Der Abstinent: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Abstinent: Roman' von Ian McGuire
3.4
3.4 von 5 (15 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Abstinent: Roman"

Manchester, 1867. Im Morgengrauen hängen die Rebellen. Die englische Polizei wirft ihnen vor, die ›Fenians‹, irische Unabhängigkeitskämpfer, zu unterstützen. Eine gefährliche Machtgeste seines Vorgesetzten, findet Constable James O'Connor, der gerade aus Dublin nach Manchester versetzt wurde. Einst hieß es, er sei der klügste Mann der Stadt gewesen. Das war, bevor er seine Frau verlor, bevor er sich dem Whiskey hingab. Mittlerweile rührt er keinen Tropfen mehr an. Doch jetzt sinnen die ›Fenians‹ nach Rache. Der Kriegsveteran Stephen Doyle, amerikanischer Ire und vom Kämpfen besessen, heftet sich an O'Connors Fersen. Ein Kampf beginnt, der O'Connor tief hineinzieht in einen Strudel aus Verrat, Schuld und Gewalt.

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:336
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Der Abstinent: Roman"

  1. Der Abstinent

    Der Roman ,,Der Abstinent" spielt in Manchester im Jahr 1867. Die Fenian Brotherhood, eine geheime Organisation, die für den irischen Unabhängigkeitskampf kämpft, verübt terroristische Anschläge in England. Die Fenians oder ihre Sympathisanten werden sofort hingerichtet, egal ob der Verdacht begründet ist oder nicht.
    Mittendrin in dieser hochexplosiven Situation befindet sich der Constable James O’Connor, ein Ire, der gerade aus Dublin nach Manchester strafversetzt wurde. Nach dem Tod seiner Frau und seines Kindes war er dem Whisky verfallen. Seine Versetzung nach Manchester ist nun seine letzte Chance, im Polizeidienst zu verbleiben. Er soll seine Landsleute für die Engländer ausspionieren, was er mit Hilfe einiger Spitzel auch tut.
    Um die Freiheitsbewegung gewaltsam zu unterstützen, wird der irische Kriegsveteran Stephen Doyle aus Amerika geholt. Er soll Verräter aufspüren und den Bürgermeister von Manchester ermorden. Zwischen Doyle und O’Connor entbrennt bald ein erbitterter Kampf.
    Diese Ausgangslage hört sich spannend und interessant an. Tatsächlich steht aber vor allem O’Connor und sein Kampf gegen den Alkohol und mit sich selbst im Zentrum der Handlung. Ihn begleitet man bei all seinen Höhen und Tiefen. Allerdings wird man nicht so recht warm mit dem Protagonisten. Dafür bleibt er einem zu fremd, zu distanziert. Bei der Jagd nach Doyle kommt eine gewisse Spannung auf, allerdings zerfasert die Handlung zunehmend zu einem privaten Rachefeldzug, der O’Connor sogar bis nach Amerika führt. Das Ende lässt mich ziemlich enttäuscht und ratlos zurück. Schade, denn vom historischen Setting hätte ich mir eine deutlich spannendere Geschichte versprochen.

    Teilen
  1. 2
    15. Jul 2021 

    eine Mogelpackung

    Der aktuelle Roman des britischen Autors Ian McGuire ist ein Paradebeispiel für gutes Marketing. Denn Klappentext und Buchbeschreibung von "Der Abstinent" strotzen nur so vor kraftvoller und energiegeladener Ausdrücke, die ein Buch versprechen, das mindestens an den Erfolg des Bestsellers "Nordwasser" anknüpft, mit dem Ian McGuire für den Man Booker Prize nominiert war. Doch leider entpuppt sich sein aktueller Roman "Der Abstinent" als Mogelpackung. Denn der vom Verlag versprochene "Strudel aus Rache und Gewalt, Schuld und Verrat" strudelt nicht, sondern plätschert nur gemütlich vor sich hin. Dabei liefert der Inhalt alles, was man braucht, um einen spannenden Roman zu schreiben, der bleibenden Eindruck hinterlassen könnte:

    Schauplatz ist zunächst Manchester im Jahr 1867. Hier begegnet uns ein irischer Polizist, der sich aus seiner Heimat Dublin nach England versetzen ließ. In Manchester treiben irische Unabhängigkeitskämpfer ihr Unwesen, unser Held soll diese Verbrecher ausspionieren. Dabei hat er, der vor seinen Erinnerungen und seinem Alkoholproblem flieht, nicht nur mit Verbrechern zu kämpfen, sondern auch mit den Vorurteilen seiner britischen Kollegen und Vorgesetzten.

    Einer der irischen Unabhängigkeitskämpfer ist ein besonders skrupelloser Terrorist und Attentäter, der in Amerika rekrutiert wurde und nun seine mörderischen Fähigkeiten für die irische Sache einsetzen soll. Der irische-englische Konflikt entwickelt sich zu einer sehr persönlichen Angelegenheit für die beiden Männer. Wie dieser Konflikt für beide ausgehen wird, erzählt dieser Roman.

    Das Positive vorweg:
    Der historische Rahmen hat mir gefallen: England inmitten des Industriezeitalters, die Dampfmaschine kommt gerade in Mode. Schauplatz und Stimmung wirken angeschmuddelt und erinnern an einen Steampunk Roman. Hinzu kommt der Irland-Konflikt, der in diesem Roman von der Fenian Brotherhood bestimmt wird. Die gegenseitige Ablehnung zwischen Iren und Engländern beschränkt sich nicht nur auf den Kampf zwischen Untergrundkämpfern und Polizei, sondern durchzieht auch den Polizeiapparat. Dieser tiefsitzende Hass ist in diesem Roman gut rübergebracht worden.

    Mehr Positives gibt es leider nicht von mir zu berichten, denn insgesamt überwiegt die Enttäuschung über diesen Roman. Wenn die Beschreibung des Verlags mit folgendem Vokabular aufwartet: "gefährlich ..., Rache ..., erbitterter Kampf ...,, Schuld, Verrat, Gewalt ..., archaische Wucht", erwarte ich Spannung und Action. Doch davon ist "Der Abstinent" weit entfernt. Bis auf wenige kurze Momente der Spannung, plätschert die Handlung vor sich hin. Da kann auch ein spektakuläres Ende nichts rausreißen, insbesondere, wenn es dermaßen unglaubwürdig konstruiert ist, wie in diesem Fall.

    Ein schwacher Roman!

    Teilen
  1. Vergeben und Vergessen?

    Manchester im Jahre 1867: es ist die Zeit des irischen Unabhängigkeitsbestrebungen. In der irischen Untergrundbewegung, die Bruderschaft der Fenians, kämpfen Iren gegen die englische Vorherrschaft an. Irische Auswanderer haben dies Bewegung von Nordirland nach England und bis nach Amerika etabliert. Protagonist James O’Connor, selbst Ire und im Polizeidienst von Manchester stehend, soll, die Mitglieder der Bruderschaft unter Kontrolle bringen. Allerdings steht er dabei auf verlorenem Posten, für die Iren ist er ein Spitzel, für die Engländer immer nur Ire.

    Das Buch beginnt mit der Hinrichtung dreier Fenians, die beschuldigt wurden, einen englischen Polizisten ermordet zu haben. Um dieses Unrecht zu rächen, wird aus Amerika ein irischer Veteran zurückgeholt, der zum Gegenspieler des Polizisten wird.

    Was hat mir Ian McGuire hier in seinem Roman „Der Abstinent“ erzählen wollen. Es ist ein historischer Roman. Die Atmosphäre einer englischen vorindustriellen Stadt im Jahr 1867 vermittelt der Autor gekonnt. Der politische Konflikt der Iren gegen die Engländer ist der Aufhänger. Die Hintergründe werden vorausgesetzt und nicht erläutert. Der Umgang ist rau, ungehobelt, brutal. Jeder der (männlichen) Protagonisten trägt irgendein Bündel an Verletzung, Verlust, Wut mit sich herum. Zorn und Schuld suchen sich ein Ventil. Vergeben und Vergessen ist nicht.

    "Hegt und pflegt eure schmerzlichsten Erinnerungen und lasst sie gedeihen..."

    Das Buch heißt "Der Abstinent". Der irische Polizist und Antiheld James O'Connor hat sich nach dem Tod seiner Frau fast in den Ruin gesoffen. Er schafft einen Neubeginn in England, wird dort gegen seine eigenen Landsleute eingesetzt. Ein Ereignis bringt ihn zurück zur Flasche, später hört er wieder auf zu trinken. Ich habe mich dennoch gefragt, warum gerade dieser Titel gewählt wurde. Wir verbinden mit dem Wort abstinent den Verzicht auf Alkohol. Doch abstinere (lat.) heißt schlicht sich fernhalten, verzichten. Letztlich verzichtet O'Connor auf mehr als den Alkohol, wie es sich gegen Schluss herausstellt. Gut wäre es allerdings gewesen, das Buch hätte hier geendet. Die letzten Seiten des Buches geben der Geschichte eine absolut abstruse Wendung.

    Was ist nun für mich die Aussage dieses Buches. Du entkommst dem Fahrwasser nicht, so sehr du dich auch abstrampelst. Und wenn du es tust, bringt es dir auch keinen Vorteil. Fatalistisch aber für O'Connor traurige Gewissheit. Der übermäßig starke Drang nach Vergeltung mutet wie in einem „irischen Western“ an. Dazu passt, dass ein Teil der Handlung auch nach Amerika verlegt wurden. High Noon ohne Poncho und Mundharmonika. Aber doch sehr ähnlich.

    Ich mag traurige gebrochene Gestalten in Büchern. Über die holprige Handlung mit einigen Fragezeichen und losen Fäden kann nicht alles hinweghelfen.

    Teilen
  1. Sehr atmosphärisch

    Manchester 1867: Constable James O'Connor wurde von Dublin nach Manchester versetzt. Dort wurden gerade Rebellen, die die Fenians unterstützt haben sollen, gehängt. Nun sinnen die Fenians nach Rache, wobei sie der extra angereiste Kriegsveteran Stephen Doyle unterstützen soll.

    Ich war sehr gespannt auf das Buch, denn die Beschreibung klang sehr spannend. Und ich wollte gerne in die damalige Zeit eintauchen und auch die Konflikte zwischen den Engländern und Iren erleben.
    Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er ließ sich zügig und leicht lesen und ich möchte die vielen Dialoge, das wirkte sehr lebendig auf mich.
    Die Charaktere wurden gut beschrieben, so dass ich sie mir vorstellen konnte. O'Connor wirkte recht zurückhaltend und bedrückt auf mich. Er litt sehr unter dem Verlust seiner Frau. Dem Alkohol, dem er verfallen war, hatte er jedoch abgeschworen. Seine Entwicklung im Laufe der Geschichte gefiel mir zwar nicht immer, war aber menschlich und deshalb verständlich. Seinen Gegenspieler Doyle fand ich ebenfalls sehr interessant dargestellt. Obwohl er einer der "Bösen" war, fand ich ihn nicht unsympathisch.
    Die Story hat mir von Beginn an sehr gut gefallen und konnte mich fesseln. Ich mochte die düstere, trostlose und auch hoffnungslose Stimmung sehr gerne. Die passte super zu der Geschichte und der Zeit. Auch der Konflikt zwischen Engländern und Iren wurde gut eingebaut. Die Ermittlungsarbeiten wirkten sehr authentisch bezogen auf die damalige Zeit. Da war prima zu erkennen, welche wahnsinnigen Fortschritte bis heute gemacht wurden. Ich hatte auf jeden Fall Spaß, das zu verfolgen.
    Was mir leider gar nicht gefallen hat, war das Ende, denn da fehlte mir definitiv die Spannung. Und ich hatte Fragezeichen im Kopf, weil sich mir der Sinn leider nicht erschloss. Schade.

    Eine düstere Geschichte, die authentisch wirkte. Leider mit einem für mich unbefriedigendem Ende. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

    Teilen
  1. Blut gegen Blut

    Manchester im Jahr 1867: Nach dem Tod von Frau und Kind landet Constable James O‘Connor in England. Der 34-jährige Witwer ist in Dublin dem Alkohol verfallen. Doch in der Ferne erhält er eine zweite Chance. Im englischen Norden soll er seine Landsleute in Schach halten und insbesondere die irischen Unabhängigkeitskämpfer, die „Fenians“, ausspionieren. Die Rebellen der Bruderschaft sind gerade äußerst rachsüchtig. Und ein gerissener Kriegsveteran namens Stephen Doyle ist eigens nach Manchester gereist, um ihnen beizustehen. Ein Strudel aus Gewalt beginnt...

    „Der Abstinent“ ist ein Roman von Ian McGuire.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus 33 Kapiteln mit einer angenehmen Länge, wobei das letzte eine Art Epilog darstellt. Erzählt wird im Präsens aus der Sicht verschiedener Personen. Die Handlung spielt überwiegend im Jahr 1867. Eine Ausnahme bildet lediglich das letzte Kapitel. Der Aufbau ist unauffällig, aber funktioniert gut.

    Der Schreibstil ist geprägt von zwei Merkmalen: Da sind einerseits die vielen Dialoge. Andererseits gibt es immer wieder atmosphärisch starke Beschreibungen, die düstere, aber intensive Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen lassen.

    Die Protagonisten, allen voran O‘Connor und Doyle, sind als vielschichtige Charaktere mit psychologischer Tiefe angelegt. Sympathieträger gibt es kaum.

    Auf mehr als 300 Seiten ist die Handlung kurzweilig und spannend, manchmal aber ein wenig überdramatisch und nicht ganz realitätsnah. Bluttaten, Gewalt und andere kriminelle Machenschaften kommen zuhauf vor - nichts für allzu Zartbesaitete. Dennoch wirkt der Roman auf mich nicht unnötig brutal. Die letzten Kapitel sind überraschend, aber recht abwegig und haben mich etwas befremdet.

    Der Roman basiert auf einer wahren Begebenheit, wie der Autor am Ende des Buches mitteilt. Tatsächlich wurden drei Mitglieder der Bruderschaft als „Manchester Märtyrer“ erhängt. Zudem beruhen einige Figuren auf realen Personen. Alle weiteren Dinge seien jedoch rein fiktiv, betont McGuire. Ein ausführlicheres Nachwort hätte den Roman weiter aufgewertet, denn die Themen (irische Migration nach England und die Bruderschaft) sind gleichermaßen interessant und - zumindest in Deutschland - weitgehend unbekannt. Auch aus der Geschichte selbst sind die genauen Hintergründe und Entwicklungen des englisch-irischen Konflikts leider nicht ersichtlich.

    Das dunkle, reduzierte Cover passt gut zur Geschichte. Erfreulich finde ich, dass der treffende Originaltitel („The Abstainer“) für die deutsche Ausgabe wörtlich übersetzt wurde.

    Mein Fazit:
    „Der Abstinent“ von Ian McGuire ist ein Roman mit kleineren Schwächen, der für spannende Lesestunden sorgt und mich gut unterhalten hat.

    Teilen
  1. Sehr dichte Atmosphäre

    Sehr dichte Atmosphäre

    Der Abstinent von Ian McGuire spielt in Manchester um 1860.
    James O'Connor ist ein irischer Polizist, der von Dublin nach Manchester versetzt wurde. Seine Frau verstarb, und diesen schweren Schicksalsschlag versuchte O' Connor mit Alkohol zu dämpfen. In Manchester will er nun einen Neuanfang starten und wird direkt in eine alte Fehde verstrickt.
    Die Briten und die Iren, die Fenians, liefern sich nach wie vor unerbittliche Kämpfe. Die Tatsache, dass drei Unabhängigkeitskämpfer gehängt wurden, weil ein Polizist ermordet wurde, befeuert die Angelegenheit enorm. Und hier kommt dann Stephen Doyle ins Spiel. Er ist ein irisch stämmiger Kriegsveteran aus Amerika, und soll den Fenians nun bei einem Rachefeldzug helfen. Schlecht für O' Connor, der nun zwischen die Fronten gerät.
    Und nicht nur er, auch ein plötzlich auftauchender, junger Verwandter von ihm gerät in den Fokus........ein gefährliches Unterfangen beginnt.

    Der Roman hat eine sehr düstere Athmosphäre, die mich direkt in die dunkeln Gassen von Manchester katapultierte. Der Autor fängt das Ambiente der damaligen Zeit hervorragend ein, die Stadt erblüht förmlich vor dem geistigen Auge des Lesers. Definitiv ein Pluspunkt!
    Die Charaktere Doyle und O'Connor sind als Gegenspieler zwar interessant, dennoch konnte mich hier die Figur des Polizisten nicht immer ganz überzeugen. Seine Vergangenheit, der Verlust der Frau, die Sucht, dies alles sind stimmige Faktoren, die gut ausgearbeitet wurden. Viele seiner Entscheidungen und Handlungen,die aktuellen Vorkommnisse betreffend, ließen mich allerdings oft skeptisch zurück. Ob dies vom Autor gewollt ist, kann ich nicht einschätzen, ich stütze mich da nur auf mein Gefühl beim lesen.
    Der Schreibstil ist sehr angenehm, aber eher knapp gehalten, ohne schmückendes Beiwerk. Passend zur Handlung, wie ich finde. Ich neige immer dazu, alle mir bekannten Bücher eines Autors miteinander zu vergleichen. Bei diesem Vergleich schneidet der Roman nicht so gut ab, wie Nordwasser, was mich damals komplett überzeugt hat. Anderseits kann man die beiden Werke auch nicht gleichsetzen, von daher möchte ich diesen Aspekt nicht negativ mit einfließen lassen.
    Der Roman lässt oft an einen Krimi denken, doch das will er gar nicht sein. Er soll wohl eher den Konflikt mit den Fenians thematisieren. Dazu wären ein paar weitere historische Fakten vielleicht angebracht gewesen. Da ist definitiv viel Luft nach oben gewesen.
    Das Ende hat mich überrumpelt, schließt aber mit allem ab. Ob es mir gefällt, sei dahin gestellt.
    Insgesamt ein spannender Roman mit interessanter Thematik, der durch die Atmosphäre der Zeit punktet.

    Teilen
  1. 2
    02. Jun 2021 

    England 1867

    England 1867. Das Land fühlt sich bedroht von Unabhängigkeitsbestrebungen der Iren und verfolgt deshalb alle, die auch nur in den vagen Verdacht geraten, mit der Sache der Iren zu sympathisieren. Demonstrativ harte Strafen werden verhängt und bauen den Konflikt weiter auf. In dieser Situation kommt James O’Connor von Dublin nach Manchester, um bei der englischen Polizei gegen irische Unabhängigkeitssympathisanten zu spionieren und gerät dabei in eine explosive Mischung von Interessen, Personen, Gruppen. Prägend für seine angespannte Situation ist vor allem der Kampf gegen eine Person: Stephen Doyle, der aus Amerika gekommen ist, um seine irischen Freunde zu unterstützen. Die Jagd zwischen den beiden Männern führt sie bis in angelegene Gegenden Amerikas und endet mit christlicher Hingabe in den Weiten Pennsylvanias.
    Was sich anhört wie eine spannende Konstellation, mit der das England des 19. Jahrhunderts nach der „Einverleibung“ Irlands portraitiert werden könnte, bleibt in dem Roman leider ungemein blutleer. Weder die Personen noch die Kulisse der Stadt Manchester haben für mich irgendwie Kontur gewinnen können in diesem Roman. Der Sprachstil, der weitestgehend auf pure, recht vordergründige Dialoge setzt und fast ganz auf prosaische Elemente zur Stimmungs- und Haltungsvermittlung verzichtet, ließ für mich ein Eintauchen in die Szenerie und ein Verständnis für die Figuren nicht zu.
    Der irisch-englische Konflikt wird nicht in seinen Inhalten und Argumenten deutlich gemacht, sondern stellt sich in diesem Roman dar als bloßer Kampf Mann gegen Mann, als Rachegefecht gegen einzelne Personen, was die tiefergehenden Motivationen der Menschen und den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund komplett ausklammert.
    So konnte der Roman mich auf keiner einzigen Seite richtig packen und kann von mir nur 2 Sterne erhalten.

    Teilen
  1. Eintauchen ins Manchester des Jahres1867

    Ian McGuire ist mir durch seinen düsteren Roman „Nordwasser“ ein Begriff, den ich mit großer Begeisterung gelesen habe und der auch für den Bookerpreis nominiert wurde. Sein neues Werk „Der Abstinent“ führt den Leser in die dunklen, nebligen Straßen der Industriestadt Manchester des Jahres 1867. Man kann diese dichte Atmosphäre sehen, riechen und fühlen. Viele Menschen müssen hart arbeiten, kommen aber trotzdem mehr schlecht als recht über die Runden und leiden Hunger. Zahlreiche irische Arbeiter sind nach England gekommen. Zwischen den beiden Nationalitäten brodelt es aber gewaltig: Die Iren kämpfen für die Unabhängigkeit und gegen die Unterdrückung, die englische Staatsgewalt will dies verhindern. Im Polizeirevier sitzt unter anderem Constable James O´Connor, der selbst aus Dublin stammt, jedoch von dort weg versetzt wurde. Seinerzeit hatte der Tod von Frau und Kind nicht verkraftet und war dem Alkohol verfallen. In Manchester will er neu anfangen. Leider sind die meisten Kollegen ihm gegenüber kritisch eingestellt. Er wird ausgegrenzt und gemobbt, was ihn fast zum Einzelgänger macht. Er ist eine gebrochene, schwermütige Figur:

    „Meistens fühlt er sich, als würde er auf einem Hochseil balancieren, vorsichtig einen bestrumpften Fuß vor den anderen setzen und niemals hinabsehen. In England ist er sicher besser dran, wo ihn niemand kennt, sich niemand für ihn interessiert, wo er frei von Vorgeschichte und Erwartungen ist, aber wie lang kann dieser Hochseilakt noch gut gehen und wie wird er enden? Wird er wirklich bis zum Ende seiner Tage hier in seinem einsamen Exil bleiben und Karten im Enthaltsamkeitscafé spielen?“ (S. 38)

    Die Fenians, eine geheime irische Bruderschaft, haben gerade Verstärkung aus Amerika bekommen: Der skrupellose Kriegsveteran Stephen Doyle kam mit dem Schiff aus New York und soll den irischen Widerstand in Manchester organisieren. Nachdem vor Kurzem erst drei Iren wegen eines angeblichen Mordes zum Tode verurteilt wurden (die Hinrichtung der drei „Manchester Martyrs“ am 22.11.67 ist historisch verbürgt), soll Doyle den Rachefeldzug organisieren. O´Connor ist sein Gegenspieler, der durch Bezahlung versucht, Spione in den Reihen der Bruderschaft zu installieren, deren Kontaktmann er ist. Durch eine Ungeschicklichkeit des Constables geraten deren Namen an die Bruderschaft. Doyle zögert nicht lange und liquidiert die Delinquenten auf bestialische Weise. O´Connor fühlt sich schuldig.

    Nun ist guter Rat teuer. Zum Glück trifft O´Connors Neffe Michael Sullivan, frisch aus New York angereist, ein. Während der Überfahrt hat er zufällig Doyle am Spieltisch kennengelernt. Was liegt nun näher, als den übermotivierten jungen Mann in die Reihen der Fenians einzuschleusen, die dabei sind, ihren großen Coup zu planen?

    Was folgt, ist ein kurzweiliger Spannungsroman mit historischem Setting. Gut und Böse sind ziemlich klar definiert. Jedoch ist O´Connor eher ein Antiheld und auch für Doyle kann man zeitweise Sympathien entwickeln. O´Connor macht Fehler, begeht Indiskretionen, die zum Tod unschuldiger Männer führen. Später wird er sogar, was den Alkohol betrifft, rückfällig und vernachlässigt seine Pflichten. Das lässt ihn zwar menschlich erscheinen, schwächt allerdings auch sein Ansehen bei Kollegen und Vorgesetzten weiter. Probleme sind vorprogrammiert.

    Der Leser ist stets und überall dabei. Der Roman ist sehr dialoglastig, es gibt nur relativ wenige beschreibende Passagen. Während der vielen Gespräche bekommt man alles mit, was man über die Figuren oder die irische Bruderschaft wissen soll. Wer sich umfassendes Hintergrundwissen über den irisch-englischen Konflikt in Gänze erhofft hat, wird enttäuscht sein. Die Handlung dreht sich überwiegend um das Spannungsfeld vor Ort. Der Neffe erfährt, was die Fenians planen, mutig recherchiert er auf eigene Faust, tritt in Bedrängnis gebracht auch noch der Bruderschaft bei.

    Manche Szenen entbehren nicht jeglicher Komik. Man sollte überhaupt nicht alles so ernst nehmen und auf Plausibilität überprüfen wollen. Die Figuren sind weit davon entfernt, perfekt zu sein. Sie verhalten sich ungeschickt, es ergeben sich Verwicklungen, Zufälle kommen zur Hilfe, mal für die eine, mal für die andere Seite. Am Ende mündet alles vorhersehbar in einen Schlagabtausch zwischen O´Connor und Doyle. Die beiden werden sich um die halbe Erde verfolgen und vermutlich kann nur einer gewinnen. Auch die Nebenschauplätze wirken authentisch. Darin sehe ich die Stärke des Autors: Egal ob irisches Pub, Behausungen, Gefängnis, Gerberei, Bleimine oder Farm – McGuire kann all das so authentisch und bildreich beschreiben, dass die Vorstellungskraft des Lesers regelrecht befeuert wird. Manche Metaphern wirken allerdings bei näherer Betrachtung etwas verunglückt und gewollt. Man sollte eben nicht so genau hinschauen.

    „Der Abstinent“ ein spannender historischer Schmöker, der sich flüssig lesen lässt und ein breites Publikum finden sollte. Vieles hat man so oder ähnlich schon gelesen. Wenn man aber denkt, dass einen nichts mehr im Ablauf überraschen könnte, zieht der Autor nochmal alle Register: Das Ende hat es in sich und hat mich nochmal richtig aus dem Sessel gehoben. Chapeau, Mr. McGuire!

    Leider ist es mir nicht gelungen, über die genannten Schwächen in der Konzeption hinwegzusehen. Insofern war es für mich ein nettes Buch ohne Höhen und Tiefen. Man kann es lesen, muss es aber nicht.

    Teilen
  1. Fenians auf Kriegspfad,...

    ... oder wie man dem Autoren beim Plot-Twisten zuschauen kann.

    Der Roman empfahl sich als brillante, historische Geschichte und tatsächlich war ich neugierig auf das England des Jahres 1867. Die Konflikte zwischen nationalistischen Iren und sich überlegen fühlenden Engländern sind auch in Manchester angekommen und die Polizei hat gerade erst drei Rebellen der geheimen Irischen Organistaion für den Unabhängigkeitskampf, den Fenians, am Galgen aufgeknüpft. Die Menschen murren und die Iren schwören Rache.
    Der frisch aus Dublin versetzte Constabel O`Connor, der eigentlich Abstand vom Tod seiner Frau und dem Alkohol sucht und einst ein schlauer Kopf war, ist Kenner der Untergrundszene und warnt seine Kollegen vor weiteren Anschlägen. Die aber sind misstrauisch und offen feindlich gegenüber dem irischen Mitarbeiter eingestellt.

    Man munkelt, dass extra aus New York ein Fenian (die es auch dort gab) eingeschleust werden soll, um die Unterdrücker mal so richtig aufzumischen. Die Bahnhöfe werden überwacht, aber natürlich weiß keiner, wie der Mann aussieht. Wie gut trifft es sich da, dass O`Connors Neffe frisch und unangekündigt aus New York beim Onkel eintrifft, ihm dann auch noch von seiner interessanten Bekanntschaft auf dem Ozeandampfer erzählt und zugibt, bei diesem merkwürdigen Herren Spielschulden gemacht zu haben. Netterweise bot dieser ihm an, die Schulden in einer Kneipe zurückzahlen zu können. Inzwischen von Spitzeln zu mehr Hinweisen auf den Eingeschleusten erleuchtet, kann O`Connor Eins und Eins zusammenzählen und tata, es kann sich nur um den kämpferischen Exsoldaten Stephen Doyle handeln.

    Ruckzuck wird der Neffe gegen eine anständige polizeiliche Belohnung bei den Fenians reingeschmuggelt. Die Sache wird dem Neffen zu heiß, will aufhören, Polizei erpresst ihn mit dem Wissen, dass ihn in New York der Knast erwartet, und Doyle bringt ihn um. O`Connor ist entsetzt, schon den dritten Mann auf dem Gewissen zu haben und dazu noch Verwandtschaft, kündigt seinen Job und ertränkt seinen Kummer im Suff.

    Doyle ist zufrieden und dampft wieder ab nach Amerika, bringt dort seinen Ziehvater und Ehemann seiner ersten großen Liebe um und bietet sich als hilfreiche Stütze für die Farm der Witwe an. Womit er nicht rechnet, dass O`Connor ihm hinterhergedüst ist.... Was dann folgt, ist einfach nur noch dumm und wenig nachvollziehbar. Wer es trotzdem noch lesen will, dem sei hier eine Überraschung gegönnt.

    Ich wurde leider mit keinem der Charaktere wirklich warm. Obwohl sich der Autor die Mühe von Kurzbiografien zu den wichtigsten Protagonisten gegeben hat, blieben die Dialoge und Handlungen doch recht oberflächlich und wenig nachvollziehbar. Weder der bestimmende Konflikt ziwschen Iren und Engländern, noch die Verhältnisse des Zusammenlebens, wurden eingehender beschrieben. Hie und da blitzten Ansätze von Gesellschaftskritik auf, als zum Beispiel O´Connor ohne Anklage im Gefängnis sitzt und seine ehemaligen Kollegen ihrem Hass freien Lauf lassen, aber sie verschwanden genauso schnell wie sie unmotoviert angesprochen wurden.

    Auch die Untergrundorganisation (die Fenians) blieb nebulös, obwohl sie doch mit ihrem Ableger in Amerika eine maßgebliche Rolle in der Kriminalitätsbekämpfung gespielt haben muss. Einem Man-Booker-Prize-Anwärter hätte ich da mehr Substanz zugetraut und wurde enttäuscht. Bedauerlicherweise bin ich weder sprachlich noch inhaltlich mit diesem Roman warm geworden.

    Teilen
  1. Industriestadt und frühe Polizeiarbeit.

    Kurzmeinung: Spezieller Stil. Muss man mögen.

    1867 in Manchester. Ein Polizistenmord wird streng geahndet. Drei Männer der Unabhängigkeitsbewegung für Irland, Fenians genannt, werden dafür aufgeknüpft. Es ist klar, dass es zu Unruhen kommen wird. Und es ist auch klar, dass die Polizei in Manchester nicht von ihrem harten Kurs abweichen wird.

    In dieser Situation agieren zwei Männer. Der eine, ein irischer Polizist, ist wegen seines Alkoholismus von Dublin nach Manchester versetzt. Er hat eine zweite Chance bekommen und will sich beweisen, aber das ist schwer in einer Atmosphäre, in der Ressentiments an der Tagesordung sind und die britischen Kollegen ihrem irischen Amtsbruder grundsätzlich misstrauen. O’Connor kennt zwar die Szene der Iren in Großbritannien aus Dubliner Verhältnissen und warnt davor, ein Exempel zu statuieren, das schaffe nur Märtyrer. Aber niemand auf seiner Dienststelle hört auf ihn. Es ist genau wie heute. Auf die Experten hört man nicht. Man lässt sich lieber von negativen Gefühlen und von Vorurteilen als von Fakten leiten.

    Die bisher relativ harmlosen Fenians in Manchester heuern alsbald einen Killer an, der aus den Staaten kommt und der ein vergeltendes Attentat an einer prominenten Person des Manchester Stadtlebens ausführen soll.

    Der Kommentar:
    Die angelegte Szenerie könnte spannender nicht sein. Doch McGuire verweigert sich dem normalen Thrill! Nicht, dass er ihn nicht schreiben könnte, ich bin sicher, dass der Autor von "Nordwasser" einen Thriller, der einem das Blut in den Adern gefrieren läßt, mit links schreiben könnte.

    Doch statt einen gewieften Killer auf der einen Seite und einen ausgebufften Bullen auf der anderen Seite hinzustellen, 12 Uhr Mittags, High Noon, sind seine Charaktere lauter gewöhnliche Menschen mit sozialem Schicksal am Hintern. Das ist gewagt. Das mag nicht jeder. Helden findet man nicht im vorliegenden Roman. Die meisten Leute glänzen durch Bildungsferne. Das spiegelt „Der Abstinent“ auf jeder Seite wider. Man fragt sich, wie blöddumm manch einer handelt und was er für ein überhebliches Selbstbild von sich hat. Die tumben Toren spielen sich auf und wer Geheimhaltung geschworen hat, verspielt jedes Geheimnis im Suff.

    Das Irland vergangener Tage ist eben immer düster. Arme Menschen in ärmlichen Verhältnissen. Keineswegs glorreiche Charaktere. Der „Bulle“ kämpft tapfer gegen seine Alkoholkrankheit an, aber er ist gebrochen von seiner Vergangenheit, seine Gefühlswelt ist taub und er hat keine Kraft, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Trotzdem ist er noch Ire genug, um sich von jedem noch so zarten Sproß Familie um den Finger wickeln und blenden zu lassen und irisch stur genug, um auch ungute und impulsive Entscheidungen zu treffen. Jedesmal, wenn man denkt, jetzt, jetzt dreht sich was, jetzt wird’s besser, geht O’Connor in die andere Richtung und trifft Entscheidungen, die ihm letztlich das Genick brechen. Das ist nicht erfreulich, nein, aber es gibt solche Menschen. Leider gibt es sogar viele Menschen, die so sind. Ich mag das. Es ist so realistisch.

    Der Killer hat es leicht. Die Polizeiarbeit ist nicht sehr weit entwickelt und ihr Erfolg hängt von vielen Zufällen ab. Er ist das personifizierte Böse, das wird vor allem im späteren Verlauf des Romans klar und insoweit ist diese Figur nicht ganz rund. Schade. Das gibt einen Punkt Abzug.

    Die Atmosphäre der Industriestadt Manchester ist großartig eingefangen.

    Stilmässig hat sich Autor McGuire ganz auf den Dialog verlegt in diesem Roman, nur da und dort gibt es kurze erzählende Passagen, die das schreiberische Talent des Autors aufblitzen lassen, kurze Lichtblicke. In den Metaphern hat er sich ab und zu verhoben. Das ist wieder schade. Passt aber zum Milieu. Niemand hat Germanistik studiert. Oder Englische Literatur. Der Autor begibt sich auf die Ebene seiner Figuren. Das ist Kunst. Kunst liegt freilich im Auge des Betrachters. Vielleicht ist es auch keine Kunst. Oder schlechte Kunst. Das enscheidest du, lieber Leser.

    Fazit. Kommt drauf an, was man will. Der Roman ist selber gebrochen. Genau wie „seine Handlanger“, also seine Figuren. Als Ganovenroman mit früher Polzeiarbeit und eingepaßt in den Rahmen des Irland-England-Konflikts, liegt ein atmosphärisch dichter Roman vor, der mit zwei Antagonisten, von denen einem keiner gefällt, mit der Verzweiflung und dem Schicksal benachteiligter Menschen vergangener Zeiten vortrefflich spielt. Plus deren Unvermögens.

    Kategorie: Historischer Roman. Kriminalroman.
    Verlag dtv, 2021

    Teilen
  1. 3
    26. Mai 2021 

    Das Duell

    James O’Connor wurde von Dublin nach Manchester geschickt, um unter den irischen Untergrundkämpfern zu ermitteln. Im November 1867 werden drei der Fenians hingerichtet, obwohl O’Connor davor gewarnt hat. Die Toten könnten zu Märtyrern werden und die Fenians könnten Rache nehmen. Schon bald darauf verbreitet sich die Nachricht, ein Amerikaner namens Doyle sei in Manchester aufgetaucht, um die Sache der Iren zu unterstützen. O’Connor, eigentlich ein ehrenhafter Polizist gerät auf eine gewisse Art zwischen die Fronten. Er arbeitet zwar für die englische Polizei, ist aber doch ein irischer Fremdkörper auf der Wache geblieben.

    O’Connors schwache Position wächst sich zu einer Gefahr für ihn selbst aus. Zwar hat er es geschafft einige Spitzel unter den Iren zu rekrutieren, aber ob ihre Informationen immer hilfreich sind, ist manchmal fraglich. Kurz nach der Hinrichtung fliegen seine Informanten jedoch auf und werden selbst getötet. Etwas hilflos muss James O’Connor nun die Entwicklungen abwarten. Wobei die Ankunft des Amerikaners nichts Gutes verheißt. Als ebenfalls aus Amerika der Neffe O’Connors anreist, bietet sich möglicherweise eine Chance. Zunächst ist O’Connor strikt dagegen, seinen Neffen Michael Sullivan einzusetzen. Aber was sonst kann getan werden?

    Mit prägnanten, klar umrissenen Worten versteht es der Autor ein Bild von der Situation der Iren Mitte des 19. Jahrhunderts zu zeichnen. Gleichzeitig schildert er die Auseinandersetzung der beiden Hauptpersonen O’Connor und Doyle. O’Connor, der Polizist, scheint dabei für das Gute zu stehen, während Doyle als ehemaliger Soldat und gnadenloser Kämpfer, noch nicht einmal ein Vorbild für eine verständliche Rebellion sein kann. Die beiden Kontrahenten werden nicht nachlassen. Während die zweite Hälfte des Romans eine überraschende Wendung nimmt, die mitunter wie ein Abweichen vom Thema wirken kann, bietet die erste Hälfte eine fesselnde Beschreibung der erbitterten Feindschaft zwischen Engländern und Iren. Man kann sich hinein fühlen in diesen O’Connor, der nach einem privaten Verlust in diese Position gesteckt wurde, in der er nirgends richtig hingehört. Auch wenn man sich zunächst etwas an die Ausdrucksweise des Autors gewöhnen muss, so beginnt man nach einiger Zeit die kargen Beschreibungen als gerade phantasieanregend zu genießen.

    3,5 Sterne

    Teilen
  1. Ein Zyklus von Rache und Schuld⁣

    Wie der undurchdringliche Nebel quasi aus den Zeilen wabert, du den Geschmack des nahen Chemiewerks bitter auf der Zunge schmeckst und sie vor dir siehst, die verstohlenen, argwöhnischen Blicke der Iren, die keinen Grund haben, dir zu vertrauen. Der Hass und die Angst auf beiden Seiten des Konflikts packen dich an der Kehle, du bist mittendrin, in dieser Zeit, an diesem Ort. Die Atmosphäre ist zum Schneiden dicht.⁣

    Und du erkennst: hier gibt es keine Gewinner, nur einen Zyklus der Gewalt, der immer nur mehr Opfer fordert. Das ist großartig geschrieben, auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist, wie elend und düster die Welt ist, die Ian McGuire beschreibt – insbesondere weil der Nordirlandkonflikt keineswegs lange vorbei und schon vergessen ist.⁣

    Gerade jetzt, im Jahr 2021, wo fraglich scheint, ob der Brexit die Stabilität des Karfreitagabkommens weiter untergraben wird, rührt der Roman an einen Konflikt, der leider immer noch aktuell ist. “Der Abstinent” ermöglicht Leser:innen einen Einblick in dessen konfliktgeladene, blutige Geschichte.⁣

    Rache ist hier nicht süß, für niemanden.⁣

    Die Spannung entsteht meines Erachtens vor allem daraus, dass du den Protagonisten, James O’Connor und Stephen Doyle, hilflos dabei zusiehst, wie sie versuchen, in diesem Strudel von Rache und Gegenrache die Oberhand zu behalten oder wenigstens nicht zu ertrinken. Wie sie kämpfen, gewinnen und verlieren – und doch hätten sie beide so viel Potential für ein besseres Leben. Immer wieder dachte ich: Nein, nein, tu das nicht!⁣

    James O’Connor ist in meinen Augen der Sympathieträger des Romans. Er ist der titelgebende Abstinent: früher war er Polizist in Irland, aber nach dem Tod seiner Frau und seines Kindes wurde er zum Säufer und quasi nach Manchester abgeschoben, wo er nun versucht, Fuß zu fassen. Seit er in England ist, trinkt er nicht mehr, aber seine Dämonen sitzen ihm stets geifernd im Nacken. Immer wieder nehmen seine Gedanken jedoch einen geradezu philosophischen Ton an – obwohl er Ire ist und die Unterdrückung der Iren ihn daher mit Zorn erfüllt, heißt er die Gewalttaten der ›Fenians‹ nicht gut. Freunde macht er sich damit auf beiden Seiten nicht.⁣

    Über den Hintergrund seines Widersachers möchte ich noch nicht zu viel verraten, weil der sich auch im Buch erst so nach und nach erschließt. Nur so viel: Doyle ist das Produkt eines harten Schicksals, das sehr viel erklärt, wenn auch nicht alles entschuldet. Jetzt mag er ein eiskalter Killer sein, aber als Leserin kam ich nicht umhin, dem Jungen, der er einst war, Mitgefühl und Verständnis entgegen zu bringen. Im Grunde ist er eine tragische Gestalt.⁣

    Die Geschehnisse sind schlüssig, glaubhaft – und beklemmend. O’Connor und Doyle sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Der eine hätte leicht so werden können wie der andere, wäre sein Leben nur minimal anders verlaufen. Sie sind komplexe, vielschichtige Figuren, die beiden Seiten des Konflikts eine überzeugende Stimme geben, so dass du dich dessen Schrecken kaum entziehen kannst.⁣

    Trotz aller Schrecken und Düsternis ist es ein unterhaltsames Buch, ein echter Pageturner. Ich habe die 336 Seiten binnen zwei Tagen gelesen, weil die Sogwirkung der Geschichte mich schon nach wenigen Kapiteln gepackt hatte. Das macht Spaß, weil es so gut geschrieben ist, so überaus prägnant und lebendig, auch wenn die Dinge, die passieren, meist nur wenig Grund zur Freude bieten.⁣

    Ein Blick in die Rezensionen verrät: das Ende polarisiert. Ich wusste, dass viele Leser:innen die Auflösung der Geschichte bemängeln, aber nicht warum – daher las ich mit Spannung, aber auch banger Unruhe der letzten Seite entgegen. Über das Ende kann ich leider nicht sprechen, ohne schon zu viel zu verraten, daher nur dies: danach brauchte ich erstmal eine Pause, musste mir das eine Weile gründlich durch den Kopf gehen lassen.⁣

    Und jetzt? Finde ich das Ende schlüssig, realistisch, bitter. Man muss es sicher nicht unbedingt mögen, aber es passt ins Gesamtbild, ist eines von vielen möglichen Resultaten der Ereignisse.⁣

    Ja, ich glaube, ich mag es – und mag es gleichzeitig nicht. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, aber ein Roman ist eben auch kein Wunschkonzert. Wenn ich jedoch das Gesamtbild betrachte, dann ist “Der Abstinent” für mich ein echtes Highlight, auch mit genau diesem Ende.⁣

    Fazit:⁣

    Ian McGuire beschwört das Jahr 1867 herauf. Wir sind in England, nicht in Irland, und dennoch ist der Nordirlandkonflikt das zentrale Motiv des Romans. Constable James O’Connor, erst vor kurzem aus Irland nach England versetzt, und der amerikanische Ire Stephen Doyle finden sich auf verschiedenen Seiten dieses Konflikts wieder: O’Connor heißt die Gewalttaten der irischen Unabhängigkeitskämpfer genauso wenig gut wie die Unterdrückung seiner Landsleute, während Doyle extra aus Amerika hergeholt wurde, um die Engländer auf blutige Art das Fürchten zu lehren. Zwischen den beiden entbrennt ein erbitterter Kampf.⁣

    Ich fand vor allem Schreibstil und Atmosphäre auf düstere Art unwiderstehlich, doch auch die beiden Hauptcharaktere ließen mich schnell nicht mehr los. Der Roman ist ein bestechend aussagekräftiger Einblick in die Geschichte eines Konflikts, der sich bis in die Gegenwart zieht. Verrat, Rache, Armut, Schuld, es ist ein deprimierendes Bild, dass McGuire vor den Augen der Leser:innen auferstehen lässt, doch leider auch ein realistisches – und ein spannendes.

    Teilen
  1. 4
    25. Apr 2021 

    Düstere Zeiten für Iren in England

    Obwohl die große Hungersnot in Irland schon 20 Jahre zurück liegt, ist der Hass auf die Briten weiterhin groß, die der irischen Insel in jener Zeit keinerlei Hilfe zukommen ließen. So versuchen auch in Manchester, wohin der alkoholkranke irische Polizist James O'Connor 1867 versetzt wird, die Fenians, eine geheime irische Unabhängigkeitsbewegung, die britische Regierung durch Attentate zu schwächen. O'Connor soll seine Landsleute mit Hilfe von Spitzeln ausspionieren, doch schon bald ist er das Ziel eines amerikanischen Iren, der die Spitzel und O'Connor ausschalten soll.
    James O'Connor, die Hauptfigur dieses Buches, ist vom Schicksal schwer geschlagen. Nach dem Tod seiner Frau begann er zu trinken und nur durch seine Versetzung nach Manchester kam er einem Rauswurf zuvor. Doch das Leben dort ist schwer, denn als irischer Polizist in England ist er weder bei seinen Kollegen noch bei seinen Landsleuten gut angesehen.
    Es ist ein düsterer Hintergrund vor dem diese Geschichte spielt und der Autor erspart seinen Leserinnen und Lesern nichts. Ausdrucksvoll und deutlich beschreibt er die erbärmlichen Verhältnisse, in denen die meisten Menschen leben und wie die Verachtung der Briten die Wut und den Zorn der Iren noch mehr heraufbeschwört und sich in Gewalt entlädt. O'Connor versucht zu vermitteln und das Schlimmste zu verhindern, doch es fehlt ihm an Kraft und Unterstützung.
    Obwohl in diesem Buch eigentlich James O'Connor im Vordergrund steht, weiß man nach dem Lesen Einiges mehr über den englisch-irischen Konflikt, der so viele Jahre andauerte und ohne Vergebung nie endgültig beendet sein wird. Vielleicht ist Letzteres auch der Grund für das doch etwas ungewöhnliche Ende.
    Düster, aber eine lesenswerte Lektüre!

    Teilen
  1. Irisches Duell

    Das Erscheinen der deutschen Übersetzung "Der Abstinent" von Ian McGuires neuestem Roman trifft zeitlich mit beängstigenden Nachrichten über Unruhen in Nordirland zusammen. Seit dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 einigermaßen befriedet, werden sie nun, exakt 23 Jahre später, von militanten protestantisch-loyalistischen Gruppierungen erneut angeheizt. Aktuelle Gründe sind die Unzufriedenheit über den Bexit-Sonderstatus Nordirlands und eine Nicht-Ahndung von Corona-Verstößen während der Beisetzung eines ehemaligen IRA-Terroristen durch Politiker der katholisch-republikanische Sinn-Fein-Partei.

    Nationalismus und Terrorismus
    Viel weiter in die Geschichte des Konflikts zurück reicht Ian McGuires düsterer historischer (Kriminal-)Roman. Er beginnt nach der großen irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts und unmittelbar nach dem Scheitern des Aufstands von 1867 unter Federführung der Fenians, einer geheimen Bruderschaft im Kampf für die irische Unabhängigkeit und Vorgängerorganisation der IRA. Ausgangspunkt für die fiktive Handlung ist ein historisch verbürgtes Ereignis vom 22.11.1867: die Hinrichtung der drei sogenannten "Manchester Martyrs", Mitglieder der Fenians, für den Mord an einem Polizisten.

    Zwei Iren auf verschiedenen Seiten
    James O’Connor, 34-jähriger Ire, Polizist aus Dublin, arbeitet seit neun Monaten als Constable in Manchester, vorrangig als Kontaktmann für Fenian-Spitzel. Nach dem Tod seines Sohnes, dann vor etwa eineinhalb Jahren seiner Frau, war er dem Alkohol verfallen, lebt nun aber abstinent und nutzt in Manchester seine letzte Chance. Als Ire ist er dem Spott der neuen Kollegen ausgesetzt, sie sticheln, provozieren und misstrauen ihm. Er sitzt zwischen allen Stühlen. Seine Warnung vor einer öffentlichen Hinrichtung stößt bei seinen Vorgesetzten auf Ablehnung:

    "Die Soldaten zu holen, war ein Fehler, denkt O’Connor. Gewalt wird das Problem mit den Fenians nicht lösen, und der Anblick der Truppen lässt die Leute glauben, wir befänden uns im Krieg. Solche Machtdemonstrationen führen zu nichts Gutem, man gießt nur Öl ins Feuer. Akribische Ermittlungen und Fingerspitzengefühl, das wird diesen Kampf entscheiden, nicht protzig zur Schau gestellte Grausamkeit. Doch Protz und Grausamkeit sind den Engländern nun mal am liebsten." (S. 15/16)

    Kurz nach der Hinrichtung trifft der junge amerikanische Bürgerkriegsveteran Stephen Doyle in Manchester ein. Er ist gebürtiger Ire wie O’Connor, hat wie dieser Armut, Verlust und Gewalt erlebt, und soll im Auftrag einflussreicher amerikanischer Iren die Bruderschaft unterstützen. Sein vorrangiges Ziel ist das Aufspüren und Liquidieren von Verrätern, aber auch ein denkwürdiger Anschlag ist geplant. James O’Connor und Stephen Doyle werden zu Kontrahenten auf Leben und Tod.

    Sehr lesenswert
    "Der Abstinent" ist der dritte Roman des 1964 geborenen britischen Literaturwissenschaftlers und Autors Ian McGuire und folgt auf "Nordwasser", 2016 für den Man Booker Prize nominiert. Beide Romane sind geprägt von kompromissloser Brutalität und Gewalt, "Nordwasser" noch deutlich mehr, aber nie um ihrer selbst oder um der Spannung Willen. Das scharf beobachtete, sparsam im Präsens beschriebene, überaus packende Duell der beiden Männer vor der rußigen und schmutzigen, lauten und übelriechenden Kulisse einer frühindustriellen Stadt hat mich gepackt und begeistert. Bis nach Pennsylvania führt der mörderische Kampf und findet einen äußerst ungewöhnlich erzählten Ausgang.

    Überrascht hat mich eine editorische Notiz im Impressum: „Auf Seite 313 beleidigt Stephen Doyle einen Schwarzen rassistisch.“ Wenn solche Hinweise üblich werden – welches Buch, vor allem welcher Klassiker, kann dann zukünftig noch ohne Warnhinweis erscheinen?

    Teilen
  1. Blutiger Kleinkrieg

    Ich habe mit großer Begeisterung „Nordwasser“ gelesen und war mir sicher, mit diesem Buch ein weiteres Highlight zu erwischen. Ich habe mich geirrt.
    Es ist wirklich erstaunlich, wie man ein spannendes und ungewöhnliches Thema so klein halten kann.

    Ich hatte noch nie von „Fenians“ gehört, einer irischen Untergrundbewegung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts durch Terror- und Sabotageakte gegen die englische Vorherrschaft auflehnte. Hier sind wir live dabei, 1867 in Manchester, nur ist es erst einmal gar nicht so einfach, sich einzuleben.

    Unser Held ist Constable James O´Connor, der aus traurigen Gründen von Dublin nach Manchester versetzt wurde, um der dortigen Polizei zu helfen, Rebellen aufzuspüren. Also: Ein Ire, der für die Engländer Iren jagt und ein Netz aus irischen Spionen dazu einspannt.
    Die Rebellen wiederum bekommen Unterstützung von Übersee. Stephen Doyle, Sohn irischer Auswanderer, kommt aus Amerika und soll den Fenians das Kämpfen beibringen. Also: Ein amerikanischer Ire, der in England für Irland kämpft und polizeilich gesucht wird, bevor er überhaupt etwas getan hat.
    Die Situation ist verzwickt und man ringt mit dem Überblick, weil man sich mit lauter Ausnahmen beschäftigt, bevor man das Thema verstanden hat.

    Ist das geklärt, wird es zwar leichter, aber nicht spannender. Ein größeres Intrigennetz durchzieht ganz Manchester. Wer ist Freund und wer Feind? Wer soll sich noch auskennen, wenn alle Iren entweder für die eine oder andere Seite spionieren, manchmal auch für beide und wen interessiert das? Ich hätte viel lieber etwas über die Gesamtsituation erfahren, als den Ganovenkrieg in Manchester im Detail zu verfolgen, der sich zum Ende hin auch noch zur Privatfehde zweier Männer entwickelt.

    Auch sprachlich kommt dieses Buch nicht an „Nordwasser“ heran. Ian McGuire kann meisterhaft Ambiente beschreiben und Atmosphäre schaffen, nur kommt das hier nicht so sehr zum Tragen. Dieses Buch ist dialoglastig und die Dialoge recht einfach. Harte Kerle unterhalten sich, das ist kein literarischer Hochgenuss.

    Ich bin sehr enttäuscht von diesem Buch. Was ein interessantes Stück Geschichte hätte sein können ist hier eher ein blutiger Kleinkrieg.
    Schade.

    Teilen