Das Versprechen

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Versprechen' von Damon Galgut
4.6
4.6 von 5 (13 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Versprechen"

Das Versprechen« erzählt vom zunehmenden Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie, die auf einer Farm außerhalb Pretorias lebt. Die Swarts versammeln sich zur Beerdigung ihrer Mutter Rachel, die mit vierzig an Krebs stirbt. Die jüngere Generation, Anton und Amor, verabscheuen alles, wofür die Familie steht - nicht zuletzt das gescheiterte Versprechen an die schwarze Frau, die ihr ganzes Leben für sie gearbeitet hat. Nach jahrelangem Dienst wurde Salome ein eigenes Haus, eigenes Land versprochen ... doch irgendwie bleibt dieses Versprechen mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, unerfüllt. Mit großer erzählerischer Kraft und nah an den Personen schildert Damon Galgut eine Familiengeschichte, die sich über dreißig Jahre des politischen Umbruchs in Südafrika erstreckt - von der Apartheid bis hin zur Demokratie. Während sich das Land von den alten tiefen Spaltungen zu einer neuen, gerechteren Gesellschaft hin bewegt, schwebt über allem die Frage: Wie viel Verbitterung, wie viel Erneuerung, wie viel Hoffnung bleiben?

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:368
EAN:9783630877075

Rezensionen zu "Das Versprechen"

  1. Der unaufhaltsame Zerfall einer Familie

    Das Buch erzählt von dem Zerfall der weißen Familie Swart vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Südafrika, angefangen 1986 als noch Apartheid herrschte bis zum Jahr 2018 und wurde mit dem Booker Preis 2021 ausgezeichnet.
    Die Geschichte ist in vier Abschnitte unterteilt und beginnt mit dem Tod der Mutter Rachel. Die einzelnen Familienmitglieder gehen sehr unterschiedlich mit diesem Verlust um, aber schnell wird klar, dass es keinen richtigen Familienzusammenhalt gibt. Zwischen den einzelnen Abschnitten vergehen immer 9-10 Jahre und jeder von ihnen ist geprägt von den jeweils vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Land. Vielleicht hat mir deshalb der zweite Abschnitt am besten gefallen, im Jahr 1995 war das Apartheidsregime Vergangenheit, Nelson Mandela war Präsident und das ganze Land zur Versöhnung bereit. Hier hatte ich wirklich das Gefühl eine unterhaltsame Familiengeschichte erzählt zu bekommen. Leider konnte sich die Begeisterung nicht halten, wie die gute Stimmung im Land verschwand auch mein Interesse wieder und das hing vor allem mit dem äußerst gewöhnungsbedürftigen Schreibstil zusammen. Es handelt sich um einen unablässigen Erzählstrom, bei dem nichts voneinander abgegrenzt ist. Wörtliche Rede, tatsächliche Handlung oder innere Monologe wechseln ohne Satzzeichen miteinander ab, selbst Perspektiven verändern sich mitunter innerhalb eines Satzes. Es benötigt schon einiges an Konzentration, um hier den Faden nicht zu verlieren. Vieles wird nur indirekt erzählt, so erfährt man manche Teile der Handlung nur aus zweiter Hand, eben durch Gedanken oder Gespräche. Die allermeisten Charaktere bleiben leider nur an der Oberfläche und gerade die weiblichen Figuren werden doch sehr dümmlich und hohl dargestellt. Eine Ausnahme ist die jüngste Tochter Amor, aber auch bei diesem Charakter fehlte mir der Zugang, mir ist nie so ganz klar geworden, warum sie so ist wie sie ist.
    Am stärksten ist die Sprache, es gibt mitunter wunderbare Formulierungen.
    "Jetzt steigt jemand von der anderen Seite den Hügel hinauf. Eine menschliche Gestalt kommt näher, gewinnt langsam an Kontur, Alter, Hautfarbe und Geschlecht, streift eines nach dem anderen über wie Kleidungsstücke, bis sie schließlich einen schwarzen Jungen vor sich sieht, dreizehn Jahre alt, wie sie, in zerfetzten Hosen und löchrigem T-Shirt, mit kaputten takkies an den Füßen."
    Oft ist diese Darstellungsweise noch mit einem leicht ironischen oder humorvollen Unterton durchsetzt und das ist auch der Grund, weshalb das Buch von mir noch 3 Sterne bekommt. Ansonsten hat die Geschichte meine (vielleicht zu hohen) Erwartungen leider nicht erfüllen können.

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  1. Ungewöhnlich, aber gerade deshalb überragend

    „Das Leben ist keine symmetrisch angeordnete Reihe von Wagenlampen; das Leben ist ein leuchtender Nimbus, eine halbdurchsichtige Hülle, die uns vom Anfang unseres Bewusstseins an bis zum Ende umgibt.“ (Virginia Woolf)

    Irgendwie musste ich während der Lektüre von Damon Galgut´s Debütroman, der (so viel vorab) völlig zu Recht mit dem „Booker“-Preis 2021 ausgezeichnet wurde und in der Übersetzung von Thomas Mohr im Luchterhand Literaturverlag erschienen ist, immer an eine der Meisterinnen des sogenannten Bewusstseinstroms denken; soviel zum Bezug zum einleitenden Zitat.

    Zwar folgen die Leserinnen und Leser in „Das Versprechen“ der Familie Swart über einen Zeitraum von ungefähr 40 Jahren (und nicht nur einen Tag), aber eine „auserzählte“ Geschichte ist es trotzdem nicht; Damon Galgut überlässt viel der Phantasie der geneigten Leserschaft und bringt den einen oder die andere dazu, die im Buch angesprochenen Themen (Geschichte Südafrikas) näher zu recherchieren, auch wenn es für den Verlauf der Geschichte um ein auf dem Totenbett gegebenes Versprechen nicht zwingend von Relevanz ist.

    Recht schnell (spätestens während oder nach dem zweiten Abschnitt) weiß man als Leser, für was die den vier Abschnitten vorangestellten Namen stehen. Ich verrate es an dieser Stelle nicht. Tatsache ist jedoch, dass Herr Galgut mit den Personen der Familie Swart nicht zimperlich umgeht und sie mit all ihren Macken, Ecken und Kanten präsentiert. Dazu reicht er eine fette Portion Sarkasmus und auch die ein oder andere (tragische) Situationskomik. Manchmal möchte einem das Lachen am liebsten im Hals stecken bleiben, aber so ganz gelingt es nicht ha ha ha.

    Neben den Swarts sind die eigentlichen „Helden“ der Geschichte allerdings Rand- und Nebenfiguren sowie Beobachtungen von (ungewöhnlichen) Handlungen und Orten. So begleiten wir etwa herumstreunende Schakale, lernen kurzzeitig einen Obdachlosen namens Bob kennen (den man unweigerlich ins Herz schließt) oder gucken einem Mitarbeiter eines Krematoriums über die Schulter.

    Das alles wird in einem zunächst unübersichtlich anmutendem „Strom“ präsentiert (und das auch noch ohne „wörtliche Rede“!). Doch hat man sich an die ungewöhnliche Art gewöhnt (direkte Ansprache der Leserschaft, Selbstironie des Erzählers, wechselnde Perspektiven von Satz zu Satz (auch hier eine Gemeinsamkeit mit „Mrs. Dalloway) und dem Einbau von Geisterperspektiven), bleibt unterm Strich ein überragender Roman, dem man bei wiederholter Lektüre garantiert noch mehr „entlocken“ kann.

    Ganz klar eines der Highlights in diesem Jahr – so viel steht schon mal fest!

    Glasklare Leseempfehlung und verdiente 5*!

    ©kingofmusic

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  1. Das Lombard-Haus

    Südafrika im Jahr 1986: Rachel Swart ist erst 40 Jahre, als sie dem Krebs erliegt. Sie hinterlässt ihren Mann Manie und die drei Kinder Astrid, Anton und Nesthäkchen Amor. Kurz vor ihrem Tod ringt sie ihrem Gatten ein letztes Zugeständnis ab: Ein kleines Häuschen auf dem Gelände der Farm, das sogenannte Lombard-Haus, soll laut ihrem letzten Willen der schwarzen Angestellten Salome geschenkt werden. Doch es sieht nicht so aus, als ob dieses Versprechen bald eingelöst würde…

    „Das Versprechen“ ist der mit dem Booker Prize 2021 ausgezeichnete Roman von Damon Galgut.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus vier Teilen. Der erste spielt im Jahr 1986 und ist am ausführlichsten. Der zweite Teil ist neun Jahre später angesiedelt. Zu den Teilen drei und vier gibt es weitere Zeitsprünge, sodass die Geschichte mehrere Jahrzehnte umspannt. Die originelle Idee, die hinter diesem Muster steckt, erschließt sich nach und nach. Dreh- und Angelpunkt ist die Farm der Swarts. Die Schauplätze wechseln jedoch immer wieder.

    Erzählt wird durchweg im Präsens. Allerdings ist die Erzählperspektive durchaus ungewöhnlich und unkonventionell. Der Fokus springt - zum Teil sehr abrupt - von Person zu Person und gewährt dabei eindringliche Innensichten. Dabei ähnelt der Schreibstil einem Stream of Consciousness, geht aber darüber hinaus. Er ist atmosphärisch dicht und bildstark. Der einzigartige Stil wechselt bisweilen auf die Metaebene. Er spricht mal die Leserinnen und Leser, mal die Charaktere direkt an. Mit der besonderen Art des Erzählens wurde mir beim Lesen viel Aufmerksamkeit abverlangt. Zugleich hat sie mich schon nach wenigen Seiten komplett für den Roman einnehmen können.

    Vor dem Hintergrund der sozialen, politischen und gesamtpolitischen Umwälzungen in Südafrika, inklusive des fortschreitenden Endes der Apartheidpolitik, wird das Porträt einer dysfunktionalen Familie gezeichnet, die dem Untergang geweiht ist. Klassische Sympathieträger gibt es nicht. Sowohl der Vater als auch die drei Kinder und die weiteren Verwandten zeigen psychische Auffälligkeiten und weisen diverse menschliche Schwächen auf. Sie wirken jedoch rundum glaubwürdig und vielschichtig. Etwas zu blass bleibt für meinen Geschmack die nicht unwichtige Salome. Sie tritt ebenso wie andere schwarze Charaktere in den Hintergrund. Neben der Familie tauchen hier und da immer wieder Randfiguren auf, die der Geschichte eine besondere Würze verleihen.

    Die rund 370 Seiten umfassende Geschichte spielt ihre Stärken vor allem im ersten und letzten Teil aus. In der Mitte verliert die Geschichte ein wenig an Intensität, wird aber dennoch zu keiner Zeit langatmig. Neben tragischen und ernsten Passagen mangelt es dem Roman nicht an mystischen, komischen und skurrilen Momenten, zum Beispiel wenn religiöse Riten dargestellt werden. Thematisch wird ein breites Spektrum abgedeckt.

    Gut gefallen hat mir ebenfalls, dass der englischsprachige Titel („The Promise“) so wortgetreu übersetzt wurde. Auch das ansprechende deutsche Cover ist an das Original angelehnt.

    Mein Fazit:
    Mit „Das Versprechen“ ist Damon Galgut ein überaus lesenswerter Roman mit einer einzigartigen Erzählstimme gelungen, der aus der breiten Masse hervorsticht. Eine zwar herausfordernde, aber facettenreiche, fesselnde und geschickt konstruierte Lektüre. Ein Lesehighlight 2022.

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  1. 4
    23. Jan 2022 

    Das Cottage

    Die 13jährige Amor denkt, dass Eltern eigentlich unsterblich sein sollten. Und doch stirbt ihre Mutter mit nur vierzig Jahren an Krebs. Amor wird aus dem Internat heimgeholt, ihre Schwester Astrid ist daheim und der älteste der Geschwister Anton, der seinen Militärdienst ableistet, bekommt sieben Tage Urlaub. Auf der Farm der Swarts versammeln sich Familie und Freunde der Toten. Im Jahr 1986 gibt es erste Unruhen zwischen Schwarzen und Weißen. Der Verstorbenen war es ein Anliegen, dass Salome, ihr schwarzes Hausmädchen, das Cottage, in dem sie lebt, bekommen soll. Auf dem Sterbebett verspricht ihr Mann, er wird dafür sorgen, dass das Haus und ein Stück Land an Salome übergehen.

    Über mehrere Jahrzehnte berichtet der Autor vom Niedergang der eigentlich wohlhabenden Familie Swart. Die Mutter Rachel schien die Familie zusammengehalten zu haben. Nach ihrem Tod vermögen die Überlebenden es nicht, eine Gemeinsamkeit zu finden. Der Vater, früher ein Schwerenöter hat sich schon vor einer Weile der Kirche zugewandt. Anton ist wegen des Wehrdiensts nicht zu hause, Astrid vergnügt sich lieber mit ihrem Freund und Amor, die Jüngste, ist so schockiert vom Tod ihrer Mutter, dass sie das zunächst nicht wahrhaben will. Das Versprechen gerät in Vergessenheit. Schließlich wird Mandela aus der Haft entlassen und Süd Afrika zur Demokratie;

    Mit schlichten, aber prägnanten Worten bringt der Autor auch Lesern, die nicht direkt im System der Apartheid groß geworden sind, diese Zeit des Umbruchs nahe. Die Strukturen der weißen Familien werden aufgebrochen, während die der Ureinwohner nicht sofort in die Bresche springen können, sie waren ja viel zu lange unterdrückt und klein gehalten. Doch auch ihre Strukturen brechen auf, so dass eine eigentlich sehr positive Entwicklung erstmal zu Unruhen und Tumulten führt. Gebannt verfolgt man wie von einer einst vermutlich stolzen Familie beinahe nichts mehr bleibt. Immer wieder wünscht man, das Versprechen würde nicht beiseite geschoben und immer wieder geflissentlich vergessen werden. Was man freiwillig und mit guten Gründen gibt, birgt die Chance, eine Gemeinschaft erzeugen, die allen zugute kommen könnte.

    Ein herausragender und wohl zurecht preisgekrönter Roman über eine Zeit eines radikalen Umbruchs.

    4,5 Sterne

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  1. Das versprochene Land

    Pretoria, Südafrika, 1986: Die Swarts sind eine alteingesessene südafrikanische weiße Familie, Vater und Mutter drei Kinder, Farm- und Landbesitzer. Allein, die Ehe zwischen Rachel und Manie ist zerrüttet, Rachel dazu noch schwer erkrankt. Kurz vor ihrem Tod fordert Rachel von ihrem Mann das Versprechen ein, dem schwarzen Dienstmädchen, treue Dienerin und Pflegerin über Jahre, das Haus zu schenken, dass diese bewohnt.

    Das Versprechen ist ein Roman über eine dysfunktionale Familie, ihr Zerfall steht symbolhaft für den Zerfall des weißen Südafrikas. Der 1963 in Pretoria geborene Schriftsteller Damon Galgut für seinen Roman völlig verdient den Booker Prize 2021 erhalten.

    Der Roman beginnt 1986 und ist in vier große Kapitel unterteilt, jedes trägt den Namen (oder die Funktion) eines der Familienmitglieder der Swarts. In Zeitsprüngen von etlichen Jahren erzählt, zeichnet sich allerdings spätestens im zweiten Kapitel ein fatales Muster über das Schicksal der Protagonist*innen ab.

    Die historisch brisanten Ereignisse Südafrikas der letzten Jahrzehnte stehen nicht im Mittelpunkt der Handlung. Die alltäglichen Unruhen in den Townships, die Apartheid, die Veränderungen nach Mandelas Freilassung, die großen Hoffnungen an die neue Politik und die großen Enttäuschungen werden gestreift, dienen als zeitliche Anker. Es ist so gesehen kein politisches Buch, aber trotzdem höchst politisch gefärbt. Die weiße Familie Swart steht für den Untergang einer Gesellschaft. Amor, Astrid und Anton, die Nachkommen der Swarts, sind nicht nur Kinder geprägt von dieser kaputten Familie, sondern auch Kinder dieser Zeit.

    „Sie hatten völlig vergessen, dass ich da saß, in der Ecke. Sie sahen mich nicht, ich war wie eine Schwarze für sie.“

    Die schwarzen Menschen in diesem Buch bleiben im Hintergrund, sind Dienstboten wie Salome, deren Sohn Lukas, der Chauffeur Lexington, Verbrecher oder windige Politiker. Die weißen Menschen sind größtenteils weinerliche Schwächlinge, Alkoholiker, Zyniker, bigott und trotz all dieser negativen Eigenschaften behalten sie immer noch rechthaberisch ihr Anspruchsdenken. Die jüngste Tochter Amor sticht aus diesem Sumpf der Eitelkeiten heraus. Sie wird Krankenschwester, gibt mehr in ihrem Beruf als sie hat und beharrt als einzige darauf, dass das vor langer Zeit gegebene Versprechen eingehalten wird. Dennoch verfällt auch sie in eine Lethargie, die wahrscheinlich bezeichnend dafür ist, dass ein Einziger nicht in der Lage sein kann, Veränderungen zu bewirken.

    „Kleines Mädchen betrachtet die Sachen seiner Mutter.“

    Galguts Art zu erzählen ist überraschend, besonders. Er wechselt die Perspektiven, vom beobachtenden Erzähler in die Ichform, manchmal mitten im Satz. Er gibt Dingen, Tieren, Verstorbenen eine Sichtweise, die sehr stark an afrikanische Erzählkunst erinnert und schafft damit die Möglichkeit, von ganz außen auf die Szenerie zu schauen. Er wendet sich direkt an sein lesendes Publikum, spricht mit seinem Personal, mit sich selbst, hinterfragt sein eigenes Werk.

    „Die Toten wollen gar nichts!“

    Das versprochene Land zieht sich als roter Faden durch das gesamte Buch. Dieses Buch ist politische, soziale und bisweilen religiöse Auseinandersetzung, oft symbolhaft um gegebene, große und kleine, nicht eingehaltene Versprechen.

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  1. Ein außergewöhnlicher Roman

    Ein außergewöhnlicher Roman

    „Das Versprechen“ begleitet den Leser während des gesamten Umbruchs in Südafrikas. Die Konflikte verschwimmen mit der Familiengeschichte der Swarts, einer weißen Farmerfamilie in der Nähe von Pretoria. Die Handlung beginnt um 1980 und endet etwa 2018.

    Die Swarts müssen zu Beginn der Handlung den Tod von Rachel beklagen, die mit 40 Jahren einem Krebsleiden erliegt. Sie hinterlässt ihren Mann Manie und drei Kinder. Schnell merkt man als Leser, dass in dieser Familie wenig Zusammenhalt existiert. Amor, das jüngste Kind der Familie, wurde ins Internat geschickt, damit sie den Todeskampf der Mutter nicht miterleben muss, und wird am Tag des Todes nach Hause geholt. Wobei der Begriff eines Zuhauses wie wir ihn kennen, den Kindern der Familie Swart wohl eher fremd ist. Mutter und Vater haben wohl nun wenige schöne Jahre miteinander gehabt.
    Anton, Amors älterer Bruder macht sich von der Armee auf den Weg, er ist sozusagen das schwarze Schaf der Familie, wird von der eigenen Tante als Unfall bezeichnet, ihr Bruder hätte wohl jemanden aus der Gemeinde heiraten müssen um Anerkennung zu finden, doch Manie hat Rachel geheiratet. Anton selbst leidet wegen eines schrecklichen Erlebnisses sehr.
    Astrid, die dritte im Bunde wirkt ein wenig oberflächlich, sehr auf ihr Äußeres bedacht, sie denkt nur noch an Jungs und der Tod der Mutter kommt ihr scheinbar dazwischen.
    Die Geschwister untereinander hängen auch nur lose zusammen, wenn überhaupt kann man sagen, dass Amor und Anton einen gewissen Draht zueinander haben.
    Manie wendet sich einem Geistlichen zu, der wohl im materiellen Sinn viel von der Zusammenkunft erhofft. Die religiöse Seite und die Diskrepanz die zwischen der Familie Manies und Rachels besteht, findet in diesem Raum ebenso nebenher Erwähnung wie die politische Situation zu dieser Zeit.

    Der eigentliche Aufhänger des Romans, ist das Versprechen, dass Rachel ihrem Mann Manie abgenommen hat. Rachel wollte, dass das Hausmädchen Salome das kleine Haus am Rande der Farm überschrieben bekommt, in dem sie mit ihrem Sohn Lukas wohnt, als Dank für die aufopferungsvolle Pflege, die sie ihr angedeihen lassen hat. Amor hat Kenntnis von diesem Versprechen und versucht es viele Jahre hinweg durchzusetzen.

    Im weiteren Verlauf klingt das Versprechen immer wieder an. Es begleitet den Leser und wirkt wie das Herzstück dieses Buches.

    Mir hat das Buch unheimlich gut gefallen, wobei ich einräumen muss, dass der Stil zu Anfang sehr gewöhnungsbedürftig ist. Doch wenn man sich lange genug darauf einlassen kann, wird dieser Roman zu einem echten Juwel. Es ist nicht nur die Andersartigkeit die mich begeistert hat, auch die vielen Facetten die der Autor vereint.
    Absolute Leseempfehlung!

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  1. Zerfall

    2020 ging der wichtigste britische Literaturpreis, der Booker Prize, vergeben für das beste Buch in englischer Sprache, an einen Debütroman: "Shuggie Bain" von Douglas Stuart. Der Preisträger des Jahres 2021 war dagegen bereits zum dritten Mal nominiert: Damon Galgut, geboren 1963 in Südafrika. Für seinen Roman "Das Versprechen" bekam er den Preis nun erstmals zugesprochen und reiht sich ein in eine Serie afrikanischer Preisträger 2021: Literaturnobelpreis für Abdulrazak Gurnah, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Tsitsi Dangarembga und Prix Goncourt für Mohamed Mbougar Sarr, um drei weitere zu nennen.

    Vier Jahrzehnte, vier Präsidenten, vier Beerdigungen
    Im Zentrum von Galguts Roman steht die weiße südafrikanische Mittelstandsfamilie Swart. Nach vier ihrer fünf Mitglieder sind die vier Teile benannt: „Ma“, eigentlich Rachel, „Pa“, eigentlich Herman Albertus, genannt Manie, „Astrid“ und „Anton“. Jeder Teil spielt in einem anderen Jahrzehnt, beginnend 1986 in der Endphase der Apartheit unter Frederik Willem de Klerk. Die jüngste Tochter der Swarts, die dreizehnjährige Amor, wird zur Beerdigung ihrer Mutter aus dem Internat abgeholt. Es gibt Unruhen in den Townships, der Ausnahmezustand sowie eine Nachrichtensperre sind verhängt und die Familie versammelt sich an ihrem Wohnsitz, einer Farm außerhalb Pretorias. Salome, die schwarze Hausangestellte und hingebungsvolle Pflegerin der Mutter in ihren letzten Lebensmonaten, bleibt aus Rassegründen von der Trauerfeier ausgeschlossen.

    Für Amor beginnt nach dem Tod der Mutter ein Kampf für die Umsetzung eines Versprechens, das der Vater seiner Frau kurz vor deren Tod gegeben hat: Salome soll für ihre Verdienste das kleine Haus erhalten, in dem sie mit ihrem Sohn lebt.

    Auch in den weiteren Teilen, die nach dem Ende der Apartheit unter der Präsidentschaft von Nelson Mandela 1995, unter Thabo Mbeki 2004 und Jacob Zuma 2018 spielen, kommen die verbliebenen Familienmitglieder in der zunehmend herunterkommenden Farm zu Beisetzungen zusammen. Jede findet nach einem anderen Ritus und unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen statt. Parallel zu den politischen Umwälzungen im Land zerfällt die Familie und immer steht das unerfüllte Versprechen im Raum, das aller Leben beeinflusst.

    Wenig Grund für Optimismus
    Analog zur derzeitigen politischen Situation Südafrikas durchzieht auch den Roman vorwiegend Tristesse, scheitern doch alle Figuren an den eigenen Träumen, am Alkohol, an den sich ändernden Lebensbedingungen im Land, an ihren Versprechen – nicht nur an dem für Salome – oder verschreiben sich einem spirituellen Heilsbringer. Trotzdem gibt es gleich ein ganzes Bündel von Gründen, warum ich "Das Versprechen" so überaus gerne gelesen habe und mich über die Wahl der Jury freue. Die Idee, die Handlung anhand von Beerdigungen zu erzählen, ist ebenso originell wie brillant umgesetzt, die Verbindung zwischen der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas und der Familiengeschichte funktioniert bestens und die Ambivalenz der Familienmitglieder und Nebenfiguren ist, soweit sie als Schwarze nicht „unsichtbar“ bleiben, stimmig herausgearbeitet. Besonders beeindruckt hat mich die außergewöhnliche Erzähltechnik mit einem Bewusstseinsstrom im Präsens in einer stimmlichen Kakophonie wechselnder Perspektiven. Dazwischen werden mal die Figuren, mal die Leserinnen und Leser direkt angesprochen und es wird nicht mit Humor, Ironie und Sarkasmus gespart. Ein Roman also, der mir nicht nur Spaß gemacht und mich unterhalten, sondern mir die neuere Geschichte Südafrikas nähergebracht hat:

    "Denn die Familie Swart hat so gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes, o nein, sie gleicht der Familie von der Nachbarfarm und der Nachbarfarm der Nachbarfarm, nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner, und wenn du es nicht glaubst, brauchst du nur einmal darauf zu achten, wie wir sprechen. […] Unsere Seele ist irgendwie verrostet, regenfleckig und verbeult, und das hört man unserer Stimme an." (S. 278)

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  1. Ein Glanzstück der Erzählkunst

    Der südafrikanische Autor Damon Galgut war mir bislang unbekannt. Erst der Gewinn des Bookerpreises 2021 rückte ihn und seinen Roman „Das Versprechen“ in meinen Fokus. Diese Lektüre war dermaßen beeindruckend, dass ich mich nun auch älteren Werken Galguts zuwenden möchte.

    Erzählt wird „Das Versprechen“ in vier großen Abschnitten, die jeweils mit dem Namen eines Familienmitglieds überschrieben sind. Im Mittelpunkt steht die Geschichte der wohlhabenden weißen Farmerfamilie Swart. Zwischen diesen Abschnitten liegen Zeitsprünge von jeweils rund 10 Jahren, so dass man die Familie zwar von 1986 bis 2018 begleitet, jedoch nicht alles erfährt, was sich in diesen 32 Jahren abgespielt hat.

    Ein Todesfall leitet den Roman ein, als Ma Rachel Swart ihrem Krebsleiden erliegt: „Und so waren die einzigen beiden Personen, die an Rachel Swarts Bett wachten, als ihre Zeit gekommen war, ihr Ehemann alias Pa oder Manie und die kleine Schwarze, wie heißt sie noch gleich, Salome, die aber, logischerweise, nicht zählt.“ (S.36) Sie zählt deshalb nicht, weil Schwarze zu Zeiten der Apartheid in Südafrika kaum Rechte besaßen. Sie durften nicht wählen, keinen Grundbesitz haben oder nur sehr eingeschränkt Bildung erwerben. Die Unterdrückungsmaschinerie wurde staatlich begünstigt und sanktioniert. Insofern mutet Rachels letzter Wunsch, dass Salome ihr seit Jahren bewohntes kleines Haus bekommen soll, zunächst utopisch an. Pa Manie Swart verspricht jedoch seiner sterbenden Frau, dieses Vermächtnis umzusetzen. Die 13-jährige Tochter Amor hört das Gespräch der Eltern, trägt es nach außen und wird in den folgenden Jahrzehnten nicht müde, die Familie immer wieder an dieses titelgebende Versprechen zu erinnern.
    Galgut berichtet über den zunehmenden Zerfall dieser dysfunktionalen Familie vor dem Hintergrund politischer Umwälzungen, mit denen sie nicht Schritt halten kann. Jedes Familienmitglied hadert mit sich selbst und dem Schicksal, der Zusammenhalt untereinander ist gering. Jeder scheint sich selbst der Nächste zu sein. Einzig die Jüngste, Amor, schert aus der Reihe aus. Sie verlässt die Familie und sagt sich von ihr los. Offensichtlich will sie Gutes tun und von ihrem eigenen Geld leben, was ihr mehr schlecht als recht gelingen wird. Amor ist das gute Gewissen der Familie, sie hat Einfühlungsvermögen, kann anderen zuhören, hat ein herzliches Verhältnis zu Salome. Mit dem steten Anmahnen des Versprechens darf man sie im übertragenen Sinn als Gewissen der weißen Bevölkerung verstehen.

    Die Familiengeschichte liest sich spannend, auch wenn einem die Protagonisten relativ fremd bleiben. Ihre persönlichen Katastrophen und Entwicklungen scheinen sinnbildlich für Südafrika zu stehen. Im Erleben der einzelnen Figuren werden die sich ändernden Bedingungen in Politik und Gesellschaft gespiegelt. Latenter Rassismus, Heuchelei, Unruhen, Bigotterie, religiöser Fanatismus, Kriminalität, Gewalt, Korruption – all das scheint zum südafrikanischen Alltag zu gehören. Dabei läuft die Politik nur im Hintergrund ab, vordergründig verfolgt man das Schicksal der Swarts.

    Das Besondere an diesem Roman ist der Erzählstil, der Aufmerksamkeit erfordert. Galgut hat sich für einen Bewusstseinsstrom als Stilmittel entschieden. Der Leser begleitet einen wertenden, auktorialen Erzähler, der wechselweise auch andere Perspektiven einnehmen kann, um dann ebenso tief in die Gedanken dieser Figuren einzutauchen. Dabei wird nicht nur den genannten Protagonisten Aufmerksamkeit gezollt. Auch Nebenfiguren wie Bestattern, Tieren, Krematoriumsmitarbeitern oder Bettlern wird sich intensiv zugewendet, um bestimmte Sachverhalte (auch ungewohnt drastisch) zu verdeutlichen. Manches erscheint lapidar, anderes hintergründig. Das eine wird im Nebensatz abgehandelt, das andere über Seiten - bis anschließend dessen völlige Redundanz eingeräumt wird. Desöfteren wird der Leser direkt angesprochen. Der Ton ist ebenso vielseitig wie die Perspektiven: mal mit sarkastischer Ironie, mal mit emotionaler Tiefe, mal nah und mal distanziert. Man findet schöne, allgemeingültige oder philosophische Weisheiten ebenso wie Floskeln oder absurd anmutende Schilderungen.

    Ein Kaleidoskop an Fabulierfreude breitet Galgut für uns aus. Dabei wird die Geschichte niemals oberflächlich oder seicht. Stattdessen strahlt sie große Ernsthaftigkeit aus, man spürt immer, welches Anliegen der Autor mit seinem Roman transportieren will. Mit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten Nelson Mandela im Jahr 1994 waren noch längst nicht alle Unterschiede und Probleme zwischen Schwarz und Weiß beseitigt.

    Dieses Buch ist ein schriftstellerisches Meisterwerk. Sobald man es zugeschlagen hat, möchte man sofort eine zweite Lektüre starten, um wirklich alle Bezüge herstellen zu können. Galgut erzählt nicht alles aus, sondern lässt bewusst Leerstellen, die das Nachdenken oder den Austausch anregen. Interpretationsansätze finden sich zahlreich und können im einschlägigen Feuilleton nachgelesen werden.
    Wer immer auf der Suche nach einem besonderen Buch ist, das vom Üblichen abweicht, sollte hier unbedingt zugreifen. Es hat mehrere Ebenen, beeindruckende Perspektiven und einen einmalig vielseitigen Erzählstil. Es informiert über die Entwicklung Südafrikas und lädt zu vertiefenden Recherchen ein, ohne sie notwendig zu machen für das Verständnis der Handlung.

    Riesige Lese-Empfehlung!

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  1. 5
    19. Jan 2022 

    Eine Parabel auf die südafrikanische Gesellschaft

    Damon Galgut, 1963 in Pretoria geboren, ist einer der wichtigsten Autoren Südafrikas. Er hat bisher neun Romane veröffentlicht und war schon zweimal für den Booker Prize nominiert, bis er ihn 2021 für seinen Roman „ Das Versprechen“ erhalten hat. Obwohl schon einige seiner Bücher auf Deutsch erschienen sind, ist er hierzulande noch nicht so bekannt. Das dürfte sich nun ändern.

    Galgut erzählt hier die Geschichte der wohlhabenden weißen Familie Swart über mehrere Jahrzehnte, vom Jahr 1986, der Endphase der Apartheid, bis ins Jahr 2018. Dabei verknüpft er die Familiengeschichte ganz beiläufig mit der Geschichte des Landes.
    Die 40jährige Rachel, Mutter dreier Kinder -Anton, Astrid und Amor- liegt im Sterben. Die dreizehnjährige Amor kehrt deshalb aus dem Internat auf die heimische Farm zurück. Hier wird sie Zeugin des titelgebenden Versprechens, das ihre Mutter ihrem Ehemann abnimmt: Die schwarze Hausangestellte Salome soll als Anerkennung für ihre Dienste das kleine Haus auf dem Farmgelände erhalten, in dem sie mit ihrem Sohn lebt. Doch zu diesem Zeitpunkt dürfen Schwarze in Südafrika noch gar kein Eigentum erwerben. Aber in der Familie ist auch keiner gewillt, das Versprechen einzulösen. „ Dem Dienstmädchen Land schenken! So weit
    kommt’s noch!“ Nur Amor wird alle immer wieder an dieses Versprechen erinnern.

    Es ist eine dysfunktionale Familie, die Galgut hier porträtiert: Die Ehe der Eltern war schon lange nicht mehr glücklich. Manie, der Vater, hat sich vom Säufer und Schürzenjäger, zu einem bigotten Anhänger einer neuen Kirche gewandelt. Dass Rachel kurz vor ihrem Tod zu ihrem jüdischen Glauben zurückgekehrt ist, hat ihr die Verwandtschaft nicht verziehen. Anton, der Älteste, leidet unter einem Trauma aus seiner Militärzeit. Astrid ist magersüchtig und oberflächlich.
    Einzig Amor hebt sich ab von ihrer Familie. Als Kind wurde sie vom Blitz getroffen; das scheint sie sensibel gemacht zu haben für Zwischentöne.

    Im Abstand von ca. zehn Jahren lässt Galgut die Familie insgesamt viermal aufeinandertreffen - Anlass ist jedes Mal eine Beerdigung. Eine Ausnahmesituation für alle, bei der es immer zu diversen Auseinandersetzungen kommt. Mal sind es die Beerdigungsriten der unterschiedlichen Glaubensrichtungen, über die man in Streit gerät, mal Bedingungen, die an ein Testament gebunden sind.
    Dabei wird der Leser häppchenweise über die verschiedenen Lebenswege der Geschwister in Kenntnis gesetzt.
    Anton verlässt bei Ma‘s Beerdigung im Streit mit dem Vater die Farm, desertiert aus der Armee, bis er letztlich die Farm übernimmt. Er ist ein intelligenter, junger Mann, der es leider nicht schafft, etwas aus seinem Potential zu machen. Der Roman, an dem er Jahre lang arbeitet, wird ein Fragment bleiben ( und erinnert vom Inhalt her an den, der vor uns liegt).
    Astrid schafft mit ihrer zweiten Ehe den sozialen Aufstieg, bleibt aber, trotz Geld und gesellschaftlicher Anerkennung, unglücklich.
    Amor hält Distanz zur Familie. Sie lebt sehr bescheiden und arbeitet als Krankenschwester auf einer Aids- Station. Sie ist eine der wenigen Figuren, die die Sympathie des Lesers besitzen. Trotzdem sind ihre Versuche, das Versprechen einzulösen, zu zaghaft. Und als sie endlich dazu bereit ist, ist es im Grunde zu spät.

    Galgut beschreibt die Familie Swart ( das Wort ist afrikaans und bedeutet Schwarz ) stellvertretend für die Weißen in Südafrika. „ Familie Swart hat so gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes, o nein, sie gleicht der Familie von der Nachbarfarm und der Nachbarfarm der Nachbarfarm, nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner,…“ Er zeigt sie in ihrer Engstirnigkeit, in ihrem Rassismus, in ihrer Habsucht. Aber es ist eine untergehende Welt. Die Farm ist heruntergewirtschaftet, der Putz am Haus blättert ab, bis auf Astrid hat keines der Geschwister Nachkommen.
    Salome selbst bekommt erst gegen Ende hin eine Stimme. Das mag zu bedauern sein, ist aber nur folgerichtig. Hatten die Schwarzen in Südafrika doch jahrhundertelang keine Stimme, standen abseits, waren unsichtbar.

    Dabei beschreibt Galgut die politische Entwicklung des Landes, vom Ende der Apartheid über die Hoffnungen, die sich mit Mandelas Präsidentschaft verbunden haben, bis zur Desillusionierung, die sich am Rücktritt des korrupten Präsidenten Jacob Zuma zeigt. Doch diese gesellschaftlichen Veränderungen werden eher nebenbei erwähnt, an kleinen Beispielen vorgeführt. Muss der schwarze Fahrer anfangs noch seine Chauffeursmütze tragen, um nicht als Autodieb festgenommen zu werden, liegen Jahre später Schwarz und Weiß nebeneinander im Krankenhaus. „ Die Apartheid war einmal, wir sterben jetzt Seite an Seite, in trauter Nähe. Nur das Zusammenleben müssen wir noch üben.“ Darf Salome 1986 noch kein eigenes Land besitzen, müssen später weiße Farmer die Enteignung fürchten. Kann zu Beginn Anton straflos eine schwarze Frau erschießen, bauen Weiße Jahre später hohe Sicherheitszäune um ihre Häuser.

    Was jedoch den Roman herausragend macht ist seine Erzählweise. „ Das Versprechen“ ist ein vielstimmiger Roman; Galgut wechselt permanent die Perspektive. Dabei ist er ganz nah an den Figuren, lässt uns teilhaben an deren Gedanken - dem berühmten „ stream of conciousness“ - teilt deren Sicht auf die Ereignisse . Dann wieder erhebt er sich über das Geschehen, beschreibt ganz ruhig eine Szene oder blendet über zu einem Nebenschauplatz. So erzählt er drei Seiten lang von einem Obdachlosen, um dann die Bemerkung fallen zu lassen: „… doch es gibt keinen Grund, ihn zu begleiten,…wie ist es ihm gelungen, uns mit seinen Geschichten die kostbare Zeit zu stehlen?“ Er lässt Schakale auftreten und Regengüsse, lässt Bestatter zu Wort kommen und Frauen, die die Toten für ihre letzte Reise vorbereiten.
    Er beweist Humor und Selbstironie, wenn er mit seiner Erzählstimme spielt. „ Himmel, Anton, welcher Schmierfink schreibt Dir Deine Gedanken?“
    Manchmal spricht Galgut seine Figuren direkt an, manchmal den Leser.
    Seine Sprache ist bildkräftig, voller Ironie und Humor. Dieser originelle Erzählstil entwickelt einen unglaublichen Lesesog. Dazu trägt auch bei, dass alles im Präsens erzählt wird.

    „ Das Versprechen“ ist eine gelungene Parabel auf die südafrikanische Gesellschaft, mit einem offenen Ende. Das Versprechen auf ein gleichberechtigtes Miteinander, das mit dem Ende der Apartheid der schwarzen Bevölkerung in Aussicht gestellt wurde.

    Der Roman war für mich ein ungewöhnliches Leseerlebnis. Unbedingte Leseempfehlung, volle Punktzahl !

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  1. Ein Blitzschlag und vier Todesfälle

    Südafrika 1986. Das Land gehört noch der weißen Oberschicht und wir befinden uns vor den Toren Pretorias bei der Farmerfamlie Swart. Die 40jährige Mutter dreier Kinder liegt im Sterben und ringt ihrem Ehemann das Versprechen ab, der langjährigen, schwarzen Angestellten Salome das abseits gelegene Haus, in dem diese wohnt, zu überschreiben. Die einzige Zeugin dieses Gesprächs ihrer Eltern ist die 13jährige Amor, jüngstes Kind der Familie und Anlass für die Wandlung des Vaters vom Saulus zum Paulus, als sie mit 6 Jahren vom Blitz getroffen wurde.
    Seitdem völlig einer christlichen Freikirche verschrieben und entsetzt darüber, dass seine Frau Rachel ein halbes Jahr vor ihrem Tod wieder zurück zum Judentum konvertierte, will er am Beisetzungstag auch nichts mehr von seinem gegebenen Wort an seine Frau wissen - und überhaupt, Schwarze dürfen kein Land besitzen. Stattdessen macht sich sein Kirchenoberhaupt Hoffnung auf Grund und Boden, wo er seine Schäfchen versammeln kann. Das wiederum erzürnt den 19jährigen Anton, Stammhalter der Familie, von Wutanfällen geplagt, beleidigt er Vater und Pastor. Er verlässt die Farm nach der Beerdigung und kehrt auch nicht zum Wehrdienst zurück.

    Erst 10 Jahre später, zur Beerdingung des Vaters, treffen alle 3 Kinder wieder zusammen, Amor ist vom Internat abgegangen und verdingt sich als Krankenpflegerin auf einer Aidsstation, Astrid, die Mittlere, heiratete und bekam Kinder. Anton will jetzt die Farm übernehmen und verspricht Amor, der Hausangestellten bald das Haus zu überschreiben.

    Doch die Jahre gehen dahin. Mit Nelson Mandela als Präsident wird die Apartheid zwar auf dem Papier abgeschafft, doch die Nachwirkungen jahrzentelanger Unterdrückung haben ihre Spuren hinterlassen, die Schwarzen wollen Grechtigkeit und oft genug Rache. Die Unruhen im Land, die Neuverteilung von Ämtern und Macht, lassen Anton in Stillstand verharren und so wird weder aus seinem großen Roman, noch aus dem Versprechen etwas und die Farm verfällt so langsam.

    Wer die Kapitelüberschriften richtig gedeutet hat, weiß, dass auch Astrid früh verstirbt, auf eine gewaltsame, für diese Zeit im Land fast typische Art und Anton ihr bald folgen wird. So bleibt Amor als einzige übrig und versucht ihr bestes, der inzwischen alten Salome das Haus zu übergeben...

    Die Ein-Blitzschlag-und-vier-Todesfälle-Geschichte Galguts, ausgezeichnet mit dem Booker-Prize, ist ein Wimmelbild im Flackerlicht. Die Schlaglichter wechseln rasant und die vermeintlichen Hauptprotagonisten, Amor und Salome bleiben im Schatten, letztere sogar fast unsichtbar. Dafür bekommen alle Beteiligten und auch Unbeteiligten (Schakale, Landstreicher und Regenfälle) ihr Quantum Aufmerksamkeit, das, bei aller Tragik, oft genug amüsant und sehr unterhaltsam ausfällt. Die Unbekümmertheit des Autors macht sich in Selbstironie, Ansprache seiner Leser und Protagonisten, nicht gekennzeichneten wörtlichen Reden und unangekündigten Zeitsprüngen bemerkbar. Mit beneidenswerter Leichtigkeit lässt er die harten politischen Umbrüche ins intime Familienleben einziehen und lässt sie über 3 Jahrzehnte zerfallen.

    Von der Apartheid zur Demokratie, von der Menarche bis zur Menopause, vom Reichtum bis zum Zerfall, vom großen Versprechen bis zum kleinlauten Einlösen. Galgut verlangt viel auf 350 Seiten und bekommt meine volle Zustimmung zu diesem Kaleidoskop voller Skurrilitäten und menschlichen Schicksalen, von ernsthaftem Anspruch und guter Unterhaltung mit Nachdenkpotential.

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  1. "Das Leben ist passiert." (358)

    Der Roman spielt in Südafrika und die Handlung setzt im Jahr 1986 ein, in der Zeit, in der es allmählich zu einer Wende in der Apartheidspolitik kommt.
    Doch auf der Farm, zu der die 14-jährige Amor, weil ihrer Mutter nach längerer Krankheit gestorben ist, zurückkehrt, sind die Schwarzen "offenkundig unsichtbar. Und auch was Salome empfindet, ist unsichtbar. (...) Aber Amor kann sie durchs Fenster sehen, also ist sie wohl doch nicht unsichtbar." (31)
    Salome arbeitet seit Jahren für die Familie, hat die drei Kinder Anton, Astrid und Amor großgezogen und wohnt in einem windschiefen Haus, dem Lombard-Haus. Amor erinnert sich, während sie Salome im Zimmer ihrer Mutter Rachel sieht, daran, dass diese kurz vor ihrem Tod ihrem Mann Manie das Versprechen abgenommen hat, dass Salome das Haus erhalten soll - etwas, was rechtlich zu dieser Zeit noch nicht möglich ist.
    Und doch erzählt Amor Lukas, Salomes Sohn davon und erinnert auch ihren Vater an "Das Versprechen".

    Im Mittelpunkt des ersten Kapitels ("Ma") steht die Beerdigung Rachels, die zu ihrem jüdischen Glauben zurückgekehrt ist, worüber es in der christlichen Familie des Vaters Streit gibt.

    Im Verlauf der Handlung begegnen wir der Familie Swart jeweils im Abstand von ca. zehn Jahren, das letzte Kapitel spielt im Jahr 2018. Anlass ist jeweils eine Beerdigung - so viel sei hier verraten. Neben Amor stehen vor allem ihr älterer Bruder Anton im Fokus sowie ihre Schwester Astrid. Von Amor selbst hätte ich gern mehr gelesen. Sie wird zu einer aufopferungsvollen Krankenschwester, die, so scheint es, eine Opferrolle einnimmt, jedoch zu schwach ist, um selbst aktiv gegen das Unrecht anzukämpfen.

    Galgut erzählt vom Niedergang einer Familie, die stellvertretend für die weiße Gesellschaft Südafrikas steht. Beladen mit Schuld gegenüber denjenigen, die sie ausgebeutet haben, unfähig, sich mit den neuen Gegebenheiten zu versöhnen und Unrecht wieder gutzumachen.
    Die Handlung bleibt jedoch bruchstückhaft, vieles wird angedeutet, Fäden aufgenommen, aber nicht zu Ende gesponnen, so dass man als Leser:in permanent die Lücken füllen muss. Trotzdem entfaltet die Erzählweise einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.
    Und das ist auch das Außergewöhnlichste an diesem Roman:

    die Erzählstimme,
    - die permanent in die Gedanken der unterschiedlichen Figuren schlüpft
    "Amor will aber keine rusks. Sie hat keinen Appetit. Tante Marina backt ständig irgendwelche Sachen und will einen damit füttern. Ihre Schwester Astrid sagt, das macht sie nur, damit sie nicht als Einzige so fett ist, und es stimmt, ihre Tante hat zwei Kochbücher mit Teatime-Leckereien veröffentlicht, die bei einer bestimmten Sorte älterer weißer Frauen recht beliebt sind, wie man allenthalben deutlich sieht.
    Naja, sinniert Tante Marina, wenigstens kann man mit der Kleinen vernünftig sprechen." (14)

    - die auch Geister und Tiere berücksichtigt:
    "Tojo, der Schäferhund, beobachtet ihr Kommen und Gehen (Rachels Geist) ohne Mühe, denn er hat nie gerne, dass das nicht möglich ist." (60)

    - von für das Geschehen unbedeutender Nebenfiguren erzählt, z.B. von Bob, einem Obdachlosen, der vor einer katholischen Kirche lebt.
    "Ich kann es dir nicht beweisen, aber er hatte einmal einen hochgezahlten Job und eine Existenz, die Achtung und Respekt verlangte." (252)
    Wir begleiten Bob drei Seiten lang, "doch es gibt keinen Grund, ihn zu begleiten, und seien wir ehrlich es hat nie einen gegeben." (255)

    Die Erzählstimme macht uns mit Ironie und Sarkasmus darauf aufmerksam, dass auch Menschen wie Bob gesehen werden wollen, ebenso wie jene, die vor den Beerdigungen die Leichen herrichten und diejenigen, die sich nach der Trauerfeier um sie kümmern.
    Galgut stellt uns die Welt in ihrer Diversität vor - auch die unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen haben ihren Platz, indem diverse Priester und auch ein Yogalehrer zu Wort kommen.
    Auch in skurrilen Situationen von denen man üblicherweise in Romanen nichts liest:
    "Seltsam, dass die Leute kaum je über ihre Notdurft spreche, obwohl sie nämliche doch tagtäglich verrichten. Das Gehirn würde sie am liebsten ausblenden, trotz der Grundwahrheiten, die dann unten geäußert werden. Keine Romanfigur tut je, was er (der katholische Priester Timothy Batty) jetzt tut, sprich die Hinterbacken spreizen, um sich seiner Drangsal leichter entledigen zu können." (251)

    Interessanterweise beschreibt Galgut am Ende seinen eigenen Roman implizit, indem er uns Antons Roman vorstellt, den dieser auf der Farm geschrieben hat.
    "Namen und Details ändern sich von einem Absatz zum anderen (...) Ist das eine Familiensaga oder ein Farmroman? (...) Die verschiedenen Lebensphasen des Mannes, erzählt im Abstand von jeweils ungefähr 10 Jahre, sollen seine Entwicklung zum erwachsenen Mann nachzeichnen." (S.347)

    Will Galgut die Geschichte Antons erzählen? Ist der Roman eine Familiensaga im Spiegel der politischen Entwicklung in Südafrika von 1986 bis heute, wobei wir die Familie immer nur anlässlich einer Beerdigung begleiten. Will er von den tiefen Gräben in der südafrikanischen Geschichte erzählen? Von verlorenen Träumen und verpfuschtem Leben? Ein Kaleidoskop aus allem, wobei die Leser:innen gefordert sind, sich die einzelnen Teile selbst zusammenzusuchen.

    Für mich ein Lesehighlight, ein ungewöhnlicher Roman, der 5/5 Sterne verdient hat.

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  1. Der Untergang des Hauses Swart

    Als die Mutter der 13-jährigen Amor im Jahre 1986 stirbt, herrscht Apartheid in Südafrika. Umso überraschender ist das titelgebende Versprechen, das sich die Schwerkranke von ihrem Mann kurz vor ihrem Tode hat geben lassen: Das Angestelltenhaus auf dem Gutsbesitz der Familie Swart soll in den Besitz des langjährigen Dienstmädchens Salome übergehen. Doch Ehemann Manie nimmt es mit diesem Versprechen nicht zu genau und so ist es an Zeugin Amor, sich für dessen Einhaltung einzusetzen. Ein Kampf, der nicht nur Amor mehr als 30 Jahre beschäftigen wird...

    "Das Versprechen" ist der neue Roman des südafrikanischen Autors Damon Galgut, für den er mit dem Booker-Preis 2021 ausgezeichnet wurde. Es ist ein verdienter Preis, denn "Das Versprechen" ist ein Ereignis, ein außergewöhnlicher Roman, der eine schier unglaubliche Intensität ausstrahlt.

    Das liegt vor allem an der ungewöhnlichen Art des Erzählens. Wie eine kleine Erzählerdrohne schwebt dieser allwissende Erzähler zwischen den handelnden Figuren hin und her. Oft wechselt die Perspektive mehrfach innerhalb von nur einer Seite. Dabei erinnerte er mich zeitweise an den großen katalanischen Schrifsteller Jaume Cabré, der diese Erzählweise allerdings auf die Spitze treibt und im großartigen "Die Stimmen des Flusses" manchmal gar innerhalb eines einzigen Satzes etwas völlig Neues erzählt. Ganz so experimentell geht Galgut nicht vor. Dennoch gelingt es ihm wirklich fantastisch, sogar kleinste Nebenfiguren so in den Erzählfluss einzubauen, dass man ihren Anteil an der Romanhandlung erst gar nicht richtig einschätzen kann und sich das erzählerische Wunder erst nach und nach entfaltet.

    Besonders gelungen ist es, dass der Autor dabei auch vor Tieren und gar Wetterphänomenen keinen Halt macht. Da gibt es zwei Schakale, die wir in einer Nacht begleiten, nur um festzustellen, wie kurz der Weg zwischen Leben und Tod sein kann. Da gibt es einen alles hinwegspülenden Regenguss, der in einer großen Szene gleich mehrere Schicksale miteinander verknüpft. Und es gibt Bob, einen Obdachlosen, der sich eigentlich nur kurz seinem kleinen Geschäft widmen wollte, doch damit die Handlung des Romans fast schon nebenbei auf beeindruckende Art und Weise vorantreibt.

    Der Erzähler spielt mit den Figuren, mit den Leser:innen, spricht diese manchmal direkt an, mischt eine Prise Sarkasmus in seine Bemerkungen und verliert darüber die Familie Swart doch nie aus den Augen. Denn letztlich sind es vor allem die drei Swart-Kinder Anton, Astrid und Amor, die sich mit den Folgen des "Versprechens" auseinandersetzen müssen - und daran kläglich scheitern. So verfällt nach und nach nicht nur die Familie selbst, sondern auch ihr Haus scheint - frei nach Edgar Allan Poe - seinem Untergang geweiht.

    Doch "Das Versprechen" ist mehr als ein Familienroman. Es ist eine Generalabrechnung mit Südafrika, denn egal ob 1986 oder 2018 - nahezu immer schwingt die Enttäuschung des Erzählers über sein eigenes Land mit. Selbst nach der Apartheid ist dieses Land noch weit entfernt von einer Normalität, wenn es so etwas überhaupt je geben kann. Vom rassistischen Botha über den AIDS-Leugner Mbeki bis zum korrupten Zuma bekommen gleich drei ehemalige südafrikanische Präsidenten ihr Fett weg. Anhand der weißen Familie Swart und ihrer Angestellten macht Galgut nur scheinbar oberflächlich die Auswirkungen dieser Politik deutlich.

    So ist "Das Versprechen" ein brillanter Roman geworden, der mich über weite Strecken staunend zurückließ. Staunend darüber, dass es dieser so klug konstruierte Roman geschafft hat, mich gleichermaßen zu bewegen, aber auch immer wieder zum Lachen zu bringen. Staunend vor allem aber auch deshalb, weil ich mir diese enorme Intensität, die das Buch ausstrahlt, manchmal selbst gar nicht erklären konnte.

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  1. Südafrika im Schonwaschgang

    Kurzmeinung: Ein guter Roman, der aber seine Schwächen hat - wie wohl jeder Roman.

    Der Roman „Das Versprechen“, Sieger des Man Booker Prize 2021, jetzt in der deutschen Übersetzung auf dem Markt, setzt noch zur Hoch-Zeit der Apartheit in Südafrika ein. Doch natürlich gärt es im Land und der Umbruch ist nicht mehr weit entfernt.

    Von dem Jahr 1986 ausgehend, an dem ein Mitglied der wohlhabenden, innerlich auseinandertriftenden Swartfamilie an Krebs stirbt bis 30 Jahre später, zieht der Autor seinen Bogen bis an das politische Ende der Apartheit und die ersten Jahre danach. Immer steht die Familie Swart im Mittelpunkt, die sich vollständig nur versammelt, wenn ein tragisches Familienereignis eingetreten ist.

    Dabei bedient der Autor sich der Erzähltechnik des Stream of Consciousness, auf die Spitze getrieben, denn die Erzählstimme erlaubt sich alles: sie spricht mit dir, lieber Leser, sie gibt der Natur eine Stimme, sie ist Selbstgespräch der Figuren, sie ist Dialog und innerer Monolog und übergeordneter Erzähler zugleich. Dabei springt sie wie ein Flummiball sogar mitten im Satz von einer Perspektive in die andere. Das ist manchmal reizvoll und manchmal übertrieben. Das Stilmittel ermöglicht eine Rundumschau, wird aber auch ausgereizt und kann deshalb allmählich nerven. Wie immer man es auch bewertet, eines kann das Stilmittel nicht leisten: live dabei zu sein.

    So wird die alte Empfehlung „Show, don’t tell“ in dem Roman fast völlig außer Kraft gesetzt. Selbst die aufregendsten Ereignisse werden ausgeblendet und statt einem Mord zuzusehen, erlebt der Leser hauptsächlich den inneren Monolog des Täters. Auch alle anderen Erlebnisse erlebt der Leser nur indirekt, sie werden ihm nachgeliefert und die Lieferung ist nie vollständig, da ein Bröckchen und dort eins, aha, es gab eine Scheidung, aha, da war eine Geliebte, aha, da gab es einen Unfall, aha, da hat ein politischer Umbruch stattgefunden. Manchmal ist das reizvoll und manchmal ist das fade, denn es nimmt nicht mit. Ein Roman im Schonwaschgang sozusagen.

    Der Kommentar:
    Nichtsdestotrotz funktioniert diese Technik des Erzählens weitgehend in diesem Roman. Denn ohne Zweifel ist der Roman „Das Versprechen“ Kunst. Anhand der weißen Familie Swart aus der südafrikanischen Oberschicht stellt der Autor auf subtile Art ein Stück Geschichte Südafrikas dar. Von der Hoch-Zeit der Apartheit bis zu ihrem Niedergang.

    Das titelgebende Versprechen bezieht sich auf einen kleinen Teil an Landbesitz, das die schwarze Hausangestellte Salome, die die Kinder großgezogen hat, bekommen soll. Im Roman bleibt die schwarze Bevölkerung im Schatten, genau so, wie sie von der weißen Oberschicht behandelt wird. Die schwarzen Angestellten übernehmen die wesentlichste Arbeit und sollen ansonsten unsichtbar sein. Und sind es auch. Emotionalität seitens des Lesers verlangt Galgut nicht, sie kann auch nicht entstehen, da nur Schlaglichter auf die einzelnen Personen geworfen werden, doch wird durch scheinbare Lappalien auf vorgenannte subtile Weise das politische Hintergrundrauschen in die reduziert erzählte Geschichte der Familie Swart eingestreut. Leider nur Brotkrumen.

    Der Roman geizt weder mit Pathos noch mit Symbolen. Ein esoterischer Anteil trägt zum Eindruck des Fluiden weiter bei, der durch die Erzähltechnik bereits angelegt ist. Letztlich ist er dann doch eine runde Sache. Ein Stück Information ist zum anderen gekommen. Und doch nimmt er nicht mit, der Roman, es bleibt ein Roman im Schonwaschgang, möglicherweise gerade deshalb weil er nur in den Köpfen der Weißen stattfindet. Das war gewagt, Herr Galgut und ist ohne Zweifel als Gesellschaftskritik vom Feinsten gedacht, hat für die gesamte Strecke für mich aber nur halb funktioniert.

    Fazit: Den Roman „Das Versprechen“" habe ich gerne gelesen, er hat mich jedoch emotional nicht mitgenommen, wie es der Thematik angemessen gewesen wäre. Stream of Consciousness kann das nicht.

    Kategorie: Belletristik
    Sieger des Man Booker Prize 2021

    Verlag. Luchterhand 2022

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