempfehlung, gern übrigens auch für Liebhaberinnen literarischer Psychothriller.

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  1. Intensive Chronografie einer komplizierten Mutter-Tochter-Bezieh

    Blythe liebt ihren Mann Fox. Beide haben sich im Studium kennengelernt, Fox hat einen einträglichen Job, Blythe versucht sich als Schriftstellerin. Beide leben glücklich in einer attraktiven Wohnung. Nun wünscht sich Fox ein Kind. Blythe eigentlich auch, aber sie hat Angst vor den Schatten ihrer Vergangenheit, denn sie wuchs als einziges Kind Ihrer lieblosen Mutter Cecilia auf, der sie gleichgültig war und die sie letztlich verlassen hat. Blythe empfindet diese Familienverstrickung als Ballast, fürchtet sich vor einer Schwangerschaft und davor, der Aufgabe als Mutter nicht gewachsen zu sein.

    Doch schließlich ist es soweit: Blythe lässt sich überzeugen und mit Vorfreude anstecken. Sie wird schwanger. Die Probleme beginnen jedoch während der Geburt und reißen danach nicht ab. Blythe ist zutiefst verunsichert, sie fühlt sich überfordert von dem kleinen Geschöpf, das ihre ganze Aufmerksamkeit braucht. Tochter Violet macht es ihrer Mutter auch nicht leicht. Sie ist ein Schreikind, macht die Nächte zum Tag und lässt sich nur von Vater Fox beruhigen. Blythe fühlt sich abgelehnt, empfindet die Tochter zunehmend als feindselig und berechnend, nimmt ihre Attacken persönlich und sieht sich deshalb in all ihren negativen Prophezeiungen bestätigt. Blythe zieht sich innerlich zurück, gibt das Kind in fremde Obhut. Doch sie hadert auch mit sich selbst, mit ihren negativen Gedanken. Warum kann sie nicht sein wie alle anderen Mütter?

    Als Violet in den Kindergarten kommt, häufen sich die Beschwerden. Es kommt immer wieder zu gewalttätigen, tückischen Attacken des Mädchens. Blythe schämt sich, sieht ihre eigenen Beobachtungen aber auch auf grausame Art von dritter Seite bestätigt. Fox blendet indessen sämtliche Negativberichte über Violet aus, er vergöttert sie und nimmt sie in Schutz.

    Diese Diskrepanz des Ehepaars wird unglaublich intensiv herausgearbeitet. Kann man Erzählerin Blythe trauen? Ist sie nicht im Grunde eine egozentrische Frau, die viel zu emotional ist, um objektiv zu sein? Es scheint andererseits unglaublich, wozu Violet in der Lage ist, wie sie andere mit ihrem engelsgleichen Gesicht und den langen dunklen Haaren manipulieren kann... Sie ist doch ein unschuldiges Kind, möchte man sagen.
    Als Leser wird man hin- und hergerissen in seiner Beurteilung. Zwangsläufig solidarisiert man sich mit Blythes erzählender Perspektive, die sich immer wieder selbstkritisch hinterfragt und aufrafft, um das Trennende zwischen sich und Violet zu überwinden. Man bekommt tiefen Einblick in Blythes zwiespältige Gefühle, in ihre Bemühungen um Harmonie und ihrem Streben nach einer Bilderbuchfamilie. Schließlich träumt sie von einem Neuanfang mit einem zweitem Kind, mit dem alles anders, alles besser werden wird. Doch stattdessen bahnt sich eine familiäre Katastrophe an…

    Dieses Buch ist ein Pageturner, der neben dem fesselnden Plot durch stilistische Feinheit glänzt. Die Ich-Erzählerin wendet sich an ein „Du“, womit sie Fox direkt anspricht und womit sie auch den Leser unmittelbar erreicht. Ergänzt wird diese Perspektive durch Rückblenden in Blythes sowie in Cecilias lieblose Kindheit. Ashley Audrain hat ihre Charaktere wunderbar ausgearbeitet. Jeder hat verschiedene Facetten, so dass man sich nicht komplett auf eine Seite schlagen kann. Es bleiben Zweifel an der Darstellung. Auch Blythe verhält sich im Verlauf des Romans seltsam, so dass man an ihrer psychischen Gesundheit zweifeln kann. Man erwartet gespannt die finale Auflösung.

    Die Autorin überzeugt auf ganzer Ebene mit ihrem Debütroman, der immer spannender wird, atemraubende Szenen bereithält und durch psychologische Tiefe brilliert. Er liest sich wie ein Thriller – Schockmomente inklusive. Es ist ein Buch, das einen auch Tage später nicht loslässt. Ich empfehle es allen Freunden subtiler, psychologisch dichter Spannungsromane. Man sollte nicht allzu zart besaitet sein, denn die Gräben, die sich hier auftun, sind tief und wirken überaus glaubwürdig.

    Dicke Lese-Empfehlung!

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  1. Herzzerreißend

    Dieses Buch ist bitterböse. Es spielt mit Gedanken, die man nicht haben sollte, nicht haben will und die niemand glaubt, selbst wenn man sie hat.

    Blythe ist verzweifelt, ihre Ehe am Ende. Hilflos muss sie zusehen, wie ihr Mann mit einer anderen glücklich ist, wie die Neue mit ihrem Mann und ihrer Tochter glückliche Familie spielt. Sie, die Neue, scheint sich wunderbar mit Violet zu verstehen. Auch das hat Blythe nie geschafft. Blythe und Violett hatten nie ein liebevolles Mutter-Tochter-Verhältnis. Obwohl Blythe wirklich versucht hat, eine gute Mutter zu sein, hat Violett sie immer abgelehnt.

    Blythe selbst kommt aus schwierigen Familienverhältnissen. Erbt man das? Wie die Mutter, so die Tochter? Und ist Violett etwa lieblos, weil sie das von ihrer Mutter geerbt hat oder ist Blythe einfach eine Rabenmutter?

    Herzzerreißend erzählt Blythe von ihrer Situation und wie es dazu kam. Tiefstes Leid spricht aus jeder Zeile und reißt den Leser mit. Das Buch fesselt maximal, trotzdem musste ich es immer wieder zur Seite legen, weil man es kaum aushält. Man wird tief hineingezogen in ein fieses psychologisches Dilemma und möchte doch auf keinen Fall in Blithes Situation sein.

    Dieses Buch ist schrecklich und faszinierend, es war eine einmalige Erfahrung, aber ich bin froh, dass es vorbei ist.

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