Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe

Buchseite und Rezensionen zu 'Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe' von Helga Schubert
4.35
4.4 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe"

Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon wird er palliativ umsorgt; und so wird der Radius des Paares immer eingeschränkter, der Besuch seltener, die Abhängigkeit voneinander größer. Kraftvoll und poetisch erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783423283199

Rezensionen zu "Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe"

  1. Ein grandioses Buch!

    !ein Lesehighlight 2023!

    Klappentext:

    „Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon palliativ umsorgt, wird sein Radius immer eingeschränkter, der Besuch weniger, die Abhängigkeiten größer. Entlang der Stunden eines Tages erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält, wie es ist, mit einem todkranken Menschen durch dessen Zwischenwelten zu wandeln. Und davon, wie Liebe zu Erbarmen wird. Die Texte mäandern in der gemeinsamen und der eigenen Vergangenheit, sind von zartem Humor und frei von Pathos. Eine rührende Liebeserklärung an den Mann an ihrer Seite und all die Dinge, die das Leben inmitten der Widrigkeiten des Alters lebenswert machen.“

    Autorin Helga Schubert ist mir durch viele andere wundervolle Bücher bereits ein Begriff. In meinem persönlichen Autoren-Ranking ist sie ganz weit oben, da sie immer den Kern der Sache trifft und Dinge benennt, vor denen man gerne davonläuft. Im Buch „Der heutige Tag - Ein Stundenbuch der Liebe“ zeigt sie dem Leser die begrenzte Zeit des Lebens auf und wie es ist, wenn man kurz davor steht aus dem Leben zu scheiden. Egal ob als Angehöriger oder Freunde, ist das zählen der Stunden in Schuberts Buch fast kaum auszuhalten. Sie schreibt unverblümt klar und offen und ja, sie trifft genau dort den Punkt wo es richtig schmerzt. Schubert meinte, es sei schwer in diesen Fällen noch selbst den Verstand zu behalten und ich kann ihr dabei nur zustimmen. Durch so einige persönliche Fälle ist es einfach nur grausam wenn man in den letzten Stunden dabei ist. Man kennt den Zeitpunkt des Ablebens nicht aber man weiß das es unausweichlich ist. Die Fragen nach dem Warum, Wieso, Weshalb kommen unaufhörlich mit großen Schritten und kleben an einem wie ein nerviger Kaugummi am Schuh. Schubert zeigt aber auch was es heißt tatsächlich zu lieben. Hier brachen bei mir alle Dämme, denn genau diese Beschreibungen sprechen mir tief aus dem Herzen. Jede Stunde zusammen muss man genießen, jede bescheidene Situation belächeln denn anders ist es nicht erträglich und Krankheiten bleiben vor der Tür. Diese zerstören selbst die stärkste Liebe nicht. Helga Schubert hat hier ein enorm wichtiges und so tiefgründiges Buch verfasst, welches mir tief unter die Haut ging. Dank einer guten Freundin (U.) bin ich auf dieses Buch aufmerksam gemacht worden und ihr unglaublich dankbar! Schubert ist ein Garant für grandiose Bücher mit extrem unliebsamen Inhalten. Sich davor zu verstecken gilt nicht, man muss sie betrachten und sich damit befassen, sonst laufen einen die Stunden nur so davon. Ich vergebe mir großer Ehrfurcht vor dieser Autorin 5 geniale Sterne!

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  1. Eine Liebesgeschichte

    „Der heutige Tag“ – das ist es, was zählt und das zeigt Helga Schubert nachdrücklich in ihrem Buch, das man wohl getrost, wie im Untertitel „Ein Stundenbuch der Liebe“ bereits angedeutet, als Liebesgeschichte bezeichnen darf. In sehr persönlichen und sehr reflektierten Episoden zeigt Helga Schubert ihre Vergangenheit und Gegenwart an der Seite von ihrer großen Liebe „Derden“ auf. Die – wenn überhaupt – nur äußerst lose verbundenen Passagen beschreiben offen und mitunter auch schonungslos das Leben mit einem Menschen, der allmählich den Kampf gegen das Alter und das Vergessen verliert.

    Durchzogen wird das Erzählen von einer grundlegenden Haltung der Liebe und Wertschätzung, der Anerkennung für die Person des anderen, von der Zuneigung, die man füreinander empfindet, der engen Verbundenheit, die Liebe und ein geteiltes Leben bewirken. Und so richtet Helga Schubert ihren Blick bei aller Belastung immer wieder auf das Positive und das Optimistische – dieses Buch ist ein hoffnungsvolles, das vor allem vom Glück berichtet, „seinen“ Menschen“ gefunden zu haben. Besonders aufschlussreich waren in diesem Zusammenhang auch die Rückblicke in das Kennenlernen von Derden und den langen Weg zum Paar, der damals noch zu DDR-Zeiten beschritten wurde.

    Für mich war „Der heutige Tag“ ganz besonders im ersten Drittel sehr stark, danach gab es dann doch immer wieder Passagen, die mich nicht ansprachen oder in denen mir die Erzählstimme mitunter auch „zu gut für diese Welt“ erschien. Ich bewundere diese Haltung, aber sie war mir nicht immer nachvollziehbar dargestellt – so wie ich eben auch einige Episoden als etwas belanglos oder wenig aussagekräftig wahrgenommen habe.

    Insgesamt hat mich „Der heutige Tag“ dennoch sehr berührt: es ist ein wichtiges Buch zu einem schweren und belastenden Thema, dass es aber schafft, sehr wohlwollend, positiv und liebevoll mit den Härten des Alltags umzugehen. Ein Text der soviel Güte, Großzügigkeit, Fürsorge, Liebe und Weisheit ausstrahlt, ist selten – allein deshalb lohnt die Lektüre.

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  1. Bis dass der Tod uns scheidet...

    Helga Schubert erzählt in ihrem Buch "Der heutige Tag" die Geschichte einer großen, unermüdlichen Liebe, die auch in der schwierigen Phase am Ende des Lebens nicht aufhört. Die im Jahr 2020 mit dem Ingeborg Bachmann ausgezeichnete Autorin verarbeitet darin ihre Erfahrungen mit der Pflege ihres schwerkranken, pflegebedürftigen und zunehmend an Demenz leidenden Mann "Derden". Er war einst ihr Professor: Beide waren vergeben, und dennoch fanden sie den Weg zueinander, denn Derden entschied sich, als es ihr nicht mehr reichte, seine Geliebte zu sein, für sie. Zeitlebens teilten sie den gleichen Humor, politische Ansichten und auch das Interesse für Kunst.

    Wir erfahren all dies und weitere Erinnungen an die guten alten Tage des Paares im Rückblick. Die Erinnerungen scheinen der nunmehr 83 Jährigen Kraft für die tägliche Pflege ihres Mannes zu geben: Sie bleibt an seiner Seite wie der sprichwörtlich "treue Hund", auf den sie am Ende verweist. Ihr Leben ist entbehrungsreich geworden: Mit der Pflege ist sie weitgehend allein gelassen. Ihre Familie, seine Kinder, fühlen sich nicht zuständig, für Events, die sie gerne besuchen würde, findet sie aufgrund des Pflegenotstands keinen Ersatz und bleibt zu Hause. Wir erfahren, wie kräftezehrend die häusliche Pflege ist, wie ernüchternd die Rückschläge, wenn ihr Mann bereits im Februar ein frohes Weihnachtsfest wünscht, wie sinnleer die Sprüche Dritter sind. Was hier zählt ist einzig der heutige Tag und der Bund, den man gemeinsam vor Jahrzehnten schloss und der bis zuletzt seine Gültigkeit bewahrt. Gedanken an eine eigene zurückliegende Krebserkrankung, die bekämpft wurde, kommen auf. Auch die Frage, was im Falle eines anderen Ausgangs gewesen wäre? Im Kern aber steht insbesondere auch die Frage: Soll sie ihm in seine 'andere' Welt folgen in der Gewissheit, dass sie selbst, jederzeit in den normalen Alltag zurückkehren kann? Der Schlüssel zu Zweifeln, Ängsten, Unsicherheiten und die täglich neu zu treffende Entscheidung, dem eigenen Mann bis zum Ende treu zur Seite zu stehen ist stets die Liebe. Sie hört niemals auf.

    Das Buch ist ehr schön gestaltet, auch das Schriftbild ist sehr angenehm durch die augenfreundliche Schriftgröße. Über weite Strecken war ich sehr ergriffen. Phasenweise spielen religiöse Motive eine bedeutende Rolle. Die Autorin bringt einen selbst zum Nachdenken, denn früher oder später gelangt jed/r an einen Punkt im Leben, wo man sich selbst die im Buch aufgeworfenen Fragen stellt. Mir hat gut gefallen, dass die Autorin nichts beschönigt: weder den Pflegenotstand, noch das Drückebergertum anderer Angehöriger, noch das eigene Ringen mit der belastenden und kräftezehrenden Pflege. Über weite Strecken für mich ein 5 Sterne-Buch. Am Ende hat mir aber doch etwas gefehlt beziehungsweise ich blieb bei einigen Passagen etwas verwirrt zurück. Obwohl ich am Ende also "nur" 4 Sterne vergebe, dennoch ein sehr lesenswertes und wichtiges Buch, das ich gerne weiter empfehle.

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  1. Schonungslos ehrlich

    Helga Schubert blickt in diesem Buch oft zurück. Sie erzählt dem Leser wie sie ihren Mann kennenlernte, der einige Jahre älter, und zu dem Zeitpunkt noch mit einer anderen Frau verheiratet, ihre große Liebe wurde. Natürlich gab es auch in dieser Beziehung Höhen und Tiefen, in dieser Hinsicht ist die Autorin schonungslos ehrlich, doch die Liebe zu ihrem Mann, den sie nun mit über 90 pflegt, verlangt ihr einiges ab. Auch wenn sie einiges jünger ist, ist auch sie mittlerweile in einem Alter, wo der Körper sich bemerkbar macht, einem nicht mehr alles leicht von der Hand geht.
    Schubert zeigt nicht nur auf wo es im System hapert, sie macht euch deutlich, was ihr persönlich abverlangt wird, den Weg der häuslichen Pflege zu gehen.
    Diese Schilderungen haben mich sehr bewegt, und ich bin sicher, dass nichts beschönigt wurde. Viele Menschen werden allein gelassen mit der Pflege, selbst wenn andere Angehörige da sind, so wie hier die Kinder des Mannes. Es bleibt kaum noch eigener Raum, alles dreht sich um die kranke Person. Auch wenn man noch so aufopferungsvolle Taten vollbringt, hat man doch oft auch ein schlechtes Gewissen, dass Gefühl noch nicht genug getan zu haben. Sich selbst dabei nicht aus den Augen zu verlieren ist wohl ein Drahtseilakt, den die wenigsten schaffen.
    Viele Sätze, die die Autorin bezüglich der oben genannten Dinge benennt, sind wundervoll verfasst, so dass ich mir mehr als einen herausgeschrieben habe. Hut ab, dass sie trotz dieser schweren, zeitaufwendigen Bürde, die Möglichkeit gefunden hat, sie niederzuschreiben und uns Lesern hier in diesem Stundenbuch der Liebe, wie sie es selbst ausdrückt, zur Verfügung stellt.

    Ich habe das wundervoll gestaltete Buch sehr gerne gelesen, aber es gibt dahingehend auch ein paar Einschränkungen.
    Probleme hatte ich mit einigen Passagen, Anekdoten aus ihrem Leben, die sich mir manchmal nicht ganz erschlossen. Es fiel mir dort oft schwer einen Bezug und eine Begründung zu finden, warum sie dieses Erlebnis niedergeschrieben hat. Sonst formuliert sie sehr klar und unmissverständlich, aber einiges blieb mir persönlich verschlossen. Doch in der Gesamtwertung schmälert dies nur geringfügig die Bewertung des ges. Gesamteindrucks, so dass ich auf 4 von 5 Sternen gekommen bin.

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  1. Und der morgende Tag wird für das Seine sorgen

    Helga Schubert (geb. 1940) war Psychotherapeutin und Schriftstellerin in der DDR. Ihr Durchbruch im Westen gelang ihr 2020 mit dem Gewinn des Ingeborg Bachmann Preises. Der darauffolgende Erzählband „Vom Aufstehen“ erlangte große öffentliche Aufmerksamkeit, auch mich hat er begeistert.

    In „Der heutige Tag“ steht das Leben mit ihrem heute 96-jährigen, pflegebedürftigen und zunehmend demenziell erkrankten Ehemann Johannes Helm im Mittelpunkt, den sie im Buch Derden nennt, für „der, den ich liebe“. Helga pflegt ihren Mann seit Jahren im gemeinsamen Haus, das sich in einem kleinen Dorf bei Schwerin befindet. Es gibt einen unterstützenden Pflegedienst, der zweimal am Tag kommt. Ansonsten ist das Ehepaar weitgehend auf sich allein gestellt. Derden weiß, dass es ihm bei seiner Frau am besten ergeht, sie kann ihn nur für wenige Stunden in fremder Obhut lassen, ist dadurch stark angebunden. Die Pflege ist fordernd. Die Autorin beschönigt nichts. Sie berichtet von täglichen Routinen, durchwachten Nächten und anderen kleinen Katastrophen. Sie schildert den Verlust von Lebenskraft und Gedächtnis, den körperlichen Verfall und wie das Leben in Richtung Tod entgleitet mit großer Wärme und Selbstverständlichkeit. Sie heischt keinesfalls nach Mitleid.

    Aufgelockert werden diese meist gegenwartsnahen Gedanken durch Erinnerungen an die gemeinsam verbrachten Jahrzehnte. Helga lernte ihren Derden als Studentin kennen, er war ihr Professor, als beide noch anderweitig verheiratet waren. Sie organisierten sich neu, bildeten eine Patchwork-Familie. Helga empfand das Leben in der sozialistischen DDR als Enge, ihr Mann liebte die Weite des Nordens. Nichtsdestotrotz wurden sie bespitzelt. In späteren Jahren ergänzten sie sich auch in gemeinsamen künstlerischen Projekten. Er malte, sie schrieb Geschichten zu seinen Bildern. Glaubwürdig portraitiert Schubert das Bild einer großen Liebe, die immer noch rührende, innige Momente der Zweisamkeit bereithält. Sie erzählt auch von humorvollen Erlebnissen oder inspirierenden Begegnungen. Diese Episoden habe ich mit unterschiedlicher Intensität wahrgenommen.

    Die zeitweilige Überforderung mit der Pflege ihres Mannes wird deutlich. Manchmal fühlt sich Helga verzweifelt und allein gelassen, nicht nur von seinen Kindern, sondern auch von Freunden und Nachbarn. Im nächsten Satz zeigt sie wieder Verständnis für deren Verhalten. Helga Schubert ist eine starke, selbstbewusste Frau, die ihre beeindruckende Kraft aus der Liebe zu ihrem Mann und aus dem christlichen Glauben zieht, wie auch die in den Text eingeflossenen Bibelzitate belegen. Sie fühlt sich als Werkzeug Gottes und erfüllt, was Er ihr aufgetragen hat. Ihre emphatische Nächstenliebe schenkt ihr die Fähigkeit zu verstehen, zu vergeben und eigene Erwartungen bei Bedarf anzupassen. Sie verspürt eine große Dankbarkeit für das Leben und das Schreiben. In all ihrem Tun vertraut sie auf Gott und nimmt ihr Schicksal aus seinen Händen an. „Es geht nämlich um das Loslassen, das Annehmen, es geht um das Friedenschließen, das Einverstandensein, um das nicht dauernd den andern, sich und das Leben Ändernwollen.“ (S. 36)

    Eigene Freiräume sind für Helga Schubert rar, sie nutzt sie meist in der Nacht, wenn sie ihre Gedanken niederschreibt und auf diese Weise ihre Geschichten entstehen. Sie hat eine ruhige, hochgradig ehrliche und nachdenkliche Erzählstimme. „Der heutige Tag“ ist ein Buch, das Menschen Mut machen will, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden. Es ist kein Pamphlet, es enthält keine Botschaften, sondern zeigt glaubwürdig auf, was es heißt, in guten wie in schlechten Tagen für einen anderen Menschen da zu sein. Es ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Alter.

    Die gebundene Ausgabe wurde vom Verlag wunderschön mit Lesebändchen gestaltet und in relativ großer, augenfreundlicher Schrift gedruckt.

    Leseempfehlung!

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  1. 5
    27. Jun 2023 

    In guten wie in schlechten Tagen

    Hat Helga Schubert in ihrem 2021 erschienenen Buch „ Vom Aufstehen“ das eigene Leben beschrieben, von der Kindheit mit dem im Krieg gebliebenen Vater, vom problematischen Verhältnis zur Mutter, dem Alltag im „ Zwergenstaat“ DDR, ihrer Arbeit als Autorin, so geht es in ihrem neuesten Buch vor allem um sie und ihren Mann. Seit 58 Jahren leben sie schon zusammen, 47 Jahre sind sie verheiratet. „ Zwei alte Liebesleute.“
    Seit sechs Jahren pflegt die nunmehr 83jährige Autorin ihren schwerkranken, mittlerweile 96jährigen Mann. Von den Anforderungen, den Schwierigkeiten und den Belastungen, die diese Arbeit mit sich bringt, schreibt Helga Schubert. Sie ist dabei gnadenlos ehrlich und genau bis ins Detail, berichtet vom Leeren des Blasenkatheters, vom umgekippten Rollstuhl, vom nächtlichen Rufen und den vielen Medikamenten, dessen Einnahme sie überwacht.
    Sie bekommt zwar Unterstützung durch einen Pflegedienst, doch die Hauptlast liegt auf ihr. Da gibt es auch Momente der Verzweiflung und der großen Traurigkeit, wie sie zugibt. Es kommen Gedanken an den eigenen Tod, der Befreiung von Verantwortung und Pflichten bedeuten würde oder daran, welche Vorteile sein Tod für sie hätte, aber das sind Überlegungen, die sie sich verbietet.
    Wütend machen sie Ratschläge von außen, wie solche, sie solle ihrem Mann mehr Morphium geben, denn das sei doch kein Leben mehr. Wer will das beurteilen, wer darüber entscheiden? „Ein bisschen Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille. So darf ein Leben doch ausatmen.“
    Und Helga Schubert verschweigt auch nicht ihre Enttäuschung und ihren Zorn über Menschen, die ein bisschen Hilfe verweigern. Oder darüber, wie schwierig es ist, auch nur für kurze Zeit professionelle Betreuung zu finden.

    Das Buch erzählt aber nicht nur von der belastenden Gegenwart, sondern geht zurück zu den Anfängen ihrer Liebe. Kennengelernt haben sie sich an der Universität. Er, der 13 Jahre Ältere war ihr Professor. Beide waren da noch verheiratet, hatten Kinder, er einen Sohn und eine Tochter, sie einen Sohn.
    Was folgte, war eine beinahe symbiotische Beziehung, mit intensiven Gesprächen, mit gemeinsamer Arbeit ( Helga Schubert schrieb Texte zu den zahlreichen Bildern ihres Mannes ), mit einem großen Freundeskreis und gleichzeitiger Abgeschiedenheit in ihrem kleinen Dorf in der Nähe von Schwerin.
    Von all dem intellektuellen Austausch ist kaum mehr was geblieben. Jetzt ist der Tod ein beständiges Thema zwischen ihnen, aber auch absurd anmutende Gespräche, der Demenz des Mannes geschuldet.
    Geblieben dagegen ist die Liebe und das Versprechen, füreinander da zu sein, auch in den schlechten Tagen.
    Es ist tröstend zu lesen, dass die Liebe und Zärtlichkeit angesichts der Belastungen nicht verloren geht. „ Jede Sekunde mit dir ist ein Diamant“ sagt ihr Mann und umarmt sie. Und sie : „ Ich liebe ihn sehr.“
    Zum Glück hat Helga Schubert aber auch die Fähigkeit, sich an kleinen Dingen zu erfreuen, sie zu schätzen.
    Was ihr hilft, ist das Schreiben. Hier reflektiert sie, ist ganz bei sich.

    Was Helga Schubert aber vor allem trägt, ist ihr unerschütterlicher Glaube. Der gibt ihr die Zuversicht, dass Gott ihr nicht mehr zumutet, als sie zu tragen vermag.
    Das Buch heißt im Untertitel „ Ein Stundenbuch der Liebe“. Stundenbücher waren im Mittelalter Andachtsbücher für das Stundengebet. Hier nun werden die Stunden aufgezeichnet, die die Autorin täglich für ihren Mann da ist, aufopferungsvoll und voller Liebe.
    Dem Buch vorangestellt ist ein Vers aus dem Matthäus- Evangelium: „ Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“
    Und der letzte Satz im Buch greift das Zitat wieder auf. „ Und der morgende Tag wird für das Seine sorgen.“ Aus diesem Vertrauen heraus schöpft Helga Schubert ihre Kraft .

    „ Derden“ nennt Helga Schubert ihren Mann, ein Name, der befremdlich klingt und der erst durch ihre Erklärung verständlich wird, „ Der, den ich liebe“. Warum nennt sie ihn nicht bei seinem richtigen Namen, er ist ja kein Geheimnis? Vielleicht um eine gewisse Distanz herzustellen, aber auch weil sie ihn durch das Schreiben zu einer literarischen Figur macht. So steht ihr Mann stellvertretend für den geliebten Partner, der Pflege braucht.

    Die Lektüre wirft einem immer wieder auf sich selbst zurück. Wie würde man sich selbst verhalten in einer ähnlichen Situation? Hätte man die gleiche Größe und Kraft wie die Autorin? Gleichzeitig wünscht man sich so einen Menschen an seiner Seite, wenn man selbst hilflos und auf Pflege angewiesen ist.
    Es ist derselbe Ton, der mir bei „ Vom Aufstehen“ schon gefallen hat. Helga Schubert erzählt ruhig, ohne Pathos, stellt vom Alltäglichen ausgehend Reflexionen an, teilt Erinnerungen. Manche Sätze im Buch scheinen wie für einem gemacht, lassen innehalten und überlegen oder berühren im Innersten. Allerdings hat nicht jedes Kapitel, nicht jede Geschichte für mich die gleiche Relevanz. Doch das stört nicht den positiven Gesamteindruck.
    „ Der heutige Tag“ ist ein sehr persönliches Buch, ein Buch das tröstet und Mut macht.

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  1. 4
    24. Jun 2023 

    Ein Stundenbuch der Liebe...

    Mit dem Begriff "Stundenbuch" konnte ich zunächst nichts anfangen - wenig verwunderlich, weil ich nicht katholisch bin. Wer wie ich keine Ahnung hat, worum es sich dabei handelt, dem sei an dieser Stelle verraten, es handelt sich dabei um ein im Aufbau dem Brevier der römisch-katholischen Kirche nachempfundenes Gebet- und Andachtsbuch für das Stundengebet. Der Untertitel dieses so poetischen wie bitteren Buches lautet "Stundenbuch der Liebe" und verrät schon, dass der Glaube für Helga Schubert eine große Bedeutung hat.

    Zärtlich und schonungslos zugleich schildert die Autorin ihren eigenen Alltag mit ihrem demenzkranken Mann, er 13 Jahre älter als sie, pflegebedürftig und an zahllosen Krankheiten leidend, aber lebensfroh. Die Schilderung der Gegenwart ist mit Erinnerungen durchflochten, an das Kennenlernen der beiden, an ihre frische Liebe, an das Verhältnis zu den Kindern, die beide mit in die Ehe brachten. Über weite Strecken dominiert bewundernswerterweise die positive Einstellung der mittlerweile 83jährigen Autorin im Umgang mit ihrem Mann, auch wenn es nicht nur leichte Situationen gibt. Manchmal brechen sich aber auch Verzweiflung und Ratlosigkeit Bahn oder Gedanken daran, wie es sein wird, wenn Derden - so nennt sie iheren Mann hier (der, den ich liebe) - nicht mehr da sein wird.

    Auch die Einsamkeit, in der das Ehepaar letztlich da in ihrem dörflichen Haus in Mecklenburg-Vorpommern lebt, auch wenn Ärzte und Pflegedienst immer wieder kurz vorbeischauen, wird hier deutlich. Der Wunsch nach Entlastung ist kaum einmal möglich, die Kinder entziehen sich, eine gelegentliche Tagespflege lehnt Derden kategorisch ab, auch wenn Helga Schubert deswegen immer wieder Lesungen absagen muss. Das Bemühen, die Bitterkeit nicht zu sehr hochkommen zu lassen, ist den kurzen Erzählschnipseln anzumerken. Und doch gibt es - absolut verständlicherweise - auch diese Gefühle:

    "Manchmal trauere ich nur um mich, diese Traurigkeit ist einsam und kalt. Sie ist voll Vorwurf und Enttäuschung und Bitterkeit." (S. 56)

    Die Gedanken über den Tod sind in dem Roman (und im Leben von Helga Schubert) allgegenwärtig, was der Situation ihres Mannes aber auch der Tatsache ihres eigenen Alters zuzuschreiben ist. Das deprimiert manchmal ein wenig beim Lesen, weil es so gebündelt daher kommt. Aber es gibt hier so viel Allgemeingültiges, da findet jeder Parallelen zu seinem Leben und/oder zu dem von Angehörigen oder Freunden. Das macht das Buch schon zu etwas Besonderem, kann für den ein oder anderen sicherlich auch tröstlich sein, weil es hier keinen Gedanken gibt, kein Gefühl, das nicht nachvollziehbar ist.

    Ein zutiefst menschliches Buch, das einen nicht unberührt lässt, aber auch nicht völlig niederdrückt. Es nennt die Dinge beim Namen, verschweigt nichts, verbreitet aber keine Hoffnunglosigkeit. Ob man selbst auch den Langmut hätte, das Bestreben, die Würde des anderen aufrechtzuhalten bei allem was kommt, nicht zu verzagen? Berührend auch die kleinen Gesten der gegenseitigen Liebe und Achtung unter den Eheleuten, auch wenn die Demenz immer mehr Tage überschattet - und die Fähigkeit der beiden, vollkommen offen über alles zu reden. Bewundernswert.

    Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

    © Parden

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  1. Bericht einer bewundernswert starken Frau

    Lebenserinnerungen von H. Schubert und Gedanken zur Palliativpflege ihres geliebten, zunehmend dementen Mannes zu Hause

    Muss man so etwas lesen? Den 'multimorbiden' Mann zu Hause pflegen, obwohl man selber 83 Jahre alt ist? Man könnte denken, es ist ein deprimierendes Buch, aber das ist am Ende nicht mein Eindruck. Melancholisch ist es, aber dennoch voller Lebensweisheit und Warmherzigkeit.

    'Jede Sekunde mit dir ist ein Diamant', sagt Derden zu ihr (7). DER-DEN, der, den ich liebe, so nennt die Autorin Helga Schubert ihren Mann Johannes Helm, der 13 Jahre älter ist, im Rollstuhl sitzt, im Pflegebett liegt und palliativ versorgt werden muss. Zwar hat sie jeden zweiten Tag Hilfe von Ärzten und Pflegern, aber die Hauptlast liegt bei ihr, denn keine Pflegekraft ist rund um die Uhr verfügbar. So kümmert sich Frau Schubert um ihn, kann keine Nacht durchschlafen und hat auch kritische Situationen zu bewältigen, wenn er in seinem dementen Zustand fatale Irrtümer begeht.

    Es ist unglaublich, wie diese selber schon alte – übrigens immer noch schöne – Frau diese Aufgabe meistert, aus großer, schon lange andauernder Liebe. Dabei verhehlt sie nicht, dass nicht alles rosig ist. Sie hätte gerne mehr Entlastung, damit sie zu einer Lesung oder einer Beerdigung kann, sie ist auch oft traurig und macht sich ernste Gedanken. Diese Ehrlichkeit macht alles, was sie schreibt umso glaubwürdiger.

    'Manchmal trauere ich nur um mich, diese Traurigkeit ist einsam und kalt. Sie ist voll Vorwurf und Enttäuschung und Bitterkeit.' (56) – '... mein inneres Verbot, über positive Folgen seines Todes nachzudenken' (59)

    In Zeit- und Gedankensprüngen erfahren wir in Puzzlestückchen die Geschichte ihrer großen Liebe. Sie lässt uns an ihren Gedanken, an den Zweifeln, aber auch an weisen Erkenntnissen und am alltäglichen Leben mit seinen schönen und weniger schönen Momenten teilhaben.

    Und warum dann 'nur' 4 Sterne? Es gibt einige Passagen, die ich für überflüssig im Hinblick auf die Thematik halte und die man hätte weglassen können. Aber ihr Buch hat mir dennoch gefallen und ich kann es weiter empfehlen, wenn man sich für die Thematik interessiert. Man sollte sich auch eines der Interviews oder Portraits ansehen, die es im Internet gibt.

    https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/portrait-helga-schubert...

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  1. ‚Herr, gib mir die Kraft,………‘

    und viel Kraft braucht die 83-jährige Autorin Helga Schubert beim einsamen Zusammenleben und der Pflege ihres kranken und dementen 95-jährigen Ehemannes ‚Derden‘ am Ortsende eines kleinen Dorfs in Mecklenburg. Wir begleiten sie durch den Tag, nehmen teil an den einzelnen Pflegehandgriffen, ihren Erinnerungen, z.B. wie sie ihren Mann kennen und Jahre später lieben lernte, ihre Jahre bis zur Wende der DDR, ihre Krebserkrankung und vieles mehr.

    Aber auch die Herausforderungen, die dieses Leben bringt, schildert sie: eine Vertretung für einen Tag zu finden, damit sie in Berlin am Euthanasie-Gedenktag teilnehmen kann, und die Ansprüche, die sie wohl an sich selbst stellt, aber in ihrer ‚Unvollkommenheit‘ nicht erfüllen kann.

    Kraft findet Helga Schubert im Glauben, ihrem Schreiben und auch in der Fähigkeit, die kleinen und schönen Dinge des Lebens zu sehen.

    Mir gefiel dieses Buch auch wegen der Vielseitigkeit der Themen: ob es die Erfahrungen mit Nachbarn, mit der Stasi, dem Umgang mit Selbsthilfegruppen, Sterbehilfe oder auch ihre Erkenntnis bezüglich Patchworkfamilie sind. Ja, manche mögen manches als abschweifend und überflüssig empfinden – für mich haben auch die ‚Nebensächlichkeiten‘ das Bild über Helga Schubert und ihre Lebenssituation abgerundet.

    Ich vergebe 5 Sterne und empfehle dieses interessante, aber auch aufwühlende Buch all denjenigen, die den Mut haben, sich hautnah auf das Thema Alter und Pflege einzulassen.

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  1. "Wie ein alter treuer Hund"

    Helga Schubert erzählt in ihrem Roman schnörkellos und ehrlich davon, was es bedeutet, einen geliebten Menschen Tag und Nacht zu pflegen. Einen Menschen, der sowohl körperlich beeinträchtigt ist als auch zunehmend dement wird und manchmal nicht mehr weiß, wer vor ihm steht.

    Dem autofiktionalen Roman vorangestellt ist das Bibelzitat „Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ (Matthäus, Kapitel 6, Vers 34).

    Jeder einzelne Tag bringt neue Herausforderungen mit sich, dabei stehen jedoch nicht nur die Plagen im Vordergrund, sondern auch die schönen Momente, die Momente, in denen die Liebe zwischen H. Schubert und ihrem Mann hervorscheint, denn sie sind „Zwei alte Liebesleute“, die seit 58 Jahren zusammen sind. (S.7)

    „Das ist übrig nach unseren Jahrzehnten, dachte ich: Hände, die sich aneinander wärmen. Ich gab ihm unter der Decke die Hand und drückte sie. Und er drückte meine Hand. Wie ein Versprechen. In guten und in schlechten Zeiten. Aber es sind gar keine schlechten Zeiten.“ (96)

    Die beiden leben im Hier und Jetzt, am „heutigen Tag“, wie eine Teilnehmerin der Leserunde es treffend auf den Punkt gebraucht hat.

    Neben der Schilderung der täglichen Pflege, der Freundlichkeit der Pflegekräfte, die ihr wiederum Kraft schenken, thematisiert H.Schubert auch, wie schwierig es ist, einem pflegebedürftigen geliebten Menschen ein Leben zuhause zu ermöglichen. Kaum eine Chance eine Vertretung zu finden, immer präsent sein müssen, nachts geweckt zu werden, Geduld zu bewahren und damit konfrontiert zu sein, vom geliebten Menschen nicht mehr erkannt zu werden. Oft fühlt sie sich am Ende ihrer Kräfte und allein gelassen.

    „Wie lange wird in Deutschland die Pflege eines alten kranken hilfsbedürftigen Menschen, der gern zuhause leben und auch sterben will, noch so holprig sein, so ausschließlich auf einen einzigen Angehörigen bezogen?“ (S.187)

    „Manchmal möchte ich tot sein, endlich ohne Verantwortung und Pflichten, aber trotzdem dabei sein, niemand soll sich schuldig fühlen (…)“ (S.189)

    Der Roman trägt den Untertitel „Ein Stundenbuch der Liebe“, wobei das Stundenbuch das offizielle Buch der römisch-katholischen Kirche für die Tagezeitenliturgie bzw. das Stundengebet ist. Schuberts Liebe ermöglicht es ihr, stündlich für ihren Geliebten da zu sein. Sie betet dafür, dass er noch in ihrer Nähe sein kann, behütet und beschützt ihn, lebt für die kostbaren Momenten ihrer gemeinsamen Liebe.

    Sie schildert in Rückblicken auch, wie diese Liebe gewachsen ist, welchen Herausforderungen sie sich in der ehemaligen DDR stellen musste und welche Schwierigkeiten eine Patchworkfamilie mit sich bringt – die Hilfe seiner Kinder erweist sich nicht als selbstverständlich.

    Ein Roman, der berührt und vor Augen führt, was uns alle erwarten kann. Hoffentlich gibt es in unserem Leben auch einen liebevollen Menschen wie Helga Schubert, der uns ein würdiges Ende ermöglicht und der "wie ein alter treuer Hund" (S.265) an unserem Bett wacht.

    Trotz einiger Längen im letzten Drittel des Romans eine klare Leseempfehlung.

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  1. "Der, den ich liebe"

    Mein Hör-Eindruck:

    Helga Schubert wählt für ihr Buch den Untertitel „Stundenbuch“ und erinnert damit an die liturgischen Stundenbücher des Christentums, die dem Laien Gebete rund um die Uhr, meist beginnend ab Mitternacht, anbieten. Der Untertitel „Stundenbuch der Liebe“ wird dem Leser schnell klar: Die Ich-Erzählerin dient ihrem schwer kranken Mann rund um die Uhr, und das aus Liebe.

    Man kann wohl davon ausgehen, dass Ich-Erzählerin und Autorin in diesem Buch identisch sind. Sie beginnt mit dem Morgen und verschont ihre Leser nicht mit den Pflege-Handgriffen, die jeden Morgen zu erledigen sind.
    Sie verschont ihre Leser grundsätzlich nicht: wir erfahren harte Details ihrer Rund-um-die-Uhr-Pflege, die sie trotz ihres eigenen hohen Alters – 83 Jahre alt und selber nicht gesund - auf sich nimmt.

    Sie lernt, dass sie keine Dankbarkeit erwarten kann, z. B. in Form von Unterstützung bei der Pflege, und umgekehrt erlebt sie auch uneigennützige Hilfen, die sie nicht erwartet hatte. Sie erzählt auch vom Rat, ihrem Mann mit einer höheren Dosis Morphium aus dem Leben zu helfen, weil sein Leben doch nicht mehr lebenswert sei. Sie selber sieht durchaus die Vorteile, die sie von seinem Tod hätte: nicht nur das Ende einer Dauersorge, sondern auch der Rückzug in die Großstadt, Teilnahme an Sitzungen des PEN-Clubs, Lesungen in entfernteren Städten etc.

    Und der Leser fragt sich, was es ist, dass sie die Pflege ihres Mannes auf sich nimmt. Diese Frage beantwortet die Autorin mit vielen Rückblenden in das gemeinsame Leben, angefangen vom ersten Kontakt an der Universität bis zum Umzug aufs mecklenburgische Land. Diese Rückblenden lassen manchmal den Zusammenhang vermissen und wären überflüssig. Viele sind aber von Verzicht geprägt (z. B. dem Verzicht auf die Ausreise in den Westen), und sie zeigen die tiefe Verbundenheit dieser beiden Menschen.

    Und so wird dem Leser klar, wie sehr es Helga Schubert schmerzen muss, dass ihr Mann sich nun alleine aufmacht in eine andere Welt. Und sie erkennt ihre neue Lebensaufgabe: das Annehmen dieses Weggangs und das Loslassen. Dabei hilft ihr das Schreiben, sagt sie: „Ich rette mich durch Schreiben.“

    Sie begleitet ihn, und sie ist dankbar für die kleinen gemeinsamen Freuden, die ihnen bleiben: der Vogelgesang, die Sonnenstrahlen im Garten und vor allem die Freude an jedem kleinen gemeinsamen Moment.

    Ruth Reinecke, die das Hörbuch eingelesen hat, spricht sehr deutlich, eher langsam und sehr prononciert, ihre Stimme habe ich als hart, fast hölzern empfunden. Mir hätte eine wärmere und flexiblere Stimme besser gefallen. Geschmackssache.

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  1. Was hält Liebe aus?

    Ehrlich gesagt bin ich relativ erwartungslos an die Lektüre gegangen. Eigentlich wollte ich nur kurz reinlesen, um zu sehen ob das Geschilderte überhaupt etwas für mich ist, nur um dann zu merken, dass ich nicht mehr aufhören konnte und diesen Titel an einem Tag inhaliert habe.

    Die Autorin beschreibt mit ruhigen Worten alle Facetten der Pflege ihres Mannes, mit schönen aber eben auch sehr vielen anstrengenden Momenten.

    Die genutzte Sprache hat etwas so leichtes und trifft dennoch mitten ins Herz, denn wie soll man das bekommen und erleben in der heutigen Gesellschaft, wo es schon unrealistisch ist 10 Jahre gemeinsam zu leben, geschweige denn 50 Jahre und mehr. Da wird jemand wie ich aus der Generation Y sehr sehr nachdenklich, denn weder wüsste ich, ob sich jemand für mich so aufopfern würde, noch ob ich dies für jemanden machen wollen würde.

    Das Geschilderte hat mich sehr nachdenklich gestimmt und tief berührt. Es ist so immens ehrlich und dennoch scheint die Liebe hier Berge zu versetzen oder ist es nur der Wille der Pflegenden?

    Für mich definitiv ein Buch, dessen Lektüre ich vermissen würde und das wo ich eher zufällig und unwissend danach gegriffen habe, nur um dann zu merken wie sehr ich das vielleicht gerade brauchte.

    Fazit: Bedrückend, berührend, ehrlich und einfach kostbar. Ich kann nur eine klare Leseempfehlung aussprechen! Für mich ein Lesehighlight 2023.

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