Der Gesang der Flusskrebse

Rezensionen zu "Der Gesang der Flusskrebse"

  1. 4
    03. Sep 2023 

    Das Marschmädchen...

    In den 1960er-Jahren schwirren viele Gerüchte über Kya Clark durch die ruhige Küstenstadt Barkley Cove. Isoliert lebt sie im Marschland mit seinen Salzwiesen, Sandbänken, Buchten. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Zwei junge Männer werden auf die wilde Schöne aufmerksam, und Kya öffnet sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Als einer der beiden tot aufgefunden wird, sind sich die Bewohner sicher: Das »Marschmädchen« ist schuld. (Verlagsbeschreibung)

    Endlich habe ich es auch gehört, das Buch, das gefühlt schon jede:r kennt, vielleicht auch nur durch die Verfilmung. Ein oft düsterer Roman über eine eigenwilligen Außenseiterin, die ein Leben in Einsamkeit führt, aber mit einer großen Liebe und Hingabe zur Natur. Kya Clark lebt im Marschland North-Carolinas, im Gebiet der Geächteten und Verlierer, da wo ganz eigene Gesetze gelten.

    Erzählt wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen, die sich einander allmählich annähern.

    Die eine beginnt im Jahr 1952, als die Mutter vor dem gewalttätigen und alkoholkranken Vater flieht und nicht mehr zurückkehrt. Die gerade einmal sechsjährige Kya bleibt mit den älteren Geschwistern und dem Vater alleine zurück in dem Haus in der Marsch, doch nach und nach fliehen auch die Geschwister, bis es nur noch Kya und ihren Vater gibt. Das Mädchen kümmert sich nun um den Haushalt und versucht, den jähzornigen Vater bei Laune zu halten - oder aber sich vor ihm zu verstecken. Als der Vater eines Tages von einem seiner Saufgelage auch nicht wiederkehrt, bleibt Kya ganz alleine in der Marsch zurück. Dieser Erzählstrang folgt dem Leben Kyas in der rauen Wildnis, die sie trotz allem liebt und in der sie den Trost findet, den ihr sonst niemand bietet.

    Der andere Handlungsstrang beginnt 1969 mit dem Auffinden der Leiche von Chase Andews, einem stadtbekannten jungen Mann, dessen Tod kein Unfall zu sein scheint. Die Ermittlungen erhärten allmählich den Verdacht, dass das Marschmädchen Kya Clark etwas mit dem Tod von Chase zu tun haben könnte, zumal die beiden einige Jahre lang eine Affäre hatten. Schließlich wird Kya verhaftet, und der Staatsanwalt fordert in dem Gerichtsverfahren die Todesstrafe...

    Auch wenn das Gerichtsverfahren gegen Ende viel Raum einnimmt, wird hier in erster Linie über ein Leben erzählt. Ein Leben von einem Mädchen, das alleine groß werden muss, das sich nach Gesellschaft sehnt und diese doch fürchtet. Ihr entgehen nicht die Blicke und Äußerungen der anderen, wenn sie zum Einkaufen in die Stadt muss oder auch an ihrem einzigen Schultag. Geschickt entzieht sich Kya den weiteren Versuchen der Schulbehörde, ihrer habhaft zu werden, bis die Bemühungen eingestellt werden. Zu einem Freund ihres jüngsten Bruders fasst Kya schließlich Zutrauen, und er ist es auch, der ihr das Lesen beibringt. Damit öffnen sich Welten für das Mädchen, und sie kann fortan über all das lesen, was sie an Flora und Fauna umgibt. Ihr Wissensdurst ist unermesslich.

    Gerade die bildhaften Naturschilderungen sind es, die das Buch zu etwas Besonderem machen. Vermutlich fließen hier die Kenntnisse und Vorlieben der Autorin ein, die selbst Biologin ist. Delia Owens gelingt es, dass man beim Hören die Marsch mit den Augen von Kya betrachtet, die vielen zarten Details auch der kleinsten Lebewesen, das Schützenswerte dieses Landstrichs. Diese Naturschilderungen nehmen allerdings wiederum viel Raum ein, und so geriet so manch eine Passage für mich auch etwas langatmig. Womöglich wurde dieser Eindruck noch verstärkt durch den recht beschaulichen Vortrag von Luise Helm, die die ungekürzte Hörbuchausgabe (13 Stunden und 4 Minuten) ansonsten versiert liest. Ich hatte jedenfalls etwas Mühe, in die Erzählung hineinzufinden - am Ende jedoch ließ sie mich nicht mehr los.

    Ob ich mir nun auch die Verfilmung anschaue, weiß ich noch nicht. Vielleicht irgendwann einmal, wenn meine eigenen Bilder im Kopf zu diesem Roman wieder verblasst sind...

    © Parden

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  1. Wild, schön und voller großer Gefühle

    Kya Clark lebt seit ihrer Kindheit in äußerst ärmlichen Verhältnissen allein im Marschland, in der Nähe des Küstenstädtchens Barkley Cove, North Carolina. Von ihrer Familie nach und nach im Stich gelassen, lernt Kya in der Wildnis zu überleben. Sie hat zwar Sehnsucht nach sozialen Kontakten, möchte irgendwie dazugehören, spürt zugleich aber, dass nur die Einsamkeit der Natur ihrem ureigensten Wesen entspricht.
    Dennoch sehnt sich Kya nach Liebe und einer Familie, wird aber auch in Liebesangelegenheiten immer wieder enttäuscht, und gerät schließlich unter einen schrecklichen Verdacht.

    Mich hat die Geschichte sofort so in ihren Bann gezogen wie schon lange kein Roman mehr vorher. Die Beschreibung der primitiven Lebensumstände der Bewohner des Marschlandes ist äußerst gut getroffen, ebenso wie die zauberhafte Darstellung der Tier- und Pflanzenwelt in ihrer ganzen Schönheit und Wildheit.
    Kya war mir von Anfang an total sympathisch. Wie sie ihr Leben meistert, ist wirklich bewundernswert. Von allen Familienmitgliedern nach und nach verlassen, entzieht sie sich jedem sozialen Leben und kann auch den Schulbehörden erfolgreich entwischen. Dennoch erlernt sie mit Hilfe eines älteren Fischerjungen das Lesen und entwickelt eine ungeheure Begabung in der Beobachtung des sie umgebenden Lebensraumes. Sie sammelt Muscheln, Pilze und Gräser, die Federn von Vögeln und versteht jede Einzelheit detailgetreu zu zeichnen und zu malen. Wild, jung, schön und stark, zugleich aber auch empfindsam und verletzlich stelle ich sie mir vor, wie sie in ihrem Boot dahinbraust, und unter den Bewohnern des nahegelegenen Küstenstädtchens Barkley Cove sowohl Misstrauen als auch Begehrlichkeiten weckt.
    Die Einsamkeit, die Kya umgibt, an der sie leidet und die sie dennoch liebt, weil kein anderes Lebensmodell für sie vorstellbar ist, versteht die Autorin in wundervollen Sätzen mit großer emotionaler Tiefe einzufangen.
    Trotz ihrer Zurückgezogenheit bestimmen zwei junge Männer Kyas Schicksal, und auch in den Fragen der Liebe nimmt sie sich die Natur zum Vorbild. Gottesanbeterinnen fressen ihre Männchen noch während der Paarung und auch Leuchtkäferweibchen senden gezielt falsche Signale aus, um Männchen anzulocken und aufzufressen.
    Die parallel zur eigentlichen Handlung verlaufende Geschichte eines Mordes fügt sich vortrefflich in die Geschehnisse ein und hält den Spannungsbogen durchgehend auf hohem Niveau. Der Hörer wird zwar bald erahnen, wie die Ereignisse zusammenhängen, dennoch sind die vorkommenden Wendungen nicht vorhersehbar und der Schluss überraschend (gut). Die Führung des Gerichtsprozesses, in dem nur allzu deutlich wird, wie sehr Gewissheiten trügen und Erinnerungen täuschen können, fand ich ebenfalls sehr interessant beschrieben.
    Die Sprecherin Luise Helm liest mit sehr viel Empathie und Engagement. Ihre unaufgeregte Stimme passt vor allem zu den gefühlvollen Naturbeschreibungen sehr gut. An Hörbüchern mag ich auch sehr gerne, dass man Liedtexte nicht vorgelesen, sondern vorgesungen bekommt, in diesem Fall "Michael row the boat ashore." Als Sängerin hat Luise Helm ihre Sache ebenfalls sehr gut gemacht.
    Ein großartiger Roman, für mich in allen Punkten völlig stimmig, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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