Der Nachtwächter: Roman

Rezensionen zu "Der Nachtwächter: Roman"

  1. Wem gehört das Land auf dem wir leben?

    !4,5 Sterne!

    Klappentext:
    „Kann ein Einzelner den Lauf der Geschichte verändern? Kann eine Minderheit etwas gegen einen übermächtigen Gegner, den Staat, ausrichten? »Der Nachtwächter«, der neue Roman der mit dem National Book Award ausgezeichneten Autorin Louise Erdrich, basiert auf dem außergewöhnlichen Leben von Erdrichs Großvater, der den Protest gegen die Enteignung der amerikanischen UreinwohnerInnen vom ländlichen North Dakota bis nach Washington trug…“

    Wie mag es wohl sein, wenn der eigene Großvater ein Indianer ist? Wenn man ganz besondere Gene in sich trägt? Autorin Louise Erdrich berichtet in diesem Buch von ihrem Großvater Thomas, Vorsitzender des Stammesrats, des Turtle Mountain Advisory Commitee. Die Welt der Stämme wird vom eigenen Land aus den Fugen gebracht, als plötzlich Worte wie „Eingliederung“ oder Terminierung fallen. Die Indianer sollen ihre Heimat aufgeben um das Land von ihnen zu befreien und dafür erhalten sie anderweitig einen Platz zum leben. Nein, wir befinden uns nicjt im Mittelalter sondern im Jahr 1953. Thomas geht Nacht für Nacht in seinem Job auch seiner Herkunft hinterher und versucht anhand von unzähligen Briefen, Protestschreiben gegen diese Taten vorzugehen. Wem gehört das Land? Warum wird man umgesiedelt, wenn man doch niemanden stört? Wer war zuerst hier? Was haben Ureinwohner überhaupt noch für eine Bedeutung? Wer gibt einem das Recht das eigene Land zu enteignen und anderen zur Verfügung zu stellen? Indianer sind doch keine Spinner! Sie haben das Land doch zudem gemacht! Unweigerlich kommen einem beim lesen die eigenen Gedanken in den Sinn und man kann Thomas nur zu gut verstehen warum er so agiert. Erdrich wählt hierfür die passenden Worten und hält einen geschmeidigen Lesefluss und Wortklang für den Leser bereit, der das eigene Denken und gleichzeitige Lesen ermöglicht. Manchmal liegt es in der Kraft eines Einzelnen etwas zu bewegen, das war schon immer so, aber manchmal braucht es auch ein paar mehr Stimmen. Thomas‘ Geschichte ist ein Meilenstein in der amerikanischen Geschichte und wirkt selbst heute noch nicht beruhigt oder gar abgeschlossen. Leider sind zu viele Parallelen selbst für die heutige Zeit im 21. Jahrhundert sichtbar und lassen immer wieder sie Frage aufkommen: Wem gehört das Land und wer hat das Recht dazu, die eigene Heimat neu auszurichten?
    Diese Geschichte ist ein extrem feinstimmiges Buch, das Geschichte enthält, einen nachdenklichen Blick auf die Gesellschaft freigibt und nachhallt. Da ich mich sehr viel mit den alten Indianer-Stämmen befasse, war dies ein sehr guter und authentischer Weitblick in eine längst verdrängte Thematik. Ein nachhallendes Buch mit besonderer Geschichte - 4,5 von 5 Sterne.

    Teilen
  1. Aufrüttelnd

    In unseren Breiten denkt man nicht darüber nach, was seit dem letzten Mohikaner mit Amerikas Ureinwohnern passiert ist. Dass sie in Reservate gesteckt wurden, hat man lose im Hinterkopf, auch wenn man es sich nicht vorstellen möchte. Dass aber selbst diese Reservate irgendwann als störend empfunden wurden, weil sie Land darstellten, auf das Restamerika keinen Zugriff hatte und dort noch immer Menschen lebten, die seltsame Gebräuche und seltsame Sprachen pflegten, weiß niemand.

    1953 ist das passiert. Mit den sogenannten Terminierungsgesetzen wollte man die verbliebenen Reservate ins restliche Amerika „eingliedern“, deren Sonderstatus mit allen dazugehörigen Rechten „emanzipieren“ und alle Indianer umsiedeln, um das Land anderweitig zu nutzen.
    Davon erzählt dieses Buch anrührend und eindringlich, angelehnt an die Geschichte des Großvaters der Autorin.

    Thomas Wazhashk arbeitet als Nachtwächter in der Lagersteinfabrik, um den Unterhalt für seine Familie zu verdienen. Gleichzeitig ist er aber auch Vorsitzender des Stammesrats, des Turtle Mountain Advisory Commitee. Als er liest, dass sein Stamm, der Turtle Moutain Band of Chippewa, für die sofortige Emanzipation vorgesehen wäre, kommt er ins Grübeln.

    Nacht für Nacht schreibt er Briefe, Protestbriefe, Beschwerdebriefe, Anträge, Nachfragen. Es kann nicht sein, dass sie damit durchkommen.

    Hier hat ein kleiner Mann durch Beharrlichkeit Geschichte geschrieben. Dieses absonderliche Ereignis wird hier anschaulich erzählt. Dazu bekommt man noch einen spannenden Einblick in indianisches Leben und Denken und die zahlreichen Probleme, die damit verbunden sind. Die Dorfgemeinschaft bietet skurriles Personal jeder Art, selbst Geister und Tiere spielen eine Rolle bei diesem noch immer naturnah lebenden Volk.

    Der Erzählstil ist schön, humorvoll und auch poetisch. Allerdings fallen immer wieder sperrige Textstellen auf, bei denen man stutzt.

    „Thomas hielt inne. Archilles Unkenntlichkeit am Ende, so ausgezehrt, jenseits des Hungers. In dem weißen Bett. Zwischen schroffen Bergen.“

    "Dann ließ er ihre Hände sinken und strebte ihr zu."

    "Wie sollten die Indianer ihre Eigenheit behaupten, wenn die Eroberer sie in die Arme schlossen und mit so etwas wie Liebe sich ans Herz pressten?"

    Bei so etwas frage ich mich, ob es unglücklich formuliert wurde oder ob es unglücklich übersetzt ist, vermute allerdings Letzteres bei einem Buch, das Preise verliehen bekommt. Vielleich sollte man besser das Original lesen.

    Trotzdem ist dieses Buch sehr lesenswert. Ein spannendes Stück Geschichte und ein aufschlussreicher Beitrag zum indianisch-amerikanischem Miteinander.

    Teilen