Briefe aus dem Gefängnis

Buchseite und Rezensionen zu 'Briefe aus dem Gefängnis' von Rosa Luxemburg
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Inhaltsangabe zu "Briefe aus dem Gefängnis"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:136
Verlag: Dietz Vlg Bln
EAN:9783320023591

Rezensionen zu "Briefe aus dem Gefängnis"

  1. 4
    26. Jan 2020 

    Erstaunlich poetische Zeitdokumente...

    Während des Ersten Weltkrieges kam Rosa Luxemburg wegen einer vor dem Krieg gehaltenen Rede gegen Soldatenmisshandlungen zunächst für ein Jahr ins Gefängnis, und nach kurzer Freiheit wurde sie bis zur Novemberrevolution in Berlin, in Wronke und schließlich in Breslau in »Schutzhaft« gehalten. Vom Gefängnis aus unterhielt Rosa Luxemburg eine lebhafte Korrespondenz mit ihren Freunden, unter anderem mit der Frau Karl Liebknechts. Diese, zum Teil sehr privat gehaltenen, Briefe wurden erstmals 1926 veröffentlicht.

    Rosa Luxemburg (1871-1919), die sich sehr für die europäische Arbeiterbewegung engagierte und mit Karl Liebknecht schließlich den Spartakusbund gründete, war zudem eine vehemente Kriegsgegnerin. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie aufgrund einer aufrührerischen Rede verurteilt und musste im Februar 1915 eine einjährige Haftstrafe antreten. Nach ihrer Entlassung wurde sie nur drei Monate später im Rahmen des damaligen 'Schutzhaft-Gesetzes' - zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs - zu weiteren zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus den fast 3 1/2 Jahren ihres Gefängnisaufenthaltes (Berlin, Wronke, Breslau) stammen die hier abgedruckten Briefe.

    "In Südende pflegte ich um diese Zeit abends in der Straße herumzuschlendern; es ist so schön, wenn noch im letzten violetten Tageslicht plötzlich die rosigen Gasflammen an den Laternen aufzucken und noch so fremd in der Dämmerung aussehen, als schämten sie sich selbst ein wenig. Durch die Straße huscht dann geschäftig die undeutliche Gestalt irgendeiner verspäteten Portierfrau oder eines Dienstmädchens, die noch schnell zum Bäcker oder Krämer laufen, um etwas zu holen (...) Und ich stand da mitten in der Straße, zählte die ersten Sterne und mochte gar nicht heim aus der linden Luft und der Dämmerung, in der sich der Tag und die Nacht so weich aneinanderschmiegten."

    Unerwartet poetisch muten viele der Briefe an. Erinnerungen an frühere Zeiten, Verse aus Gedichten, literarische Eindrücke, intensive Naturbeschreibungen - aber auch Rosa Luxemburgs Menschenscheu im Gefängnis, die große Einsamkeit, die Sorgen um Freunde und Bekannte, ihre Sehnsüchte: all dies findet Platz in den meist vielseitigen Briefen. Neben einer überaus großen Sensibiliät gegenüber den Schönheiten der Natur und der Kunst gibt es auch den offensichtlichen Versuch, das Positive aus jeder Situation zu ziehen, alles was sich nicht ändern lässt, mit einer möglichst stoischen Gelassenheit als gegeben hinzunehmen - und auf die Zukunft zu hoffen.

    "So liege ich zum Beispiel hier in der dunklen Zelle auf einer steinharten Matratze (...) Von Zeit zu Zeit hört man nur (...) unter den Fenstern das Räuspern der Schildwache, die in ihren schweren Stiefeln ein paar Schritte langsam macht, um die steifen Beine zu bewegen. Der Sand knirscht so hoffnungslos unter diesen Schritten, daß die ganze Öde und Ausweglosigkeit des Daseins daraus klingt in die feuchte, dunkle Nacht. Da liege ich still allein, gewickelt in die vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langeweile, Unfreiheit des Winters - und dabei klopft mein Herz von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude, wie wenn ich im strahlenden Sonnenschein über eine blühende Wiese gehen würde. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben, wie wenn ich irgendein zauberhaftes Geheimnis wüßte, das alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück wandelt..."

    Tatsächlich erschließt dieser schmale Band wieder einmal, weshalb es sich lohnt, Briefe zu lesen. Überlieferte Reden und Schriften bieten nur Einblicke in Überzeugungen, Thesen und Versuche, andere ebenfalls von der eigenen Sache zu überzeugen. Presseartikel bieten das Bild einer Person, das sehr stark geprägt ist von der persölnichen Sicht des Verfassers. Briefe dagegen bieten die Möglichkeit, einen Blick auf das Innere eines Menschen zu werfen, auf seine Gedanken und Gefühle, Hoffnungen und Ängste, Sehnsüchte und Erinnerungen. Und hier ging es mir wieder genauso: zum ersten Mal entdeckte ich hinter der abstrakten Figur Rosa Luxemburg, hinter der Politikerin, die aufgrund ihrer Überzeugung schließlich ermordet wurde, eine Ahnung von dem Menschen, der sie war. Ein schönes Erlebnis.

    Ein interessantes und erstaunlich poetisches Zeitdokument, das ich zu lesen empfehlen kann!

    © Parden

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